Verantwortungsbewusstsein in Chefetagen:Ohne Rückgrat

Manager diskutieren gerne über den Wert von verantwortungsvollem Handeln, Firmenleitlinien haben Hochkonjunktur. Allerdings hat es oft den Anschein, diese Bekenntnisse seien das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt sind.

Karl-Heinz Büschemann

Bei Siemens ist Ungewöhnliches passiert. Ein Vorstandsmitglied wird im Büro festgenommen, wegen angeblicher Bestechung. Eine Woche später kommt er aus der Haft. Und was macht Konzernchef Klaus Kleinfeld während der ganzen Zeit?

Er schweigt, redet allenfalls im kleinen Kreis. Er geht nicht an die Öffentlichkeit, um sich unter den Augen der Republik vor seinen Vorstandskollegen Johannes Feldmayer zu stellen, um zu erklären, dass er sein Vertrauen genießt. In dem von Korruptionsaffären geschüttelten Konzern heißt es, Kleinfeld dürfe sich aus juristischen Gründen nicht äußern.

Doch der Eindruck ist fatal.

Das Schweigen könnte so gedeutet werden, als sei sich der Konzernchef der Integrität seiner direkten Mitarbeiter nicht sicher oder - was noch schlimmer wäre - dass er selbst Dreck am Stecken hat. So könnte der Konzern durch das Schweigen weiter beschädigt werden.

Wie sollen Mitarbeiter, Aktionäre oder Kunden das Vertrauen in ein Unternehmen zurückgewinnen, für das nicht einmal der Chef selbst die Hand ins Feuer legt?

Die 475.000 Mitarbeiter haben es verdient, dass sich einer vor sie stellt und Partei ergreift für ein Traditionsunternehmen, das dasteht wie eine kriminelle Vereinigung. Kleinfeld muss tun, was jeder Vater für sein Kind tun würde, das einer Missetat beschuldigt wird - auch wenn er nicht sicher ist, ob es unschuldig ist.

Wenn er für diesen Schritt, der für einen amerikanischen Konzernchef selbstverständlich wäre, den Mut nicht hat, sollte er überlegen, seinen Posten zu verlassen. Erst recht gilt das, wenn er sich etwas hat zuschulden kommen lassen.

Er sagt nichts, er hat dafür seine Gründe, seine Anwälte werden es ihm geraten haben. Aber worum geht es eigentlich?

Etwa darum, dass ein Konzernchef unbeschädigt aus einem Skandal herauskommt?

Oder ist die Aufgabe, Siemens vor weiterem Unheil zu bewahren?

Im Zusammenhang mit der Affäre hat Kleinfeld - ebenso wie der Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich von Pierer - gesagt, er könne nur Verantwortung übernehmen für Dinge, die er zu verantworten habe.

Damit zeigt Kleinfeld ein enges Verständnis von Verantwortung, wie es weit verbreitet ist in den Chefetagen. Es besagt: Ich stehe nur für mich selber gerade. Ich gehe kein Risiko ein, weil ich mich mit der Meinung über andere irren könnte. Ich tue nichts, was über meine rechtliche Pflicht hinausgeht.

Geldgierig und eigensüchtig

Über kaum einen Begriff diskutieren Manager so viel wie über den der Verantwortung. Konzerne verpflichten sich in schmucken Firmenleitbildern zur Verantwortung gegenüber den Aktionären, den Kunden, den Mitarbeitern und der Gesellschaft.

Oft drängt sich der Eindruck auf, diese Bekenntnisse seien das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt sind. Die Menschen auf der Straße haben einen ganz anderen Eindruck von den Managern. Sie halten diese Kaste für geldgierig und eigensüchtig. Kaum eine Gruppe hat ein so miserables Ansehen wie die Unternehmenschefs.

Daran wirken sie selbst mit. Hohe Gehälter schaffen Unmut. Entlassungswellen bei üppigen Gewinnen vermitteln den Eindruck, Manager seien seelenlose Entscheider, die ihre soziale Pflicht übersehen. Das ist in dieser Härte nicht richtig.

Aber mal ehrlich: Wer in den Chefetagen großer deutscher Konzerne würde sich als Vorbild eignen, das man bewundert oder gar dem eigenen Sohn ans Herz legt? Wo ist einer wie der frühere Deutsche Bank-Chef Alfred Herrhausen, von dem sich bewundernde Aktionäre auf Hauptversammlungen in den achtziger Jahren Autogramme holten?

Der hatte auch gegen bankinternen Widerstand seine Meinung vertreten und sich wiederholt in den Dienst der Allgemeinheit gestellt. Allenfalls im Mittelstand gibt es noch Unternehmer, für die sich ihre Mitarbeiter aufopfern würden, weil sie deren persönliche Leistungen und Risikobereitschaft zu würdigen wissen.

Vorbilder haben keine Konjunktur. Die moderne Marktwirtschaft belohnt niemanden, der über die ihm zugeteilte Kompetenz hinausgreift und sich in der Gesellschaft engagiert, sei es als Mäzen für Kunst und Kultur oder als Stifter von medizinischen Lehrstühlen.

Der Turbokapitalismus belohnt nicht einmal den, der mit langfristigen Investitionen die Arbeitsplätze von morgen zu sichern versucht. Stattdessen honoriert er den mit steigenden Aktienkursen, der Arbeitsplätze streicht, weil das schneller geht als der Aufbau neuer Geschäfte.

Mut rechnet sich nicht

Es ist paradox: Unternehmer sein, im Sinne von etwas unternehmen, ist im modernen Kapitalismus nicht mehr gefragt.

Wer Risiken eingeht und mutige Entscheidungen trifft, wird mit Kursabschlägen bestraft, vor allem wenn sich eine Entscheidung als falsch herausstellte.

Merkwürdigerweise ist die Marktwirtschaft heutiger Prägung besonders intolerant gegenüber Fehlentscheidungen: Wer Fehler macht, gilt an der Börse und bei den Medien schnell als Versager, der entlassen werden sollte.

Es zahlt sich nicht aus, Mut zu zeigen, etwas Neues anzupacken. Wer wagt sich in diesem Klima schon, den Planungshorizont vom kommenden Quartal in die nächste Dekade zu verschieben? Zur Absurdität moderner Wirtschaft gehört auch, dass diejenigen, die am stärksten nach Freiheit und marktwirtschaftlichem Handeln rufen, sich selbst mit dicken Abfindungen gegen das Risiko absichern, den Arbeitsplatz zu verlieren.

Bei diesen Verhaltensweisen darf sich niemand wundern, wenn anderswo das Wegducken zum Leitbild wird. Demokratie und Marktwirtschaft haben aber keine Zukunft, wo es immer weniger Menschen gibt, die Verantwortung übernehmen, die mehr tun als verlangt wird und die geradestehen, wenn ein Unternehmen von negativen Schlagzeilen gebeutelt wird.

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