USA:Wenn der Umzug teuer wird

USA New York Ein Umzugswagen parkt am Strassenrand 29 04 2014

Umzugswagen in New York: Teure Mieten schrecken Jobsuchende ab.

(Foto: Cord/imago)

Jahrhundertelang zogen die Amerikaner dorthin, wo es Arbeit gab und sich der persönliche Wohlstand steigern ließ. Jetzt finden Jobs und Jobsuchende oft nicht mehr zueinander, weil horrende Mieten Umzüge verhindern.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Seit Herbst 2010 kennt der Arbeitsmarkt in den USA nur noch eine Richtung: bergauf. Mehr als 15 Millionen Jobs wurden seit Überwindung der Rezession geschaffen, in jedem einzelnen der vergangenen 82 Monate stieg die Zahl der Beschäftigten weiter an. Doch obwohl etliche Firmen händeringend nach Mitarbeitern suchen, gibt es vor allem auf dem Land Millionen Bürger, die keine Stelle finden. Früher wären viele von ihnen einfach den Jobs hinterhergezogen - der ständige Aufbruch und die Suche nach besseren Lebensbedingungen gehören für die Amerikaner gewissermaßen zum Gründungsmythos ihres Landes. Doch der einst so verlässliche Mechanismus funktioniert nicht mehr.

Die Volkswirte Peter Ganong und Daniel Shoag von den Universitäten Chicago und Harvard decken nun in einer Studie einen Zusammenhang auf, der bisher kaum zur Sprache kam: Demnach nimmt die Mobilität vor allem geringer qualifizierter Arbeitnehmer bereits seit den Achtzigerjahren ab - seit jener Zeit also, als in den Großstädten und Ballungsräumen der USA die Immobilienpreise in die Höhe zu schießen begannen. Zusammengefasst lautet Ganongs und Shoags Befund: Die Mieten in prosperierenden Regionen wie New York und San Francisco sind mittlerweile so absurd hoch, dass sie den möglichen Mehrverdienst einfacher Arbeitnehmer schlicht auffressen. Im schlechtesten Fall wäre ein Umzug sogar ein Verlustgeschäft. Die Menschen bleiben deshalb am Ort und schlagen sich mit Sozialzuschüssen, Gelegenheitsjobs und Nachbarschaftshilfe durch.

Laut Wall Street Journal zogen 2015 nur noch vier von hundert Bürgern aus ihrem Landkreis fort. 40 Jahre zuvor waren es noch acht gewesen. Vielen Menschen gelingt es daher nicht mehr, ihr Einkommen aus eigener Kraft zu steigern. Zugleich fehlen sie andernorts als Arbeitskräfte. Die Immobilität hat auch zu jener tiefen politischen und kulturellen Spaltung des Landes beigetragen, die schließlich Donald Trump ins Weiße Haus beförderte: Während Städter oft den Demokraten nahestehen und immer weiter gehende Liberalisierungsschritte befürworten - etwa die Ehe für alle oder eine moderne Einwanderungspolitik -, geht die Entwicklung vielen Bewohnern wirtschaftsschwacher ländlicher Gegenden zu weit. Sie orientieren sich deshalb stärker an den Republikanern, die ihrerseits immer konservativer werden.

Ganong und Shoag machen ihren Befund am Beispiel eines Anwalts und eines Hausmeisters deutlich. Für beide lohnte es sich jahrzehntelang, aus südlichen Bundesstaaten wie Alabama oder Georgia etwa in den Großraum New York umzuziehen. Die Gehälter waren viel höher, und selbst nach Abzug der Wohnungskosten blieb ein deutliches Plus. Mehr verdienen kann man entlang des Hudson Rivers immer noch. Was sich aber geändert hat, sind die Wohnkosten: Beim Anwalt machen sie heute 21 Prozent des Einkommens aus, beim Hausmeister sagenhafte 52 Prozent. Da in New York auch Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs extrem teuer sind, zahlt sich der Umzug für den Hausmeister oft nicht mehr aus. Teilweise hat sich der Migrationstrend sogar umgekehrt: "Gut ausgebildete Arbeitnehmer ziehen in Regionen mit hohen Verdiensten, schlechter ausgebildete ziehen weg", so die Ökonomen.

Mitschuld an dieser "Auslese nach Qualifikation" ist aus Sicht der Wissenschaftler auch die Politik: In vielen Boom-Regionen unterliegt der Haus- und Wohnungsmarkt seit Jahrzehnten immer schärferen Regeln, die Ausweisung von Bauland scheitert aus Umweltgründen oder wegen protestierender Anlieger, und die Flächennutzungspläne sind zu starr. Deshalb halten Neubau und Instandsetzung mit der wachsenden Nachfrage nicht mehr mit.

Immerhin: Mancherorts bewegt sich etwas. In San Francisco etwa streitet die Initiative "Ja in meinem Hinterhof" (YIMBY) für den Bau bezahlbarer Wohnungen und gegen den Widerstand vieler Alteingesessener, die jede Umgestaltung ihrer Viertel ablehnen. YIMBY-Gründerin Sonja Trauss hat jetzt angekündigt, für den Stadtrat zu kandidieren.

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