Vereinigte Staaten:Relikt aus der Ära des Wilden Westens

Wohltätigkeit gehört in den USA zum gesellschaftlichen Selbstverständnis.

Andreas Oldag

Es war wie bei einem opulenten Staatsempfang: Ein großes Plakat mit der Aufschrift "Lang leben Bill und Melinda Gates" prangte am internationalen Flughafen in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh. Menschen jubelten vor dem Flughafengebäude. Scharfschützen waren auf dem Dach postiert, um für den Schutz der prominenten Gäste zu sorgen.

Der Anlass: Bill Gates, Mitbegründer des Softwarekonzerns Microsoft und reichster Amerikaner, legte zusammen mit Ehefrau Melinda während einer Asientour auch im bitterarmen Bangladesh einen Zwischenstopp ein.

Es ging aber nicht um den Verkauf von Windows-Software oder Microsoft-Spielkonsolen, sondern um eines der größten privat organisierten Entwicklungshilfeprogramme. Die von den Gates gegründete "Bill & Melinda Gates Stiftung" kümmert sich um die medizinische Versorgung von Kindern in Ländern der Dritten Welt. Etwa 9,3 Milliarden Dollar hat die gemeinnützige Organisation in den vergangenen Jahren für verschiedene Projekte ausgegeben.

Milliarden für Millionen

Der Erfolg gemessen am eingesetzten Kapital würde jeden Venture-Capital-Banker vor Neid erblassen lassen: So hatte Gates zum Beispiel im Jahre 2000 ein spezielles Programm zur Impfung in Armutsgebieten (Global Alliance for Vaccines and Immunization) gestartet - mit einem Anfangskapital von 750 Millionen Dollar.

Weil sich andere Geber dem Projekt angeschlossen haben, ist der Fonds mittlerweile auf die gigantische Summe von 28 Milliarden Dollar angewachsen. Experten schätzen, dass bislang etwa eine Million junge Menschen dank des Projekts vor lebensgefährlichen Krankheiten, wie zum Beispiel Hepatitis oder Polio, geschützt werden konnten.

Geld für gemeinnützige Zwecke geben: Dieses Prinzip ist in den USA sehr viel stärker verankert als in Europa. Vor allem Unternehmen betätigen sich auf diesem Gebiet, aber auch eine schier endlose Reihe von Einzelpersönlichkeiten wie Gates, der schwerreiche Mitgründer des Computerkonzerns Intel, Gordon Moore, oder der Verwaltungsratschef des weltgrößten Finanzkonzerns Citigroup, Sanford Weill. Wer in den USA Rang und Namen hat, vor allem aber auch Geld, ist meistens auch ein generöser Spender für Kunst, Kultur, Medizin, Bildung oder Armutsbekämpfung.

Gemeinnützige Stiftungen werden in den USA zwar vom Fiskus großzügig behandelt, aber es geht den Amerikanern um weit mehr. Das Engagement eines Mäzens gilt als Gradmesser für seinen gesellschaftlichen Status. "Jeder, der auf der sozialen Leiter nach oben klettern will, muss sich zwangsläufig als Philanthrop betätigen. Deshalb sind es gerade Aufsteiger und neue Reiche, die sich auf diesem Gebiet besonders hervortun", meint Salvatore LaSpada, Direktor des Philanthropy Workshop bei der Rockefeller Foundation.

Das Mäzenatentum hat historische Wurzeln in der amerikanischen Gesellschaft. Es entwickelte sich bereits während des großen Siedlerzuges nach Westen im vorvergangenen Jahrhundert. Die Menschen, die mit Sack und Pack durch den amerikanischen Kontinent zogen, konnten wenig an staatlicher Fürsorge erwarten. Sie waren im Krankheits- oder Armutsfall auf edle Spender angewiesen, und das waren dann meistens die wirtschaftlich Erfolgreichen.

Doch zu einer auch in sozial-ökonomischer Hinsicht bestimmenden Kraft wurde das gemeinnützige Engagement erst Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Aufstieg schwerreicher Ölmagnaten wie eines John Rockefeller oder des Stahlindustriellen Andrew Carnegie.

Diese Pioniere des amerikanischen Kapitalismus bauten Industriekonglomerate auf, die zur damaligen Zeit sagenhafte Gewinne erwirtschafteten und damit auch das notwendige Kleingeld für professionell geführte Stiftungen abzweigen konnten. Heute arbeiten in diesen Organisationen ganze Stäbe von Mitarbeitern, die ein Milliardenvermögen verwalten und die Förderprogramme ausarbeiten.

Die erfolgreiche Arbeit gemeinnütziger Stiftungen untermauerte die vorherrschende Meinung unter Amerikanern, dass private Institutionen besser und effizienter arbeiten als staatliche Bürokratien.

Die Spendenbereitschaft der US-Bürger ist beeindruckend: Vergangenes Jahr erreichte sie mit mehr als 248 Milliarden Dollar einen Rekordstand. Nach Berechnung des Center on Philanthropy an der Universität von Indiana beläuft sich der Gesamtwert wohltätiger Spenden seit 1980 relativ konstant auf etwa zwei Prozent des amerikanischen Bruttosozialprodukts.

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