Verdi nach der Lufthansa-Einigung:Wankender Riese

Maue Tarifabschlüsse, meckernde Mitglieder - und eine schlagkräftige Konkurrenz: Nach der Lufthansa-Einigung taumelt Verdi. Ist das Modell einer integrierten Großgewerkschaft noch zeitgemäß?

Tobias Dorfer

Als Verdi geboren wurde, waren die Lufthansa-Piloten noch trunken vor Freude. Wenige Wochen bevor die neue Dienstleistungsgewerkschaft im Juli 2001 offiziell gegründet wurde, hatte sich die Pilotengewerkschaft Cockpit mit der Lufthansa auf deutliche Lohnsteigerungen verständigt. Zwölf Prozent mehr Lohn bekamen die Kapitäne zugesprochen. Ein erbitterter Streit war der Einigung vorausgegangen, der nur mit Hilfe des ehemaligen Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP) geschlichtet werden konnte.

Verdi nach der Lufthansa-Einigung: Schwere Zeiten für Verdi: Die Basis bemängelt die fehlende Schlagkraft der Gewerkschaft.

Schwere Zeiten für Verdi: Die Basis bemängelt die fehlende Schlagkraft der Gewerkschaft.

(Foto: Foto: Reuters)

Nur wenige Monate zuvor hatte Verdi für das Kabinen- und Bodenpersonal von Deutschlands größter Fluggesellschaft ebenfalls Lohnsteigerungen ausgehandelt - nur waren die mit 3,5 Prozent deutlich niedriger.

So ist es immer: Regelmäßig stehlen kleinere Gewerkschaften dem Riesen Verdi die Streik-Show. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund kündigte im Jahr 2005 die Tarifpartnerschaft mit der Großgewerkschaft. Die Ärzte glaubten, alleine stärker zu sein. Zuletzt hielt die Gewerkschaft der Lokomotivführer mit ihrem wortgewaltigen Ex-Chef Manfred Schell die Republik in Atem. Am Ende erstreikten die Lokführer elf Prozent mehr Lohn - und von Februar 2009 an eine zusätzliche Verkürzung der Arbeitszeit um eine Stunde. Bei vollem Lohnausgleich.

Von derartigen Ergebnissen kann Verdi nur träumen. Dabei ist Verdi mit seinen rund 2,3 Millionen Mitgliedern eine der mitgliederstärksten Arbeitnehmervertretungen der Welt. Größe sollte der fusionierten Arbeitnehmervertretung die nötige Schlagkraft verleihen - so hatten sich das zumindest die Gründungsgewerkschaften Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Deutsche Postgewerkschaft, IG Medien sowie die Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) vorgestellt.

Heftige Widersacher

Unterschiedliche Berufsgruppen aus einem Unternehmen sollten sich in einer Arbeitnehmervertretung zusammenfinden. Bezogen auf die Lufthansa heißt das: Die Flugbegleiter könnten mit dem Check-in-Personal für die Belange der Techniker streiken.

In hohen Tarifabschlüssen hat sich diese Stärke bislang nur selten ausgewirkt. Dafür wandern Berufsgruppen in Scharen zu kleineren Splittergewerkschaften ab, die massiv um enttäuschte Verdi-Mitglieder werben. "Verdi hat unter den Lufthansa-Flugbegleitern gerade einmal wenige hundert Mitglieder, wir dagegen haben rund 7000 Mitglieder", brüstet sich Joachim Müller von der Flugbegleitergewerkschaft UFO im Interview mit sueddeutsche.de.

Die UFO ist derzeit einer der heftigsten Widersacher der großen Dienstleistungsgewerkschaft. Bereits mehrfach wollte Verdi der lästigen Konkurrenz per Gerichtsentscheid den Gewerkschaftsstatus aberkennen lassen - immer ohne Erfolg. Seitdem wildert UFO recht erfolgreich im Revier des großen Konkurrenten. "Wir sind die dominierende Kraft in der Kabine", sagt Müller stolz.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie die Flugbegleitergewerkschaft UFO Verdi das Leben schwermacht - und wie die Basis der Dienstleistungsgewerkschaft gegen die Einigung mit der Lufthansa rebelliert.

Wankender Riese

Auch der Tarifvertrag zwischen UFO und der Lufthansa läuft zum Jahresende aus. Und die Flugbegleiter haben bereits eine Zahl in den Raum gestellt. 15 Prozent mehr Lohn soll die Fluglinie zahlen. Daher werde man auch dem Kompromiss zwischen Verdi und der Lufthansa nicht zustimmen. Somit bekommen die Flugbegleiter zwar die von Verdi ausgehandelten Einmalzahlungen. Auf eine Lohnerhöhung müssen sie wohl noch bis ins nächste Jahr warten. Und noch kann niemand sagen, wie hoch sie ausfallen werden.

Die Einigung zwischen Verdi und der Lufthansa geht den UFO-Vertretern nicht weit genug. Techniker, Caterer und das Check-in-Personal bekommen danach 7,4 Prozent mehr Lohn rückwirkend zum Juli und ein zusätzliches Plus von 2,3 Prozent zum 1. Juli 2009. Dazu kommen noch Einmalzahlungen, so dass sich insgesamt laut Lufthansa ein jährlicher Lohnaufschlag von 4,2 Prozent für das Kabinen- und Bodenpersonal ergibt.

Man muss kein Mathematiker sein, um zu bemerken, dass sich dieses Ergebnis unter den von Verdi angestrebten 9,8 Prozent bewegt. "Schon die Inflationsrate liegt in diesem Jahr bei vier Prozent", ätzt UFO-Funktionär Müller.

Auch an der Gewerkschaftsbasis rumort es gewaltig. Das "Netzwerk für eine kämpferische und demokratische Verdi" hat die Mitarbeiter aufgefordert, bei der am Mittwoch beginnenden Urabstimmung gegen den Kompromiss zu stimmen. Schon lange kritisiert das Bündnis die zahme Verhandlungstaktik von Verdi. Verschlechterungen fänden statt, "ohne dass unsere Gewerkschaft einen konsequenten Kampf dagegen führt", heißt es auf der Internetseite.

"Keine Gewinne sozialisieren"

Angelika Teweleit, eine der Sprecherinnen des Bündnisses, kann an dem Kompromiss zwischen Verdi und Lufthansa nichts Gutes sehen. "Das ist kein Ausgleich für die Lohnsteigerungen", meint die Netzwerkerin.

In der Tat hat vor allem die Lufthansa in den vergangenen Jahren beeindruckende Gewinne eingefahren: Im Geschäftsjahr 2006 steigerte die Airline ihren operativen Gewinn um 46,4 Prozent auf 845 Millionen Euro. Im folgenden Jahr lag das Plus sogar bei 63,1 Prozent.

Während die Lufthansa von Rekordgewinn zu Rekordgewinn eilte, übten sich die Angestellten im Lohnverzicht. "Wir werden keine Gewinne sozialisieren", hatte Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber immer wieder betont. So handelte Verdi für das Kabinen- und Bodenpersonal Ende 2004 auch keine Lohnerhöhungen, sondern lediglich Einmalzahlungen in Höhe von 0,5 Prozent (2005) und 1,6 Prozent (2006) des Jahresgehalts aus. Im Jahr 2007 konnte Verdi eine Gehaltserhöhung von 3,4 Prozent durchsetzen - gefordert hatte die Gewerkschaft 5,8 Prozent.

Lesen Sie im dritten Teil, warum sich die Lufthansa über den Kompromiss mit Verdi freuen konnte - und wie ein ehemaliger Bundeskanzler die Probleme der Gewerkschaft bereits vor acht Jahren erkannte.

Wankender Riese

Die Netzwerkerin Teweleit vermisst bei den Verhandlungen ihrer Gewerkschaft eine "konsequente Strategie". Stattdessen würde die Verdi-Führung die Hasenfuß-Methode regieren: "Die versuchen, den Arbeitgebern nicht zu stark auf die Füße zu treten."

Nicht einmal Verdi selbst versucht, den Abschluss vom Freitag als Erfolg zu verkaufen. Lediglich von einem "vernünftigen Ergebnis" spricht Verhandlungsführer Erhard Ott - und Sprecher Harald Reutter gibt an, "bei einer Fortführung des Streiks wäre nicht mehr rauszuholen gewesen".

Wirklich nicht? Nach gerade einmal vier Tagen Arbeitskampf hat Verdi klein beigegeben - und die Lufthansa konnte dem Ergebnis noch viel Positives abgewinnen. Personalvorstand Stefan Lauer beeilte sich nach der Einigung zu sagen, er freue sich über die Planungssicherheit für das kommende Jahr und über die deutlich geringere Erhöhung von 2,3 Prozent im Jahr 2009.

Die zurückhaltende Streiktaktik von Verdi hat der Lufthansa viel Geld gespart. Denn der Streik des Boden- und Kabinenpersonals war kein billiges Vergnügen für die Fluggesellschaft. Von einem "deutlichen zweistelligen Millionenbetrag" sprach Personalvorstand Lauer. Die 40 Millionen Euro, die auf die Lufthansa durch die Tarifeinigung in diesem Jahr an Zusatzaufwand zukommen, wird der Konzern da gerne zahlen.

Keine schlagkräftige Truppe

Etliche Verdi-Mitglieder können daher das schnelle Ende des Arbeitskampfes nicht verstehen. "An der Basis herrscht Wut", sagt die Netzwerk-Aktivistin Teweleit. Viele hätten weiter für ihre Rechte gekämpft.

Für die Zukunft ihrer Gewerkschaft sieht Teweleit schwarz. "Ich befürchte, dass der Einfluss von Verdi geringer wird", sagt die Netzwerkerin. Die Arbeitnehmervertretung werde nicht mehr als schlagkräftige Truppe wahrgenommen.

Ein Mann warnte vor dieser Situation schon im Juli 2001 beim Verdi-Gründungskongress in Berlin. "Größe sagt nichts über Schlagkraft aus", sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in seinem Grußwort.

Er wurde von der gesamten Halle ausgepfiffen.

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