USA:Größtes Casting der US-Geschichte

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Gut 50 Städte haben bereits verkündet, sich um die Investitionen von fünf Milliarden Dollar und 50 000 neuen Arbeitsplätze zu bemühen. (Foto: REUTERS)

Amerikas Städte buhlen um ein neues Amazon-Hauptquartier. Was ein Sieg für die Einwohner bedeutet, lässt sich in Seattle ablesen.

Von Kathrin Werner, New York

"Kansas City wird antreten", twitterte Bürgermeister Sly James sofort nach der Ausschreibung. "Wir werden groß denken und kreativ sein", versprach der Stadtvater von Little Rock, Mark Stodola. "Es ist eine unglaubliche Gelegenheit", frohlockte Bostons Bürgermeister Marty Walsh bei Twitter.

Ein paar Tage ist es her, dass Amazon verkündet hat, einen Standort für ein zweites Hauptquartier in Nordamerika zu suchen - und schon hyperventilieren die Bürgermeister und Stadtmarketingabteilungen. Milwaukee und Minneapolis, Denver, Dallas und San Diego, gut 50 Städte haben bereits verkündet, sich um die Investitionen von fünf Milliarden Dollar und 50 000 neuen Arbeitsplätze zu bemühen. Es ist das größte Städte-Casting der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte. Sacramento bekäme neue, junge Einwohner mit frischem Geld, bekäme Wohnungen, Restaurants, Kultur, schwärmte Barry Broome vom Greater Sacramento Economic Council. "Es wäre unglaublich. Mit einem Schlag würde sich alles ändern in unserer Wirtschaft."

Amazon ist ein Turbo-Gentrifizierer

Was es bedeutet, wenn Amazon Milliarden investiert und Zehntausende den Wohnungsmarkt einer mittelgroßen Stadt bedrängen, kann man an Seattle ablesen, dem derzeitigen Hauptsitz: Im August ist der Preis für ein Einfamilienhaus im Vergleich zum Vorjahr um 18,2 Prozent gestiegen. Autofahrer verbrachten 2016 im Schnitt 55 Stunden im Stau.

Amazon hat in Seattle mehr Büroflächen als die nächsten 40 Arbeitgeber zusammen. Die Einwohnerstruktur sieht mehr und mehr aus wie die Tech-Industrie insgesamt: vor allem junge, weiße Männer sind zugezogen. Amazon ist ein Turbo-Gentrifizierer.

Für HQ2, so der Codename des neuen Büros, will Amazon Unis und Schulen in der Nähe, hohe Lebensqualität und öffentliche Verkehrsmittel, es sieht nicht so aus, als hätten strauchelnde Städte wie Detroit eine Chance. Andere Gegenden wie Indiana oder North Carolina dürften ausscheiden, weil Amazon weltoffene Eingeborene will - nicht solche, die sich weigern, Torten für Hochzeiten Homosexueller zu backen oder Toiletten mit Transsexuellen zu teilen. Andererseits, unken Kritiker, kann Amazon selbst googeln, in welchen Städten es Flughäfen und niedrige Mietpreise gibt. Einziger Zweck der Ausschreibung sei, die Kommunen dazu zu bringen, einander mit Steuergeschenken zu übertrumpfen. Im Ausschreibungsprospekt sagt Amazon: "Bitte listen Sie alle angebotenen Subventionen auf."

Das Wettbieten um Unternehmensstandorte ist kein neues Spiel. Im Jahr 1993 hat Mercedes-Benz Angebote für das erste Werk in Nordamerika gesammelt - am Ende gewann Alabama. Kritiker rechneten vor, dass jeder einzelne Arbeitsplatz den Südstaat 200 000 Dollar koste, so viel muss ein Fabrikarbeiter erst einmal verdienen. Doch die Daimler-Fabrik wuchs, Zulieferer siedelten sich an, dann folgten andere Autobauer. Danach wurden die Angebote immer aberwitziger. Wisconsin hat für eine Display-Fabrik von Foxconn gerade Zuschüsse von drei Milliarden Dollar abgenickt und Umweltregeln ausgehebelt. Am 19. Oktober läuft Amazons Angebotsfrist ab, das milliardenschwere Casting geht in die nächste Runde.

© SZ vom 14.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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