USA:Obamas Kampf gegen Steuerflucht

505376161

Kampf gegen Steuerflucht: US-Präsident Barack Obama

(Foto: AFP)

Immer mehr US-Konzerne verlegen ihren Sitz ins Ausland, um weniger Steuern zu zahlen. Präsident Barack Obama will die Schlupflöcher jetzt schließen - notfalls im Alleingang. Doch das könnte ihm eine Klage wegen Machtmissbrauchs einbringen.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin, und Nicolas Richter, Washington

Das Geschäft schien bereits perfekt. Mancher Berater bei Goldman Sachs hatte wahrscheinlich schon den Champagner kalt gestellt, als Gregory Wasson im letzten Moment doch noch die Notbremse zog. Zwar übernimmt sein Unternehmen, der US-Pharmahändler Walgreen, wie geplant Europas größte Drogeriekette Alliance Boots mit Sitz in Bern. Die Idee aber, den Steuersitz des neu geschaffenen Gesamtkonzerns aus der Nähe von Chicago in die Schweiz zu verlagern, wird nicht umgesetzt. Zu groß ist die Angst der Walgreen-Oberen vor dem Zorn der Politiker und der Kunden daheim in den USA.

Bereits seit Monaten läuft in den Vereinigten Staaten eine zunehmend hitzige Debatte darüber, warum immer mehr große Unternehmen Zukäufe im Ausland dazu nutzen, ihren weltweiten Steuersitz in Firmenparadiese wie Irland, die Schweiz oder die Niederlande zu verlegen. Nach einer Erhebung der Nachrichtenagentur ThomsonReuters haben in den vergangenen drei Jahren 22 US-Konzerne solche "inversion mergers", also eine Art "umgekehrte Fusion", angekündigt. Dabei verbleiben die Produktionsstätten in den USA, der Konzern zahlt einen erheblichen Teil seiner Abgaben aber ab sofort im Niedrigsteuerland. In den Vereinigten Staaten müssen Kapitalgesellschaften insgesamt bis zu 40 Prozent Steuern an die nationalen, regionalen und lokalen Behörden überweisen. In der Schweiz sind es dagegen nur gut 20, in Irland sogar nur 12,5 Prozent.

"Unpatriotisches" Verhalten

Präsident Barack Obama, der das Verhalten der Unternehmen bereits in der vergangenen Woche als "unpatriotisch" gegeißelt hatte, steht unter starkem Druck, dem Trend Einhalt zu gebieten. Ausnahmsweise sind Demokraten und Republikaner im Kongress bei dem Thema prinzipiell sogar einer Meinung. Die Frage allerdings, was zu tun ist, spaltet beide Lager wieder. Während die Demokraten Steuervorteile streichen wollen, die "inversion mergers" begünstigen, plädieren die Republikaner dafür, die Unternehmensteuern zu senken und die Verlagerung des Steuersitzes damit unattraktiver zu machen. Angesichts der neuerlichen Blockade im Kongress ist Obamas Handlungsspielraum einmal mehr erheblich eingeschränkt.

Um aus der Defensive zu kommen, nutzte der Präsident am Mittwoch die Pressekonferenz zum Abschluss eines Gipfeltreffens mit afrikanischen Staatschefs erneut zu markigen Worten. "Wir möchten nicht, dass dieser Trend sich weiter verstärkt", sagte er. Das Volk wünsche nicht, dass er herumstehe und Däumchen drehe, bis das Parlament etwas beschließe. Wenn der Kongress sich nicht dazu durchringen könne, Steuerschlupflöcher per Gesetz zu schließen, werde er eben seine Optionen als Regierungschef prüfen. Es dürfe nicht zu einem "Herdentrieb" kommen, bei dem Firmen, die sich bisher an die Regeln gehalten hätten, durch die Tricksereien der Konkurrenz gezwungen würden, ebenfalls auszuwandern. "Wir möchten rasch handeln, so rasch wie möglich", sagte Obama.

USA: "Wir möchten rasch handeln, so rasch wie möglich", sagt Präsident Barrack Obama mit Blick auf die Massenflucht amerikanischer Firmen vor dem Fiskus.

"Wir möchten rasch handeln, so rasch wie möglich", sagt Präsident Barrack Obama mit Blick auf die Massenflucht amerikanischer Firmen vor dem Fiskus.

(Foto: Jewel Samad/AFP)

Obama will die Steuerflucht notfalls im Alleingang stoppen

Die Republikaner planen eine Klage gegen den Regierungschef wegen Machtmissbrauchs

Angesichts der politischen Lähmung in Washington hat der Präsident schon wiederholt versucht, Probleme mit den weitreichenden Vollmachten der Regierung zu lösen, etwa beim Klimaschutz und beim Einwanderungsrecht. Allerdings ist dieser Regierungsstil umstritten. Die Republikaner planen eine Klage wegen Machtmissbrauchs. Die neue Initiative des Präsidenten ist politisch auch im Zusammenhang mit den im November anstehenden Kongresswahlen zu sehen. Die Republikaner haben gute Chancen, die Mehrheit im Senat zu erobern. Obama und seine Demokratische Partei möchten sich dagegen als Fürsprecher der Mittelschicht profilieren, die für Steuergerechtigkeit eintreten und dafür sorgen, dass auch Konzerne und reiche Bürger ihren finanziellen Beitrag leisten.

Ob der Präsident die Steuerflucht allerdings tatsächlich ohne das Parlament stoppen kann, ist zumindest fraglich. Finanzminister Jacob Lew hatte im vergangenen Monat erklärt, im Steuerrecht habe die Regierung nur sehr beschränkte Möglichkeiten, Änderungen eigenmächtig herbeizuführen. In dieser Woche fügte das Finanzministerium allerdings hinzu, es werde prüfen, wie es die engen Spielräume nutzen könne. Die Regierung könnte zum Beispiel beschließen, keine öffentlichen Aufträge mehr an Firmen zu vergeben, die "inversion mergers" nutzen. Eine Entscheidung dazu ist aber noch nicht gefallen.

Stecken große Investmentbanken dahinter?

So richtig ins Bewusstsein der Amerikaner gedrängt hatte sich der neue Trend in diesem Frühjahr durch das Übernahmeangebot des US-Pharma-Riesen Pfizer für den britischen Konkurrenten Astra-Zeneca. Zwar lehnte dieser die Offerte im Wert von zuletzt fast 90 Milliarden Euro zunächst ab, das Thema aber war in der Welt. Allein in diesem Jahr haben bisher zehn US-Konzerne entsprechende Pläne verkündet, darunter bekannte Namen wie der Bananen-Produzent Chiquita und der Arzneimittelkonzern Abbvie. Kritiker hatten zuletzt den Verdacht geäußert, dass hinter der zunehmenden Anzahl von "inversion mergers" oft weniger ökonomische Argumente als vielmehr die großen Investmentbanken wie Goldman Sachs, Morgan Stanley oder Lazard stehen, die an den Steuersitzverlagerungen prächtig verdienen.

Für den Pharmahändler Walgreen wäre eine solche Verlagerung in doppelter Hinsicht pikant gewesen. Zum einen hätte der Bundesstaat Illinois zu den Gelackmeierten gehört - ausgerechnet Obamas Heimatstaat also. Und zum Zweiten stammt ein Großteil der Konzerneinnahmen aus dem Gesundheitssystem - also gewissermaßen aus der US-Staatskasse. "Der Konzern kam zu dem Schluss, dass es nicht im besten Interesse unserer Aktionäre ist zu versuchen, den Firmensitz in ein Land außerhalb der USA zu verlagern", erklärte Firmenchef Wasson. Ob es allerdings tatsächlich die Fürsorgepflicht für die Eigentümer war, die den Firmenvorstand zu dem Verzicht auf den steuerlichen Umzug in die Schweiz veranlassten, darf bezweifelt werden. Einige Anteilseigner jedenfalls zeigten sich alles andere als begeistert: Unmittelbar nach Bekanntwerden des Beschlusses rauschte die Walgreen-Aktie um mehr als 15 Prozent in die Tiefe.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: