Verbraucherfang:Du bist... ...die Kampagne

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Das Mitmach-Fieber greift um sich: Nicht nur die Kampagne der Deutschen Telekom "Geben Sie Deutschland Ihr Gesicht!" bedrängt derzeit den Verbraucher. Auch Coca Cola, Berentzen oder Puma überziehen das Land mit ihren Aktionen.

Martin Bell

Nachtfußball am Prenzlauer Berg: Um vier Uhr morgens beginnt die Partie der Betriebssportgemeinschaft Stadtsparkasse Solingen beim "Coca-Cola Ticket Kick" in Berlin. Eine Woche lang, vom 21. bis zum 28. April, treten im Jahn-Sportpark 140 Freizeitmannschaften aus ganz Deutschland gegeneinander an, rund um die Uhr.

Gruppenfoto für die Deutsche Telekom: Junge Deutsche mit Nationalkicker Patrick Owomoyela. (Foto: Foto: werben & verkaufen)

Als Preise locken Eintrittskarten zur Fußball-WM, fast 1000 Tickets insgesamt. Die Bankkaufleute aus Solingen rechnen sich Chancen aus - auch wenn ihr Stammtorhüter, Kapitän Klaus Bracht (28), verletzt ausfällt.

Der "Ticket Kick" ist eine von Dutzenden von Veranstaltungen, mit denen Markenartikler seit Wochen die Bundesrepublik überziehen. Die Sonnenstudio-Kette Sunpoint sucht das "Sunpoint Model" für die Werbekampagne 2007, Netzbetreiber E-Plus das "Base Gesicht 2006", Puma schickt zwölf Deutschland-Botschafter auf Europa-Tournee, McDonald's eine Kinder-Eskorte zur WM, T-Com stellt das "größte Nationalteam aller Zeiten" auf die Beine.

Verwertbares Adressmaterial

"Keine Frage, Mitmach-Aktionen sind derzeit en vogue", so Karen Heumann, Chefstrategin der Hamburger Webeagentur Jung von Matt. "Aus einem einfachen Grund: Wer mitmacht, kommt mehr als nur flüchtig in Berührung mit der Marke, die dahinter steht." Die Aktionen bringen zudem verwertbares Adressmaterial fürs Direktmarketing.

Verbraucher zwischen 25 und 35 Jahren, so ergab jüngst eine Studie des Frankfurter Marktforschungsinstituts Millward Brown, nutzen immer seltener klassische Medien.

Um sie zu erreichen, braucht es andere Mittel. Junge Familien und DINKs (Double Income No Kids) "erwarten eine erlebbare, proaktive Marke", so Millward Brown. "Bei DINKs kommen persönliche Einladungen zu speziellen Events gut an." Hiesige Top-Unternehmen nehmen sich das offenbar zu Herzen und laden ein, was das Zeug hält - zu Castings, Turnieren und Dreharbeiten.

"Größtes Nationalteam aller Zeiten"

Allen voran die Deutsche Telekom. Im Dezember vorigen Jahres bildeten 35.000 Teilnehmer in Leipzig eine kilometerlange Menschenkette - Auftakt für das "größte Nationalteam aller Zeiten", dem mittlerweile Hunderttausende angehören. "Alle zusammen erfüllen den Slogan der Fußball-Weltmeisterschaft mit Leben", teilt T-Com nicht ohne Inbrunst mit: "Die Welt zu Gast bei Freunden."

Eingebunden in Großveranstaltungen - wie den RheinEnergie Marathon in Bonn Anfang April oder das "Welcome" am 13. Mai in der Münchner Allianz-Arena - wächst das "Team der Vorfreude" bis zum Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft stetig an.

Bis kurz vor Ostern lief parallel zudem eine Inszenierungstour durch 22 Städte: Auf Nachmittags-Happenings reihte sich Jung und Alt in die symbolische Kette ein, festgehalten von einer Filmcrew. Einzige Teilnahmebedingung: ein Aktionstrikot - und "ein Lächeln" (Pressemeldung).

Die Bilder dienen als Futter für die laufende Werbekampagne: Mehr als zwei Dutzend TV-Spots in privaten und öffentlich-rechtlichen Programmen, ungezählte Anzeigen in regionalen und überregionalen Titeln, XXL-Plakate und Internet-Galerien sowie Sonderwerbeformen bilden den aufwändigsten Flight der Konzerngeschichte.

Punkte bei der Service-Orientierung

"Damit lösen wir unser Versprechen ein, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen", erklärt Jörg Adami, Leiter Strategische Projekte Marketing und Vertrieb bei T-Com. "Die begleitende Marktforschung zeigt, dass die Marke auf der Skala der Service-Orientierung punktet."

Vorteilhafte Image-Attribute verzeichnen seit Projektbeginn ein Plus von bis zu 15 Prozent, etwa in Freundlichkeit und Kompetenz, der Absatz entwickle sich "in erfreulichem Maße", so Adami: "Das hat sicher auch mit der Aktion zu tun."

Berentzen-Aktion "Pimp your Bollerwagen". (Foto: Foto: werben & verkaufen)

Die Aufrufe von T-Com, Coca-Cola & Co. verbindet, dass sie ein einmaliges oder doch zumindest ungewöhnliches Erlebnis verheißen. Filmaufnahmen im Eisregen, Hindernisrennen im niedersächsischen Nirgendwo oder 90-Minuten-Kick vor Sonnenaufgang (siehe Kästen) - Mitmachen kann schon mal an die Substanz gehen.

Glücksmomente

"Verbraucher haben ein Interesse, gut unterhalten zu sein", erklärt Jung von Matt-Managerin Heumann. Dafür nehmen viele auch Unannehmlichkeiten und Anstrengungen in Kauf, erst recht, wenn zugkräftige Gewinne in Aussicht stehen, wie zum Beispiel Geldprämien, Europa-Trips und Auftritte in TV-Spots. Ein buntes Allerlei möglicher Glücksmomente weckt Sehnsüchte vergnügungsbedürftiger Normalos.

Das Lockmittel funktioniert. Eine halbe Million Kinder bewarben sich allein in der ersten Runde Anfang Januar für die "McDonald's Fußball Eskorte" - mit Teilnahmekarten, die in den Fast-Food-Restaurants auslagen, aber auch mit Selbstgebasteltem wie dem badewannengroßen Nachbau der Allianz-Arena.

Die lütten Gewinner laufen bei der WM an der Hand der Nationalkicker in die Stadien ein. Eine Million Welcome-Trikots (die Eintrittskarte ins "größte Nationalteam") brachte T-Com bislang unter die Leute, teils als kostenlose Zugabe für Neukunden, teils via Online-Shop.

Durch und durch norddeutsch

Auf mehr als 1,5 Millionen Votings kam selbst eine durch und durch norddeutsche Aktion: der von der Apfelkorn-Marke Berentzen ausgerufene Tuning-Wettbewerb "Pimp your Bollerwagen", für den ein Budget im unteren Millionen-Bereich zur Verfügung steht.

Der kleine Handwagen, beliebt bei Vatertagstouren als Getränkelager auf Rädern, ist Leitmotiv der Marke in ihrem stärksten Absatzgebiet mit 36 Prozent Anteil am Gesamtumsatz der "Fruchtigen", dem Kernsortiment der Niedersachsen.

"Die Idee ist, Anregungen für Konsumanlässe zu bieten", erklärt Oliver Bartelt, Leiter der Unternehmenskommunikation. Etwa zu einem Spaziergang in der norddeutschen Pampa, idealerweise mit Hochprozentigem. Passende Bollerwagen verloste Berentzen drei Monate lang, jeden Tag einen. Und rief zum Aufmotzen der schlichten Gefährte auf. "Pimp my life" für Nordlichter. "Es geht darum, Menschen einzubeziehen, um ihre Sympathie für Berentzen-Marken zu gewinnen", so Bartelt.

Medienpartner wie Bild Bremen sowie die Radiosender ffn und Energy sorgten für beständige Berichterstattung. Über flankierende PR kamen mehr als 100 Berichte in Hörfunk, TV und Print zustande, 15 Millionen Kontakte insgesamt. Dazu Anzeigen und Advertorials in Stadtmagazinen und Lokalzeitungen. "Der Absatz der fruchtigen Spirituosen stieg im Aktionszeitraum um 14 Prozent", freut sich Bartelt.

Nur einmal Bollerwagen

Entwickelt sich Berentzen damit zur Bollerwagen-Marke? Nein, "Pimp your Bollerwagen" ist schließlich nur ein Projekt. "Im Sommer werden wir bundesweit das Thema Mixen mit Berentzen promoten", so Bartelt. So wie vergangenes Jahr im TV-Spot: junge Leute am Baggersee, die sich bei 30 Grad im Schatten einen hinter die Binde gießen.

Das Interesse der Redaktionen ist lebenswichtig für Mitmach-Konzepte. Zeitungen, Magazine und Radiosender helfen, Aufrufe bekannt zu machen und im Gespräch zu halten, oft über Monate. Als Gegenleistung erwarten sie unterhaltsame, besser noch spektakuläre Storys.

Die Bilder der 35.000-köpfigen Menschenkette beim "Welcome Day" der T-Com in Leipzig gingen um die Welt, waren in Japan ebenso zu sehen wie in den USA, 780 Millionen Kontakte über Print und TV.

Prominente Paten verleihen den Aktionen Glanz, sei es Michael Ballack ("McDonald's Fußball Eskorte"), oder Oliver Bierhoff ("Coca-Cola Ballcrew"). Zur Not tut's auch das norddeutsche Szene-Faktotum Lotto King Karl ("Pimp your Bollerwagen").

Prominente als Zugpferde

Turnschuh-Hersteller Puma aus Herzogenaurach - laut Millward Brown Lieblingsmarke der DINKs - sicherte sich die Mitwirkung der lauferprobten Schauspielerin Franka Potente (Lola rennt, Die Bourne Identität). Die 31-Jährige sitzt, neben Sportlern wie dem Leichtathleten Tim Lobinger, in der Jury, die dieser Tage zwölf inoffizielle Goodwill-Reisende ernennt. "Adopt a German" lautet das Motto, ersonnen von der britischen Agentur Frank PR aus London.

Zwölf Krauts werden ab 8. Mai von Paris über Mailand bis Stockholm Sympathiewerbung betreiben für den Gastgeber der Fußball-WM. "Die Idee, eine bunte Gruppe Deutscher als Botschafter vor der WM zu verschicken, finde ich sehr charmant, zumal die Aktion sehr viel Spaß und Abenteuer verspricht", ließ sich Potente, im Sinne der Konzern-PR, auf Pumas Auftakt-Pressekonferenz vernehmen.

Ähnlich sehen das wohl auch die 800 Bewerber, die sich in einer durch die WM-Städte tingelnden Box als ideale Puma-Diplomaten vorstellten, mal mit Klarinette und Papagei, mal mit Tanzdarbietungen. "Die Teilnehmer sind stark involviert und motiviert, weil sie die Möglichkeit haben, die Kampagne aktiv mitzugestalten", so Merve Liebelt, European PR Manager bei Puma. Wer sich beteiligt, so das Kalkül, stärkt zugleich seine Bindung an die Marke.

Absatzplus

"Das Szenario muss stimmig sein, zur Markenbotschaft passen", unterstreicht Jung von Matt-Vordenkerin Heumann. "Dann gelingt es Mitmach-Aktionen, Verbraucher zu inspirieren" - offenbar auch in ihrem Konsumverhalten, wie das Absatzplus bei T-Com und Berentzen zeigt.

Den Marken und ihrer Ausstrahlung kommt zugute, dass sie, anders als in Werbeblöcken, für kurze Zeit im Mittelpunkt des Interesses stehen: "Und sei es nur für eine Minute", so Heumann. "60 Sekunden ungeteilte Aufmerksamkeit für eine Marke - das ist nicht zu verachten."

Trotz des gegenwärtigen Mitmach-Fiebers: Eine Überhitzung sieht die Hamburger Werbestrategin (noch) nicht. Auch T-Com, seit Monaten allerorten immer wieder und ausschließlich mit dem "größten Nationalteam" präsent, befürchtet keine Ermüdungserscheinungen.

"Schneeball-Effekt"

"Wir stellen eher einen Schneeball-Effekt fest", so Marketingleiter Adami. Je mehr sich beteiligen, desto größer werde das Interesse. Für den Abschluss der Kampagne erwägt der Konzern eine Aktion, die alle Dimensionen sprengt: Menschenketten in ganz Deutschland. An einem Tag.

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