Vattenfall-Europe-Chef Tuomo Hatakka:"Haben viel Vertrauen verloren"

Der Vattenfall-Europe-Chef Tuomo Hatakka spricht über das Debakel mit dem Atommeiler Krümmel und relativiert die Hoffnung der Bundesregierung auf sinkende Strompreise.

Markus Balser und Michael Bauchmüller

Trotz der gerade beschlossenen Laufzeitverlängerung für 17 deutsche Atomkraftwerke weist die Energiebranche Forderungen nach sinkenden Strompreisen zurück. Es werde schwierig, die Preise stabil zu halten, kündigt Vattenfall-Europe-Chef Tuomo Hatakka im Interview mit der Süddeutschen Zeitung an. "Ich rechne eher mit steigenden Preisen", sagt der Finne und geht damit auf Konfrontationskurs zu Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Wenige Monate vor dem Wiederanfahren des Pannenmeilers Krümmel räumt Hatakka Fehler ein: "Ich verstehe, dass sich die Leute Sorgen machen."

Vattenfall-Europe-Chef Tuomo Hatakka: "Ich habe keine Illusion, wenn es um unser Image geht."

Vattenfall-Europe-Chef Tuomo Hatakka: "Ich habe keine Illusion, wenn es um unser Image geht."

(Foto: Reuters)

SZ: Herr Hatakka, die schwedische Regierung verdonnert Vattenfall per Richtlinie dazu, grün zu werden. Warum treiben Energiekonzerne den nötigen Umbau eigentlich nicht freiwillig voran?

Tuomo Hatakka: Das sehen Sie falsch. Wir investieren ja schon eine Menge Geld in erneuerbare Energien. Wir sind bei Windenergie auf hoher See die Nummer zwei in ganz Europa. Aber die schwedische Regierung will nun, dass wir noch einige Schritte weiter gehen.

SZ: Sie zählen zu den größten Klimasündern. Mehr als 90 Prozent der Energieproduktion außerhalb Schwedens stammen aus fossilen Brennstoffen. Wundert Sie die Intervention der Politik wirklich?

Hatakka: Moment mal: das ist doch kein Problem von Vattenfall. Das ist eins von ganz Europa. Der Kontinent ist in weiten Teilen sehr abhängig von fossilen Brennstoffen. Das lässt sich beim besten Willen nicht über Nacht ändern. Es wird Jahrzehnte dauern, bis wir uns davon entscheidend lösen.

SZ: Überflutungen in Pakistan, Waldbrände in Moskau, das wärmste Jahr seit 130 Jahren: Wissenschaftler rufen die Energiebranche zu schnellerem Handeln gegen den Klimawandel auf. Sie leiten einen der größten Kraftwerksparks des Kontinents. Woher werden die Europäer 2030 ihren Strom bekommen?

Hatakka: Die Energiewelt wird anders aussehen als wir sie heute kennen. Wir sehen riesiges Potential bei Offshore-Windanlagen. Auch Wasserkraft und Sonnenenergie werden größere Rollen spielen. Aber mit einer Illusion möchte ich aufräumen: Wir werden im Jahr 2030 nicht auf eine völlig neue Welt schauen. Gas und Kohle werden wir noch lange brauchen. Und auch die Kernkraft wird in 20 Jahren in Europa noch eine wichtige Energiequelle sein.

SZ: In Schweden hat die Regierung nach vorübergehendem Atomausstieg den Bau neuer Kernkraftwerke genehmigt. Hoffen Sie langfristig auch in Deutschland auf eine Renaissance?

Hatakka: Ob Neubau oder nicht: Die Frage müssen die deutsche Politik und die Öffentlichkeit beantworten. Heute ist schwer zu sagen, ob sich das Bewusstsein in Deutschland langfristig ändern wird. Möglich ist das natürlich. Auch in Schweden war der Widerstand anfangs groß, aber ich wage da keine Prognose.

SZ: Nach Pannen stehen Ihre deutschen Meiler Krümmel und Brunsbüttel still. Der Fall Krümmel brachte Sie in die Schlagzeilen: Von der Notabschaltung haben Sie erst vom Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins und nicht von den eigenen Leuten erfahren. Die Empörung war riesengroß. Anfang 2011 soll Krümmel wieder ans Netz. Verstehen Sie die Angst der Anwohner?

Hatakka: Ich habe keine Illusion, wenn es um unser Image geht. Wir haben mit den Ereignissen in Krümmel vergangenes Jahr viel Vertrauen verloren. Es ist schwer, das zurückzugewinnen. Aber diese Fehler werden sich nicht wiederholen. Das garantiere ich. Wir haben die Anlage technisch komplett überprüfen lassen und unsere Organisation verändert. Es ist viel passiert. Eine solche Panne wird sich nicht wiederholen.

SZ: Die Grünen werfen Ihnen vor, Sie würden wegen knapper Kassen mit Risiken für die Bevölkerung spielen. Wenn so viel schiefgeht wie in Krümmel: Muss der Meiler dann nicht vom Netz?

Hatakka: Es ging bei den Problemen ja nicht um den Reaktor selbst. Es gab einen Kurzschluss in einem Transformator. Trotzdem: Ich verstehe, dass sich die Leute Sorgen machen. Ich kann nur sagen: Sicherheit ist unsere Priorität Nummer eins. Speziell in der Kernkraft. Wir machen da keine Kompromisse.

SZ: Bundeswirtschaftsminister Brüderle erwartet nach der Laufzeitverlängerung sinkende Strompreise für Verbraucher. Sie auch?

Hatakka: So einfach ist es nicht. Richtig ist: Die Laufzeitverlängerung wirkt langfristig dämpfend auf die Preise. Aber es gibt eben auch Effekte in die andere Richtung. Die Kosten für die Einspeisung erneuerbarer Energien, zum Beispiel, steigen rasant. Auch Emissionszertifikate für den Klimaschutz und die notwendigen Investitionen in intelligente Netze für den Transport erneuerbarer Energien werden teurer werden, weil der massive Ausbau der Netze zur Nutzung der erneuerbaren Energien letztlich bezahlt werden muss.

SZ: Noch einmal: Steigen oder sinken die Strompreise in Deutschland?

Hatakka: Vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen ist es schwierig, die Strompreise stabil zu halten. Momentan rechne ich eher mit steigenden Preisen. Das hängt aber von vielen Faktoren ab, die wir nur bedingt beeinflussen können - unter anderem die Förderung der erneuerbaren Energien. Diese Förderung ist sehr wichtig. Ich würde mir aber wünschen, dass die Politik nicht verschweigt, dass Klimaschutz seinen Preis hat. Den gibt's nicht zum Nulltarif.

"Wenn sich nichts ändert, sind die Klimaziele zum Scheitern verurteilt"

SZ: Nicht nur die Kernenergie ist in Deutschland umstritten. Auch gegen Kohlekraftwerke wächst der Protest. Hat die Kohle noch eine Chance?

Hatakka: Deutschland, Europa und die Welt sind doch abhängig von Kohle. Braun- und Steinkohle stehen für rund 45 Prozent der deutschen Stromerzeugung. Das Problem sind die CO2-Emissionen. Wir müssen einen Weg finden, die Kohle klimaverträglicher zu machen. Das ist unser Ziel mit der CCS-Technologie. Da scheiden wir Kohlendioxid ab und speichern es unterirdisch. Wir werden die Pläne weiter verfolgen. Das gilt auch für unsere Tagebaupläne in Deutschland.

SZ: Von der Bundesregierung bekommen Sie wenig Unterstützung.

Hatakka: Den Eindruck kann man gewinnen, trotzdem glaube ich noch immer daran, dass wir ein handhabbares CCS- Gesetz bekommen werden. Die CCS- Technologie kann zum Exportschlager werden, wenn wir sie hier erfolgreich einsetzen. Als Finne bin ich überrascht von der Technologieskepsis in Deutschland. Deshalb hakt es überall an Genehmigungen und Akzeptanz. Das ist enttäuschend. Stuttgart 21 ist längst nicht mehr das einzige Problem mit Großprojekten für den Umbau des Landes.

SZ: Was kritisieren Sie?

Hatakka: Ob neue Windparks, Kraftwerke oder beim Netzausbau - wir spüren beinahe jeden Tag einen Mangel an Planungssicherheit. Genehmigungsprozesse sind unglaublich kompliziert und ziehen sich oft über viele Jahre hin. Dabei brauchen wir zum Beispiel dringend neue Stromtrassen, die Windenergie von Nord- nach Süddeutschland bringen können. Um es deutlich zu sagen: Wenn sich daran nichts ändert, sind die ehrgeizigen Klimaziele aus dem Energiekonzept der Regierung schon jetzt zum Scheitern verurteilt. Das muss die Politik endlich erkennen und die Bedingungen schaffen, damit die Behörden Entscheidungen beschleunigen.

SZ: Sonderlich eilig haben Sie es mit dem Umbau auch nicht. Vattenfall schlägt gerade einen harten Sparkurs ein und kürzt Investitionen. Klingt eher nach Stillstand als nach Revolution.

Hatakka: Wir sind in einer Konsolidierungsphase. Das gilt übrigens für die ganze Energiebranche. In der Wirtschaftskrise sind die Börsenpreise für Strom rapide gefallen. Das hat uns hart getroffen. Wir müssen jetzt für die nächsten zwei oder drei Jahre tatsächlich vor allem eins tun: sparen.

SZ: Spielen Sie auf Zeit, um in acht Jahren eine zweite Verlängerung für Atomkraftwerke zu bekommen? Wenn Sie beim Ausbau alternativer Kapazitäten wie Windparks nur langsam genug sind, wird der Ausstieg Illusion bleiben.

Hatakka: Nein, der Umbau läuft ja schon an. Wir legen bereits jetzt den Grundstein für schnelleres Wachstum ab 2013. Das wird hauptsächlich von erneuerbaren Energien und CO2-armer Stromerzeugung kommen. Wir hören ja derzeit auch nicht auf, zu investieren. Unser Investitionsplan über 17 Milliarden Euro für die kommenden fünf Jahre läuft weiter. Davon fließt der Großteil schon in erneuerbare Energien.

SZ: Was investieren Sie davon in Deutschland?

Hatakka: Der Umbau der Energiebranche ist für uns ein europäisches Projekt. Die nationale Betrachtung ist uns nicht so wichtig.

SZ: Umweltschützern in Deutschland ist sie das schon.

Hatakka: Wir müssen endlich begreifen, dass der Umbau der Wirtschaft eine europäische Dimension erreicht hat. Wir verlassen die nationale Ebene. Wir investieren dort, wo die Rahmenbedingungen am attraktivsten sind. Im Bereich Offshore-Windkraft sind die Bedingungen in Großbritannien nun mal zur Zeit am besten - dort haben wir kürzlich den größten Windpark der Welt eröffnet.

SZ: Sie bauen in Deutschland 1500 der 20.000 Stellen ab. Müssen wegen des Sparkurses noch mehr Mitarbeiter um ihren Job fürchten?

Hatakka: Wir arbeiten gerade an einem Strategieplan für den gesamten Konzern. Klar ist: Wir werden uns international auf unsere drei großen Märkte konzentrieren und in Ländern außerhalb von Schweden, Deutschland und den Niederlanden Bereiche abstoßen. In Polen zum Beispiel. Das ist der größte Umbau im Konzern seit vielen Jahren. Auch in unseren drei wichtigsten Märkten wird nicht alles beim alten bleiben. Wir müssen mehr für die Effizienz tun.

SZ: Also doch Jobabbau?

Hatakka: Das geht nicht zwangsläufig über das Personal. Aber ich kann einen Stellenabbau derzeit auch nicht ausschließen. Darüber werden wir in den nächsten drei bis sechs Monaten intern beraten und entscheiden.

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