USA:Was die Cannabis-Legalisierung für die Wirtschaft bedeutet

  • Das Geschäft mit legalem Marihuana läuft in den USA prächtig.
  • Beobachter erwarten, dass die Umsätze mit der Droge rapide steigen werden.
  • Zahlreiche US-Bundesstaaten erwägen, Cannabis zu legalisieren oder bestehende Regelungen noch lockerer zu gestalten.
  • Hintergrund ist eine bedrückende Einsicht: "Der Kampf gegen die Drogen ist verloren", sagt etwa ein prominenter kalifornischer Politiker.

Report von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Begrüßung ist dann doch ein wenig verwunderlich. Natürlich fragen einen die Kalifornier andauernd nach dem Befinden - doch tun sie das meistens gut gelaunt und in der Erwartung, dass die Antwort irgendwo zwischen "Gut" und "Überragend" liegt. Dieser Mann auf dem Boardwalk in Venice Beach allerdings sieht einen mit besorgten Augen an und sagt: "Hallo, wie geht es Ihnen? Sie sehen gestresst aus. Haben Sie vielleicht Kopfschmerzen? Rückenweh? Eine Sportverletzung? Wir können Ihnen helfen. Der Arzt kann Sie sofort empfangen."

Nun laufen in Venice Beach eine Menge durchgeknallter Typen herum, Muskelmänner oder Gitarrenklampfer oder Kettensägenjoungleure - das macht diese Stadt im Westen von Los Angeles so herrlich verrückt. Der Mann in mintgrüner Operationskleidung allerdings ist weder Künstler noch Sportler noch Freak. Er ist Geschäftsmann. Für 40 US-Dollar, so viel kostet der Besuch bei fast jedem Arzt in Kalifornien, wird in dieser Bude eine Krankheit diagnostiziert und diese kleine Karte verschrieben, die zum Kauf von medizinischem Marihuana berechtigt. "Wir haben etwa 50 Patienten pro Tag", sagt er und grinst. Denn natürlich betreibt er nicht nur die Arztpraxis, sondern gemeinsam mit einem Freund auch den nicht weit entfernten Cannabis-Shop.

Das Geschäft mit Marihuana läuft prächtig, nicht nur in Kalifornien. So gut, dass es bereits kreative Namen dafür gibt: Dot Bong, Cannabusiness oder - in Anlehnung an den Goldrausch im 19. Jahrhundert - einfach nur Greenrush, also Grünrausch. Laut einer Studie des Marktforschers Arcview Market Research legte die Branche im Jahr 2014 ein Wachstum von 74 Prozent hin, bis 2019 soll der US-Markt für legales Kiffen von derzeit 2,7 auf mehr als elf Milliarden Dollar wachsen. Es ist der, ja wirklich, am schnellsten wachsende Wirtschaftszweig der USA.

Ungeheuerlich, unanständig großes Geschäft

Da geht noch mehr, schließlich ist der Konsum von Cannabis derzeit in 23 Bundesstaaten (plus dem District of Columbia) aus gesundheitlichen Gründen erlaubt, als Genussmittel ist es in Colorado, Washington und Alaska gestattet - Oregon und D.C. werden bald folgen. Wie groß der Schwarzmarkt ist, weiß keiner genau. Manche Experten halten die Cannabis-Industrie in den USA mittlerweile für so groß wie die für Bier (100 Milliarden Umsatz pro Jahr) oder Tabak (78 Milliarden), vorsichtigere Schätzungen gehen von 35 Milliarden Dollar aus. Es ist ein ungeheuerliches, unanständig großes Geschäft. Unreguliert. Unversteuert.

An estimated 12,000 to 15,000 people all exhale marijuana smoke as the clock hit 4:20pm during the 4/20 event at the University of Colorado in Boulder

Rund 13.000 Menschen blasen beim 4/20-Event, einem Fest der Cannabis-Subkultur in den USA, ihre Marihuana-Wolken in die Luft: Manche Experten halten die Cannabis-Industrie in den USA mittlerweile für so groß wie die für Bier oder Tabak.

(Foto: REUTERS)

Der Umsatz ist immens - und natürlich werden deshalb zahlreiche Investoren zu Jägern des verrauchten Schatzes. Peter Thiel etwa, dem in Goldgräberkreisen gerne attestiert wird, ziemlich rasch jene Stellen im Fluss zu identifizieren, wo die dicken Nuggets herumliegen: Er hat einst den Internet-Bezahlservice Paypal gegründet und vier Jahre später für 1,5 Milliarden Dollar an Ebay verkauft. Er hat als erster externer Anleger in Facebook investiert, über seine Firma Founders Fund ist er an Unternehmen wie SpaceX, Spotify und Airbnb beteiligt.

Kürzlich hat Thiel über Founders Fund 75 Millionen Dollar in das Unternehmen Privateer Holding investiert. Das klingt langweilig, ist jedoch deshalb interessant, weil sich diese Firma mit den Erben des Musikers Bob Marley darauf geeinigt hat, unter dem Namen Marley Natural weltweit verschiedene Hanf-Produkte zu vertreiben. So soll das künftig laufen: Wenn die Menschen schon Wodka Gorbatschow trinken oder Schokoriegel mit dem Namen Baby Ruth essen, dann sollen sie auch Hanf-Produkte mit dem Namen des Marihuana-Mannes konsumieren.

"Der Kampf gegen Drogen ist verloren"

Es ist nicht zu erwarten, dass die Legalisierungen in den einzelnen Bundesstaaten zurückgenommen werden, im Gegenteil. Kalifornien etwa arbeitet daran, Cannabis auch zum Genuss freizugeben - nicht nur deshalb, weil sich zwei Drittel der Bewohner dafür aussprechen. Es geht auch ums Geld. "Analysiert man die menschlichen und finanziellen Kosten der aktuellen Gesetzgebung, dann sollte man Marihuana legalisieren", sagt Gavin Newsom zur Süddeutschen Zeitung. Er ist der stellvertretende Gouverneur von Kalifornien und gilt derzeit als aussichtsreicher Kandidat, im Jahr 2018 dem aus dem Amt scheidenden Gouverneur Jerry Brown nachzufolgen.

"Der Kampf gegen Drogen ist verloren, er hat den amerikanischen Steuerzahler Hunderte von Milliarden US-Dollar gekostet - womöglich gar eine Billion Dollar innerhalb der vergangenen 40 Jahre", sagt Newsom: "Es gibt keinen Beweis dafür, dass dieser Krieg im Fall von Marihuana erfolgreich ist." Jeder vierte Insasse in kalifornischen Gefängnissen sei wegen nicht-gewalttätiger Drogendelikte dort: "Was für eine Verschwendung. Polizisten müssen verdeckt arbeiten, dabei könnten sie sich auf schlimmere Verbrechen konzentrieren. Die Gefängnisse sind überfüllt."

Derzeit nimmt Kalifornien durch den legalen Verkauf von Marihuana pro Jahr etwa 150 Millionen Millionen Dollar an Steuern ein - bei einer Legalisierung als Genussmittel sollen es bis zu 1,5 Milliarden Dollar werden. Newsom sagt: "Wir erlauben, dass Drogenkartelle weltweit davon profitieren." Heißt übersetzt: Wenn schon jemand viel Geld verdient, könnte das doch auch der notorisch klamme Bundesstaat sein.

Gras- statt Weinprobe

Natürlich werden bei der Debatte um Legalisierung von Marihuana bisweilen lustige, süße und skurrile Geschichten erzählt. Die von den wunderbaren Cannabis-Bauernmärkten in Seattle und davon, dass der aktuelle Lifestyle-Trend in Denver nicht mehr die Weinprobe ist, sondern das Testen verschiedener Marihuana-Sorten. Oftmals wird dabei vergessen, dass es beim Grünrausch nicht nur um die Farbe der Pflanzen geht, sondern auch um die der Dollarscheine, die sich damit verdienen lassen.

Es ist ein gewaltiges Geschäft, das in den kommenden Jahren noch gewaltiger werden dürfte. Das sollte man nicht vergessen, wenn man von diesem Typen in Operationsklamotten angesprochen wird. Dem ist es in Wirklichkeit natürlich vollkommen egal, wie es einem geht. Er schert sich auch nicht um Kopfschmerzen und Rückenweh und Sportverletzungen. Er will vor allem eins: möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen.

Cannabis ist eine Droge, die in großen Teilen der Welt illegal ist. Doch das wird mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht so bleiben. Die Legalisierung von Haschisch und Marihuana schreitet voran. Uruguay war das erste Land weltweit, das Marihuana legalisiert hat. In den USA ist der Besitz von Marihuana mittlerweile in mehreren Bundestaaten erlaubt.

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