Vereinigte Staaten:Rosinenpicker

Vereinigte Staaten: Im kalifornischen Raisin City dreht sich das Leben um die Rosine. Hier benennen zwei Werbefiguren die Stadt nach einem Nestlé-Produkt um.

Im kalifornischen Raisin City dreht sich das Leben um die Rosine. Hier benennen zwei Werbefiguren die Stadt nach einem Nestlé-Produkt um.

(Foto: Tomas Ovalle/AP)

Erzkapitalistisches Amerika? Von wegen. Wer genau hinsieht, findet Planwirtschaft vom Feinsten.

Von Kathrin Werner

Wer Amerika für das Land des radikal freien Marktes hält, sollte sich die Rosine anschauen: Planwirtschaft wie aus dem Bilderbuch. Bei Schrumpel-Weintrauben herrscht in den Vereinigten Staaten der Staat - samt Bürokratie und Bürokratensprache. Jetzt hat es die Rosine vor den Supreme Court geschafft.

Seit der Rosinenmarktverfügung aus dem Jahr 1949 gibt es das Rosinenverwaltungskomitee, eine Unterabteilung im Landwirtschaftsministerium, von deren Existenz die meisten Amerikaner erst durch das Urteil des Verfassungsgerichts erfuhren. Es soll den Rosinenmarkt stabilisieren. Und das funktioniert so: In Jahren mit guter Ernte legt das Rosinenverwaltungskomitee eine bestimmte Quote fest. Die Behörde fährt per Lastwagen bei den Bauern vor und sammelt einen Teil ihrer Ernte ein - ohne Entschädigung. Die Überschussrosinen gehen in die staatliche Rosinenreserve.

Von dort gibt das Komitee sie kostenlos ab, zum Beispiel an Schulküchen, oder verkauft sie ins Ausland. So sollen die Preise hoch bleiben. Sollte die Behörde Gewinne erwirtschaften, verteilt sie sie gleichmäßig unter den Bauern.

Marvin Horne, ein mittelständischer Rosinenbauer aus Kalifornien, passte das gar nicht. In der Saison 2002/2003 hatte das Rosinenkomitee angeordnet, dass er und seine Kollegen fast die Hälfte ihrer Ernte an die staatliche Rosinenreserve übergeben sollten. Horne weigerte sich. Zur Strafe sollte er 680 000 Dollar zahlen. Er zog vor Gericht und durch alle Instanzen bis zum Supreme Court, der ihm nun recht gab.

Anders als einige Juristen, die nur von Enteignung und Entschädigung im Sinne der Verfassung sprechen wollten, wenn es sich um Land und Immobilien handelt, dürfe der Staat keinerlei Eigentum wegnehmen, auch kein Trockenobst. Das Rosinenkomitee trug zu seiner Verteidigung vor, es habe im Interesse der Bauern und des Allgemeinwohls gehandelt: schließlich seien hohe Preise im Sinne der Farmer und ein funktionierender Rosinenmarkt gut für Amerika. Mag sein, ändere aber nichts daran, dass der Staat nicht einfach wegnehmen dürfe, was den Bürgern gehört, urteilte das Gericht.

Neben der Versorgung mit dem kritischen Bestandteil von Haferkeksen kümmert sich das Landwirtschaftsministerium mit ähnlichen Regelwerken um Mandeln, Datteln, Backpflaumen, Minzöl und Sauerkirschen. Allerdings nur theoretisch, die Behörden wenden sie schon lange nicht mehr an. Das kalifornische Dattelprogramm zum Beispiel hat zuletzt Anfang der 70er Jahre Überschussdatteln zwangsweise eingesammelt.

Gerade in der Landwirtschaft gibt es im Kapitalismus-Vorzeigeland USA einige staatliche Eingriffe in den freien Markt, die noch aus der Zeit des Präsidenten Franklin Roosevelt stammen. Sie beruhen auf einem Gesetz von 1937. In der Großen Depression zwischen 1933 und 1938 hatte Roosevelt die sogenannten New-Deal-Programme gestartet, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Die meisten beinhalten allerdings keine Enteignungen, das Urteil des Gerichts betrifft sie nicht. Das Rosinenkomitee wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, als die Nachfrage sank, weil die Regierung den GIs keine Rosinen mehr in die Essenspakete steckte.

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