Chef der Vatikanbank entlassen:Gott ist eine Bank

Die Vatikanbank ist eines der seltsamsten Geldhäuser, die es gibt. Nun wirft sie ihren Chef raus. Geldwäsche, Gerüchte und Ermittlungen - der Fall wirft viele Fragen auf.

Thomas Fromm

Denn Augen haben und Betrachten ist nicht dasselbe. Augustinus

Chef der Vatikanbank entlassen: Mysteriös wie die Vatikanbank: die Schweizergarde.

Mysteriös wie die Vatikanbank: die Schweizergarde.

(Foto: AFP)

Einige sagen noch heute, dass die Szene filmreif war. So wie der Mailänder Bankier Roberto Calvi ausgerechnet unter der Londoner Blackfriars Bridge hing, damals am 18. Juni 1982. Ein bisschen Edgar Wallace, ganz viel Dan Brown, und eine Prise Umberto Eco. Von Selbstmord war die Rede. Und von einem Mafia-Mord. Der Ex-Manager der Banco Ambrosiano war seit Tagen auf der Flucht, und er saß mit seiner Pleite-Bank tief drin in einem Morast aus Mafia und "salotti buoni", den alten Netzwerken der römischen Politik. Und: Calvi war in intime Geschäfte mit der Vatikanbank verwickelt.

Schon am Tag, bevor der Mann, den sie "Bankier Gottes" nannten, über der Themse hing, war seine Sekretärin aus dem Fenster ihres Büros in Mailand gefallen. Filmreif, auch diese Szene. Nur: Wer war hier der geniale Regisseur?

Auch ein anderer Banker verlässt in jenen Jahren standesgemäß filmreif die Bühne: Michele Sindona, mutmaßlicher Mafia-Geldwäscher und wegen seiner Geschäftsbeziehungen mit der Vatikanbank ebenfalls "Bankier Gottes" genannt, stirbt vier Jahre nach Calvis Tod im Gefängnis. Nach einer Tasse Kaffee, in der offenbar mehr drin war als Wasser und Espresso-Bohnen. Es schien ein unheimliches Gesetz zu sein: Wer sich geschäftlich mit der Vatikanbank einlässt, bekommt irgendwann Probleme. Manchmal sogar ziemlich große.

Die Vatikanbank und ihre Geschäfte: Besonders viel wusste man seit der Gründung des Instituts 1942 durch Papst Pius XII. noch nie. In jenen Jahren der Calvis und Sindonas aber hatte sich zusätzlich ein nebliger Schleier des Okkulten und Geheimnisvollen über das Institut gelegt. Bis heute. Deshalb sind Nachrichten wie diese so spektakulär: Am Donnerstagabend teilte der Heilige Stuhl mit, dass der amtierende Vatikanbank-Präsident Ettore Gotti Tedeschi nach einem einstimmigen Misstrauensvotum des Vorstands zurückgetreten ist. Die Begründung fällt knapp aus: Der Banker habe "verschiedene entscheidende Aufgaben seines Amtes nicht ausgeführt".

Eine der seltsamsten Banken der Welt

Seit 2010 wird gegen Tedeschi und andere Mitarbeiter wegen des Verdachts der Geldwäsche ermittelt. Ausgerechnet gegen Tedeschi: Der 67-jährige Ex-McKinsey-Berater und frühere Italien-Chef der spanischen Santander-Bank ist Experte für Finanzethik, schreibt für die Vatikanzeitung Osservatore Romano und soll italienischen Gerüchten zufolge dem erzkonservativen katholischen Geheimbund Opus Dei nahestehen. Papst Benedikt XVI. beriet er in Wirtschaftsfragen. Verheiratet, fünf Kinder ("mit einer einzigen Frau", hebt man in Italien hervor). Ein Vorzeige-Katholik also. Zur Bank wurde er schließlich geholt, um aus dem Skandalinstitut eine seriöse und transparente Finanz-Adresse im Vatikan zu machen. Der Gotti-Tedeschi-Mix aus Finanztechnik und rechtem Glauben schien perfekt für den Neuanfang. So weit der Plan. Doch dann kam es anders.

Kurz nachdem er das Amt übernommen hatte, stießen die Ermittler auf angebliche Unregelmäßigkeiten und beschlagnahmten 23 Millionen Euro von einem Konto, das der Vatikan bei einer italienischen Bank angelegt hatte. Bei einer der Überweisungen soll es um einige Millionen Euro an die US-Bank JP Morgan gegangen sein. Der Verdacht der Geldwäsche kam auf, da den italienischen Finanzbehörden angeblich die wahren Auftraggeber vorenthalten wurden. Gotti Tedeschi bestritt dies - es habe sich hierbei um reine Vatikan-Gelder gehandelt.

Hat sich Gotti Tedeschi wirklich etwas zu Schulden kommen lassen? Oder hat er es einfach nur nicht geschafft, das alte Vatikanbank-System mit seinen vielen Fallstricken und Geheimnissen zu drehen? Die Kontakte mit all den Kunden, die gerade von der mangelhaften Transparenz der Bank und der steuerlichen Lücken im Vatikan angezogen werden, zeitig zu kappen? Oder, anders gefragt: War er zuletzt schon Teil des Systems? Oder war er Opfer des Systems?

Die Vatikanbank, sie ist keine normale Bank. Offiziell heißt sie auch nicht Vatikanbank, sondern Istituto per le opere di religione, kurz IOR. Institut für religiöse Werke: Das klingt nicht zufällig nach der Aufforderung an den Christen, Gutes zu tun. Und nach dem Dogma des Heiligen Augustinus, für den der Glaube allein nicht ausreichte, um die ewige Seligkeit zu erlangen. Für den immer auch die guten Werke, das richtige Handeln, mit dazugehörten. Dabei hatte das IOR mit dem Heiligen Augustinus schon immer so viel gemeinsam wie Mutter Teresa von Kalkutta mit einem Londoner Investmentbanker. Also nicht sehr viel.

Das IOR ist eine der seltsamsten Banken, die es gibt. Eine Bank, in der an die 100 theologisch ausgebildeter Banker und Kirchenmänner mit Finanzkenntnissen einige Milliarden Euro, unzählige italienische Immobilien und noch mehr Geheimnisse verwalten. Ein Bank, die hinter meterdicken Mauern in einem mittelalterlichen Festungsturm am Rande des Petersplatzes residiert. Der Finanzplatz Vatikan, er ist eine Trutzburg im Herzen der Weltreligion. Wer Informationen über das Haus sucht, kann lange suchen. Pressestelle? Investor Relations? Geschäftsberichte? Die üblichen Bilanzexegesen? Die Banker Gottes operieren seit jeher im Verborgenen, Transparenz gehörte bisher kaum zum Tagesgeschäft. Erst Ende 2009 unterzeichnete der Vatikan mit der EU ein Finanzabkommen zur Einhaltung von EU-Standards.

Die jüngste Affäre um Gotti Tedeschi wirft den kleinen Staat und seine Hausbank wieder um Jahre zurück. Und auch der ausgeschiedene IOR-Chef gibt mit wunderbar sibyllinischen Sätzen derzeit mehr Rätsel auf, als er Antworten liefert. "Ich bin hin- und hergerissen zwischen dem Drang, die Wahrheit zu sagen, und der Angst, den Heiligen Vater zu erschüttern", sagte er am Freitag. Er werde "aus Liebe zum Papst" nichts sagen. Basta.

Am Tag nach dem Abgang Gotti Tedeschis teilte ein Vatikan-Sprecher mit, man habe einen Verdächtigen gefunden, der vertrauliche Informationen aus dem Kirchenstaat geschleust habe. Dazu gehörten Interna über ein angebliches Mordkomplott gegen den Papst und Details über die Vatikanbank. Zur gleichen Zeit ist die Diskussion über jene Emanuela Orlandi wieder aufgeflammt, die 1983 im Alter von 15 Jahren spurlos aus dem Vatikan verschwand. Angeblich war das Mädchen zwischen die Fronten von Mafia und Vatikan geraten und ermordet worden. Es brodelt hinter den Vatikanmauern. Filmreif, wieder mal.

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