USA:Die erschlafften Staaten von Amerika

Heftig streiten die Amerikaner um ihre Schuldengrenze. Warum eigentlich? Weit schlimmer ist, dass auch im vierten Jahr nach Ausbruch der Finanzkrise Präsident Obama die USA nicht in Schwung bringt - obwohl er Hunderte Milliarden Dollar in die Wirtschaft gepumpt hat.

Hans von der Hagen

Manche lebten mit einer so erstaunlichen Routine, dass es schwerfalle zu glauben, sie lebten zum ersten Mal, stellte einst der Satiriker Stanislaw Lec fest. Aber wie viele Leben muss man eigentlich hinter sich haben, um dem, was sich dieser Tage in den Vereinigten Staaten abspielt, noch mit Gleichmut begegnen zu können?

Barack Obama

Obama muss feststellen, dass er sich den Aufschwung nicht einfach kaufen kann.

(Foto: AP)

Vordergründig scheint alles halb so wild zu sein: Die USA muss die Grenze anheben, bis zu der sie künftig Schulden machen darf. Das hat sie seit 1939 mit verstörender Regelmäßigkeit schon 89 Mal gemacht - die Couleur des Präsidenten spielte dabei keine Rolle. Bei der anstehenden Anhebung soll die Grenze von 14,3 Billionen Dollar auf knapp 17 Billionen Dollar heraufgesetzt werden - die Differenz entspricht dem 1,3fachen aller deutschen Schulden.

Warum nun sollen 17 Billionen Dollar so viel schlimmer als 14 Billionen sein? Per se sind sie das auch nicht - noch immer sind Gläubiger bereit, den USA günstig Kredit zu geben. Gefährlich sind aber die Umstände, unter denen die neuen Schulden gemacht werden. Seit 2008 hat sich, bedingt durch die Finanzkrise, das Tempo der Verschuldung dramatisch verschärft: Während etwa in den Jahren 2006 und 2007 der Schuldenberg jeweils um sechs Prozent wuchs, waren es 2008 mehr als 14 Prozent. 2009 und 2010 war die Rate kaum niedriger.

Und obwohl mehrere hundert Milliarden Dollar staatlicherseits in die Wirtschaft geflossen sind, mit denen Banken gerettet, Kreditnehmer gestützt und der Konsum stimuliert wurden, findet das Land keinen Tritt. Aufschwung? Gibt's nicht. Zumindest keinen, wie Ökonomen das gerne formulieren "sich selbsttragenden Aufschwung".

Pleitewelle bei den Banken

Zwar wuchs die Wirtschaft im vergangenen Jahr um knapp drei Prozent und dürfte 2011 ähnlich zulegen. Allein: Wenn nicht gleichzeitig Arbeitsplätze geschaffen werden, interessiert das einen Amerikaner nicht. Die Arbeitslosenquote verharrt bei mehr als neun Prozent. In den letzten Jahrzehnten lag sie nur Anfang der achtziger Jahre etwas höher. Für ein Land wie die Vereinigten Staaten, das Krisen vor allem durch einen raschen Aufbau an Beschäftigung zu lösen versucht, ist eine Quote auf diesem Niveau eine Katastrophe - sie lastet schwer auf dem Volk. So überrascht es nicht, dass das regelmäßig erhobene Verbrauchervertrauen auf einem Niveau liegt, das Ökonomen schon als typisch für kräftige Rezessionen bezeichnen. Lediglich nach der Lehman-Pleite und zu Beginn der neunziger Jahre war diese Kennziffer in den letzten beiden Dekaden noch weiter abgerutscht.

Aber auch der Immobilienmarkt, dessen Absturz 2007 die Finanzkrise ausgelöst hatte, konnte die 2009 einsetzende zaghafte Erholung nicht mehr fortsetzen. Seit Monaten kennen die Preise für Häuser und Geschäftsbauten nur noch eine Richtung - abwärts.

Die Folgen sind offensichtlich: Finanzierungen platzen und die hohe Zahl der Zwangsvollstreckungen drückt wiederum auf die Preise. Die Krise im US-Finanzsektor ist eben noch lange nicht vorbei, selbst wenn die Gewinne der großen Banken dank des prächtig laufenden Investmentgeschäfts das Gegenteil vortäuschen. Im vergangenen Jahr wurden in den USA gut 160 Banken abgewickelt, 2011 waren es allein bis Mitte Juli nochmals 55. Zum Vergleich: Im Zeitraum von 2000 bis 2007 einschließlich waren es insgesamt 27 Banken.

Die Vereinigten Staaten stehen derzeit schlechter da als vor Ausbruch der Finanzkrise 2007 - nur ist der Schuldenberg seither um mehr als das Anderthalbfache gestiegen.

Jetzt, mit den vielen Schulden im Nacken, ist Obamas Handlungsspielraum geringer denn je. Da hilft es auch nicht, dass die US-Notenbank einen Teil der US-Staatspapiere kauft - vulgo: Geld druckt -, sich die Zinsen von der US-Regierung bezahlen lässt, und diese am Ende wieder als Gewinn nach Washington überweist. Es ist ein verwegener Kreislauf.

Und weg ist das Wirtschaftsteam

Nicht ohne Grund sind in den vergangenen Wochen die Versicherungsprämien für einen Ausfall der US-Schulden in die Höhe geschnellt. Sie liegen zwar gemessen an Pleitestaaten wie Griechenland oder Portugal noch immer tief, gleichwohl signalisiert der Anstieg, dass das simple "immer weiter so" nicht mehr funktioniert. Ökonomen, die seit Generationen US-Staatsschulden - mangels Alternativen - als Synonym für eine "sichere" Anlageform nannten, müssen Umdenken lernen.

Dies drückte sich auch in den Drohungen der Ratingagenturen Standard & Poor's und Moody's aus. Beide Unternehmen kündigten an, die Kreditwürdigkeit der USA herabzusetzten. Zwar ist die Drohung zum Teil darauf gemünzt, dass die Vereinigten Staaten Anfang August formell pleite wären, wenn sich Republikaner und Demokraten nicht auf eine neue Schuldenobergrenze einigten. Doch sie signalisiert zugleich, dass die USA ihrer Probleme derzeit nirgends mehr Herr werden. Immerhin seit 70 Jahren bewertet die S&P die Bonität der Vereinigten Staaten, aber weder Krieg noch Krise führten dazu, dass dem Land je die Bestnote AAA aberkannt worden wäre. Jetzt aber ist das Maß voll - S&P verlangt einen konkreten Plan zum langfristigen und massiven Defizitabbau. Die Anhebung der Schuldengrenze ist dabei noch das Problem, dass sich am leichtesten lösen lässt.

Auf seltsame Art bestätigt sich noch an anderer Stelle, wie verfahren die Lage in den USA ist. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich das mit klangvollen Namen bestückte Wirtschaftsteam von Präsident Obama weitgehend aufgelöst - zerrieben zwischen der Notwendigkeit, die Konjunktur wieder anzufachen und gleichzeitig die Grundsätze ordentlichen Wirtschaftens einzuhalten.

Unlängst erklärte Finanzminister Timothy Geithner, dass er an Rücktritt denke. Den Anfang aber hatte vor einem Jahr schon Haushaltsdirektor Peter Orszag gemacht, der vor dem untragbaren Defizit warnte. Die Berkeley-Professorin Christina Romer, die sich die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zum Ziel gesetzt hatte, folgte ihm. Larry Summers, der unter Clinton zwei Jahre Finanzminister war - ging gegen Jahresende 2010. Zwei Monate später verließ auch der Grandseigneur der US-Geldpolitik, Paul Volcker, Obamas Team. Und selbst der Nachfolger von Christina Romer hielt es nur einige Wochen aus.

Die Erkenntnis, dass sich dieses Mal der Aufschwung nicht durch zusätzliche Ausgaben herbeikaufen ließ, sondern sich die Vereinigten Staaten mühsam gesundsparen müssen, mag maches Mitglied im Beraterteam erschreckt und zum Gehen bewegt haben. Wer spart, erntet keinen Ruhm.

Vielleicht aber hatten sie auch nur noch nicht genügend Leben hinter sich gebracht, um die verfahrene Lage in der US-Wirtschaft mit Gleichmut ertragen zu können.

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