USA:Amerika rutscht in eine Rezession - ja, nein, jein

Janey Yellen

Notenbankchefin Janet Yellen steht vor schwierigen Entscheidungen.

(Foto: AP)
  • Die US-Wirtschaft hat zuletzt eine Reihe konjunktureller Schwächezeichen gesendet. Mit 0,7 Prozent gab es im vierten Quartal 2015 nur ein niedriges Wachstum.
  • Die Glaubensfrage lautet nun: Sind das die Vorboten einer Rezession, oder legt die Wirtschaft nur eine Atempause ein? Ökonomen sind uneins.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Manchmal verläuft die Frontlinie mitten durchs Büro. Sie sorgt für Diskussionen, stellt Freundschaften auf die Probe, bringt langjährige Kollegen gegeneinander in Stellung. So wie gerade bei der Deutschen Bank, Außenstelle New York.

Auf satte 40 Prozent beziffert Joseph LaVorgna die Gefahr, dass die USA noch in diesem Jahr in eine Rezession abrutschen - jenes Land wohlgemerkt, von dem es vor wenigen Wochen noch hieß, es müsste sich 2016 wegen der vergleichsweise guten Konjunkturlage auf bis zu vier Leitzinserhöhungen einstellen. Doch LaVorgna weiß, wovon er spricht, er ist Chefökonom seines Hauses für die Vereinigten Staaten.

Und doch muss das nicht heißen, dass er Recht hat, denn so kompetent er zweifellos ist: Sein Kollege Torsten Sløk, nur einige Zimmer weiter, ist es nicht minder. Und Sløk, Chefökonom der Deutschen Bank USA für die Weltwirtschaft, hat in den letzten Tagen wiederholt deutlich gemacht, was er von dem überall im Land zu hörenden Rezessionsgeraune hält: gar nichts.

Sind das tatsächlich Vorboten einer Rezession?

Fakt ist, dass die US-Wirtschaft zuletzt eine Reihe konjunktureller Schwächezeichen gesendet hat - das mit 0,7 Prozent sehr niedrige Wachstum im vierten Quartal 2015 etwa oder den vergleichsweise geringen Beschäftigungszuwachs im Januar. Die Glaubensfrage lautet nun: Sind das tatsächlich die Vorboten einer Rezession, oder legt die Wirtschaft nur eine Atempause ein? So unterschiedlich die Antwort ausfällt, so riesig ist die Prognosespanne: LaVorgna sagt für das laufende erste Quartal 2016 ein nochmals niedrigeres Wachstum von 0,5 Prozent voraus, Sløk hingegen verweist auf die Schätzung der Landeszentralbank von Atlanta, die bei 2,5 Prozent liegt.

Angesichts von so viel Ungewissheit starrt die Finanzwelt dieser Tage geradezu gebannt auf Janet Yellen, die Chefin der US-Notenbank Fed, die am Mittwoch zu ihrer turnusmäßigen halbjährlichen Anhörung vor dem Repräsentantenhaus erschien. Es war eine Gratwanderung für die Gouverneurin, denn sie wusste: Ist sie zu pessimistisch, kann nicht nur die Katerstimmung an den Börsen rasch in Panik umschlagen. Es wäre vielmehr auch das faktische Eingeständnis, dass die erste Leitzinserhöhung seit zehn Jahren im Dezember ein Fehler war. Andererseits darf eine Notenbankerin die Lage aber auch nicht so sehr gesundbeten, dass sie unglaubwürdig wird.

Entsprechend vorsichtig ging Yellen ihren Auftritt an. Sie blieb einerseits bei ihrer verhalten optimistischen Prognose, dass sich der US-Wirtschaftsaufschwung in diesem Jahr - wenn auch vielleicht etwas zögerlicher - fortsetzen werde. Zugleich aber zählte sie auch sämtliche Risiken auf, die das Wachstum in den Vereinigten Staaten von innen wie außen bedrohen. Selbstverständlich, so versicherte sie ebenso nichts- wie vielsagend, sei die Geldpolitik "nicht auf einen Kurs festgelegt", sondern stets in der Lage, umgehend auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren.

Es liegt nicht allein an China und dem niedrigen Ölpreis

Dass sich die Konjunkturstimmung in den USA seit Jahresbeginn spürbar gewandelt hat, ist nicht allein der Wirtschaftsflaute in China, dem Ölpreisverfall oder den Kursverlusten an den Aktienbörsen geschuldet. Es ist vielmehr die Kombination der Faktoren, die Experten besorgt, die Tatsache, dass alles mit allem zusammenzuhängen scheint: Weil China schwächelt, wird aus einem normalen Ölpreisrückgang ein fulminanter Absturz, der auch die US-Förderer massiv belastet und zu Kreditausfällen bei Firmenanleihen und Banken führt. Das jedoch treibt nicht nur die Zinskosten der Energiebranche, sondern der gesamten US-Wirtschaft in die Höhe.

Zugleich belastet der starke Dollar die Exportindustrie - und alles zusammengenommen führt zu massiven Kurseinbrüchen am Aktienmarkt, die wiederum die Stimmung der Verbraucher trüben. Eine wahrlich unheilvolle Mischung, die nicht nur Stephen King, Volkswirt bei der britischen Großbank HSBC, zu der Prognose veranlasst, "dass alles noch viel schlimmer kommen könnte".

In zehn der letzten zwölf Monate ist die US-Industrieproduktion gesunken oder hat stagniert - "da kommt man nicht umhin zu akzeptieren, dass das Verarbeitende Gewerbe bereits in der Rezession steckt", sagt Deutsche-Bank-Ökonom LaVorgna. Die Gefahr sei, dass der Virus auf den bisher florierenden, weitaus bedeutenderen Dienstleistungsbereich überspringe.

Ökonomen sind uneins

Und doch: Längst nicht alle Experten wollen in die Untergangs-Arie einstimmen. "Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich die ökonomische Intelligenzija darüber sinnieren höre, wie ein Ölpreisverfall eine Rezession auslösen kann", spottete David Rosenberg, Chefökonom der Anlagegesellschaft Gluskin Sheff & Associates, vor wenigen Tagen im Wall Street Journal. "Aus meiner Sicht liegt das Risiko einer US-Rezession so nahe bei null, wie nur irgendetwas nahe bei null liegen kann."

Auch Deutsche-Bank-Volkswirt Sløk glaubt, dass viele Kollegen fälschlicherweise vorübergehende konjunkturelle Probleme in strukturelle umdeuten. Zwar sei zutreffend, dass die Unternehmen schwerer an Kredite kämen als noch vor Monaten. Zugleich übersähen die Finanzmärkte jedoch die vielen positiven Signale, die ebenfalls aus der Wirtschaft kämen.

So verweist Sløk darauf, dass lediglich ein Viertel der Firmen im Verarbeitenden Gewerbe - die Energie- und energienahen Branchen nämlich - tatsächlich in der Rezession steckt, dass Löhne und Beschäftigung landesweit steigen und dass viele Verbraucher weiter Kredite aufnehmen, um Autos und andere Dinge zu kaufen. Zugleich unterschätzten viele Ökonomen die mittelfristig positiven Folgen des Ölpreisverfalls, den Aufschwung in Europa und die Möglichkeiten der chinesischen Regierung, die Konjunktur zu steuern. Alles in allem, so Sløk: "Die US-Wirtschaft ist in guter Verfassung, keine Rezession in Sicht."

Dass die Fed die im Dezember eingeleitete Zinswende einfach fortsetzen wird, daran allerdings glaubt auch der Deutsche-Bank-Mann nicht. Die meisten Experten gehen mittlerweile davon aus, dass die Notenbank ihren wichtigsten Ausleihsatz in diesem Jahr nicht, wie bisher erwartet, vier Mal um je 0,25 Punkte anheben wird, sondern allenfalls einmal - mutmaßlich erst im Dezember. Wenn denn überhaupt.

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