Verbraucherschutz:Gleiches Nutella für alle

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Übliche Kakao-Brotaufstriche enthalten oft Palmöl. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Osteuropäische EU-Länder beschweren sich, dass sie Markenprodukte schlechterer Qualität bekämen - nun springt ihnen die Kommission bei.

Von Christian Gschwendtner, Brüssel

Manchmal hilft es, einfach lauter zu schreien. Eine Regel, mit der sich zumindest die aktuelle Ost-West-Spaltung innerhalb der EU gut beschreiben lässt. Da gibt es auf der einen Seite die Osteuropäer, die fest überzeugt sind, dass man sie mit Lebensmittel zweiter Klasse abspeisen will. Und auf der anderen den Rest der EU, der über die Befindlichkeiten der Nachbarn milde lächelte. Bis jetzt.

Der Streit um minderwertige Produkte in osteuropäischen Supermarktregalen hat sich in den letzten Monaten immer weiter hochgeschaukelt. Von einem "Lebensmittel-Rassismus" spricht die polnische Zeitung Gazeta Prawna inzwischen. Und der tschechische Agrarminister Marian Jurečka schimpft, man sei der "Abfalleimer Europas". Schuld sind mehrere Studien in der Slowakei, Ungarn und Tschechien, die alle zu demselben Ergebnisse kommen: Sie wollen herausgefunden haben, dass sich die Produkte in östlichen Supermärkten wesentlich von denen im Westen unterscheiden. Und zwar zum Nachteil der Konsumenten im Osten. Die Vorwürfe sind nicht ganz neu, sie werden aber inzwischen mit einer Vehemenz vorgetragen, die sich nicht mehr so leicht überhören lässt.

Verbraucher zweiter Klasse soll es in der EU nicht geben

Die EU-Kommission jedenfalls hat die Sprengkraft des Themas erkannt. Sie will es am liebsten so schnell wie möglich abräumen. Das liegt auch daran, dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach Jahren der Zurückhaltung aufs Tempo drückt. Bei seiner Rede zur Lage der Union sagte er vor zwei Wochen, es dürfe in einer "Union der Gleichen" keine Verbraucher zweiter Klasse geben. Oder anders gesagt: Gleiches Nutella für alle.

In einer Zeit, in der die Stimmung zwischen östlichen Mitgliedsländer wie Polen, Ungarn und der Slowakei zum Rest der EU ohnehin angespannt ist, will man keine zusätzliche Angriffsfläche bieten. Deshalb kündigte Verbraucherschutzkommissarin Věra Jourová am Dienstag in Brüssel auch erste Schritte an. Sie will Leitlinien ausarbeiten, mit denen Produkte länderübergreifen leichter auf einheitliche Standards überprüft werden können. Eine Million Euro lässt sich die Kommission das kosten. Die nationalen Behörden sollen außerdem Orientierungshilfen erhalten, mit denen sie sich leichter im Dickicht der Verbraucherschutzrichtlinien zurecht finden können. "Wenn ich sage, ich nehme das Thema ernst, dann meine ich das auch", sagte Jourová.

Eine Untersuchung der Prager Universität kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass in den Fischstäbchen in Tschechen sieben Prozent weniger Fisch steckt als in der deutschen Variante. Ähnlich soll es sich mit Nestea-Eistee verhalten. Dort entdeckte man ein Drittel weniger Tee-Extrakt. Die ungarische Lebensmittelbehörde Nebih fand außerdem heraus, dass Nutella weniger cremehaltig ist als allgemein üblich. Manche reden deshalb bereits von einem "Schokoladen-Vorhang", der Ost und West 28 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs trennt. Ein neues Gesetz soll es trotzdem nicht geben. In Brüssel droht man den Unternehmen lieber indirekt. Wenn es Beweise für "unlautere Geschäftspraktiken" gebe, werde sie sich nicht scheuen, Konzernnamen öffentlich zu nehmen, sagte die Verbraucherkommissarin. Falls das keine Wirkung zeige, sei auch denkbar, dass Produkte auf Geheiß Brüssels umbenannt werden müssen. Das Ziel: "kein Binnenmarkt mit Doppelstandards".

Hipp hat angeblich den Anteil von Gemüse in seinen Produkten schon angeglichen

Offenbar hat die Ankündigung der Kommission bereits Wirkung gezeigt. Der Babynahrungshersteller Hipp soll seinen Gemüseanteil inzwischen angeglichen haben. Und die Firma Bahlsen wird nach Angaben der Kommission ihre Butterwaffeln für osteuropäische Kunden in Zukunft mit Butter herstellen. Nicht wie bisher mit Palmöl. Man sei mit den Firmen in Kontakt, versicherte Jourová. Das Thema steht auch auf der Tagesordnung des nächsten Verbrauchergipfels in Bratislava Mitte Oktober. Überraschend ist das insofern, als die Kommission vor einigen Monaten noch keine gravierenden Unterschieden zwischen Ost und West erkennen konnte. Nun aber ist plötzlich von 100 Produkten die Rede, die betroffen sein könnten.

Die Hersteller weisen bisher auf die unterschiedlichen regionalen Geschmäcker hin. Wenn Cola in Tschechien nicht ganz so schmecke wie Deutschland, dann stecke keine böse Absicht dahinter. Und solange die Zutaten auf in der Produktbeschreibung korrekt angegeben sind, kann man wenig dagegen unternehmen. Da hilft es auch nicht, wenn der slowakische Premierminister Robert Fico mit Importbeschränkungen droht. Sollte sich nicht bald etwas ändern, werde man über die entsprechende Maßnahmen nachdenken. Ein solcher Produktboykott würde freilich die Wettbewerbsregeln der EU verletzen.

Die Kommission versucht den Konflikt nun zu deeskalieren. Einen Boykottaufruf werde man nicht unterstützen, sagte Kommissarin Jourová. Wo es die schlechtesten Fischstäbchen in Europa gibt, wollte sie auch nicht sagen.

© SZ vom 27.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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