USA:Steuersatz null

Sogar hochprofitable Konzerne kommen in den USA sehr günstig davon, manche zahlen gar keine Steuern, zeigt eine Studie. Ob die Regierung Trump daran was ändert, ist zweifelhaft. Denn der Präsident plant ein Gesetz, das Lücken hat.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Sollte noch jemand daran gezweifelt haben, dass die USA einer umfassenden Unternehmenssteuerreform bedürfen, dann kann diese Skepsis jetzt endgültig ad acta gelegt werden: Wie eine kürzlich erschienene Studie des Washingtoner Instituts für Steuern und Wirtschaftspolitik (ITEP) belegt, ist das Abgabensystem der Vereinigten Staaten tatsächlich ungerecht - allerdings nicht, wie Präsident Donald Trump behauptet, weil die Firmen im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz zu stark belastet würden. Das Gegenteil ist der Fall: Betrachtet man statt der nominellen Steuersätze die tatsächlichen Überweisungen an die Finanzämter, so zeigt sich, dass selbst hochprofitable Konzerne oft sehr günstig davonkommen. Manche zahlen sogar überhaupt keine Steuern.

Offiziell liegt der Körperschaftsteuersatz in den USA bei 35 Prozent. Tatsächlich jedoch ist die effektive Belastung der Studie zufolge mit durchschnittlich gut 21 Prozent erheblich geringer. Um sich einen genauen Überblick zu verschaffen, hat sich das politisch eher links stehende ITEP die Bilanzen der 500 größten Unternehmen des Landes aus den Jahren 2008 bis 2015 angeschaut. Wer nur in einem dieser acht Jahre rote Zahlen schrieb, wurde nicht berücksichtigt, weil solche Verluste auch in der Folgezeit die Steuerzahlungen verringern und damit das Bild verzerren. Auch Firmen mit hohen Auslandsgewinnen wie Apple oder Coca-Cola wurden vorsichtshalber außer Acht gelassen, da das Institut ihre wahre Steuerbelastung nach eigenem Bekunden nicht exakt beurteilen kann.

Übrig blieben 258 Firmen, die seit 2008 durchgängig Gewinne erzielten. Exakt 100 von ihnen schafften es dem ITEP zufolge dennoch, in zumindest einem dieser acht Jahre keine Steuern zu zahlen. 18 Konzernen gelang dieses Kunststück sogar über den gesamten Zeitraum, darunter der Industriekonzern General Electric (GE), der Papierhersteller International Paper, einige Energielieferanten sowie der Internet-Konzern Priceline, der mehrere populäre Reise- und Reservierungsportale betreibt. Zwar weist etwa GE die Methodik der ITEP-Studie als "irreführend" zurück, der Konzern bestätigt jedoch zugleich, dass das Steuerrecht durch zahllose legale Schlupflöcher und Ausnahmebestimmungen ausgehöhlt wird.

So profitieren etwa Energieversorger von einer Sonderregelung, die es ihnen erlaubt, Investitionen gleich im ersten Jahr in voller Höhe abzuschreiben - damit sollte einst das Wachstum belebt werden. Andere Firmen, allen voran Facebook, Aetna und Exxon Mobil, schütten in großem Stil Aktienoptionen an Mitarbeiter aus und reduzieren so ihren Gewinn. Hinzu kommen zahllose branchenspezifische Steuersubventionen, mit denen unter anderem die Öl-, die Auto-, die Kino-, die Kaffee- und viele andere Industrien gefördert werden.

Welche Folgen eine Reform haben kann, zeigte sich in Kansas: Plötzlich fehlte Geld - für Bildung

Doch selbst die effektive Durchschnittslast von 21 Prozent ist wenig aussagekräftig, denn die Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen sind gewaltig. So kommen die Energieerzeuger im Durchschnitt auf einen Satz von gerade einmal drei Prozent, auch für Maschinenbauer, Telekommunikationsfirmen sowie Öl- und Gas-Förderer sieht die Statistik mit Werten von jeweils etwa 11,5 Prozent sehr günstig aus. Internet-Dienstleister zahlen knapp 16 Prozent. Dagegen liegt die effektive Steuerbelastung im Einzelhandel sowie in der Gesundheitswirtschaft bei 30 Prozent und mehr.

Fast alle Experten halten ein Konstrukt aus nominell hohen Sätzen und zahllosen Sonderbestimmungen für extrem ineffizient und plädieren für den genau umgekehrten Ansatz: niedrige Sätze - keine oder möglichst wenige Ausnahmeregeln. Tatsächlich will Trump den Körperschaftsteuersatz im Rahmen der jetzt geplanten Reform von 35 auf 15 Prozent senken. Welche Subventionen im Gegenzug beseitigt werden, ist allerdings noch völlig offen.

Hinzu kommt, dass der Präsident offensichtlich dabei ist, ein neues riesiges Steuerschlupfloch zu öffnen: Die 15 Prozent sollen nämlich nicht nur für Körperschaften gelten, sondern auch für inhabergeführte Firmen - darunter große Anwaltskanzleien, Investmentfonds und Immobiliengesellschaften, wie Trump selbst eine besitzt. Sie alle zahlen bisher keine Unternehmenssteuer, stattdessen sind die Eigentümer, wie in Deutschland, einkommensteuerpflichtig. Hier liegt der Spitzensatz derzeit bei 39,6 Prozent, künftig sollen es noch 35 sein. Ihre Einbeziehung in die Steuersenkung klingt zunächst nach Gleichbehandlung, tatsächlich jedoch käme es zu einer massiven Besserstellung inhabergeführter Firmen: Für sie nämlich wären die 15 Prozent die steuerliche Endbelastung, während bei Körperschaften der bereits versteuerte Gewinn mit der Ausschüttung an die Aktionäre nochmals belastet wird.

Experten befürchten, dass viele Körperschaften die Rechtsform wechseln werden, um in den Genuss des 15-prozentigen Endsatzes zu kommen. Wohin das führen kann, zeigt das Beispiel des Bundesstaats Kansas. Dort beschloss die republikanisch geführte Regierung 2012, den Landessteuersatz für eigentümergeführte Unternehmen auf sagenhafte null Prozent zu senken. Die Hoffnung war, dass die Reform einen Wirtschaftsboom auslösen und sich am Ende selbst finanzieren wird. Statt der erwarteten 190 000 nutzten jedoch etwa 330 000 Firmenbesitzer das Geschenk, weil viele die Rechtsform wechselten. Das Ergebnis war ein Loch im Landeshaushalt, für das am Ende die Schüler vieler staatlicher Schulen die Zeche zahlen mussten: Um Geld zu sparen, wurden sie früher und länger als sonst üblich in die Sommerferien geschickt.

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