US-Wirtschaftspolitik:Die Rückkehr des John Maynard Keynes

Die Kreditkrise hat einen Richtungswechsel in der US-Wirtschaftspolitik ausgelöst: Die Lehren des legendären englischen Ökonomen John Maynard Keynes werden wieder aktuell.

Nikolaus Piper

Die amerikanische Wirtschaftspolitik ist schon lange pragmatischer als die deutsche. Über Angebots- und Nachfragepolitik wird kaum ideologisch diskutiert. Präsident Jimmy Carter, der eher der Politik der Nachfragesteuerung anhing, baute in den siebziger Jahren die Regulierung von Luftverkehr und Telekommunikation ab und verbesserte so massiv die Angebotsbedingungen der amerikanischen Wirtschaft. Der Angebotspolitiker Ronald Reagan nahm gerne in Kauf, dass seine Steuersenkungen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in die Höhe trieben.

US-Wirtschaftspolitik: John Maynard Keynes war einer der bedeutendsten Ökonomen des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine Einstellung gegenüber freien Märkten - eher skeptisch.

John Maynard Keynes war einer der bedeutendsten Ökonomen des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine Einstellung gegenüber freien Märkten - eher skeptisch.

(Foto: Foto: Getty Images)

In der jetzigen Krise jedoch scheint sich ein Paradigmenwechsel in Washington abzuzeichnen. Präsident George W. Bush, der demokratisch dominierte Kongress und Notenbankpräsident Ben Bernanke stemmen sich gegen die drohende Rezession mit Methoden und Argumenten, die so eindeutig nachfragepolitisch motiviert sind, wie es dies in Washington seit 30 Jahren nicht mehr gegeben hat. Zwar hat bisher noch niemand den Namen des britischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883 - 1946) genannt, doch folgt die amerikanische Politik derzeit fast lupenrein dessen Lehren.

Präsident und Kongress wollen mit einem "Stimulus" von 150 Milliarden Dollar, vielleicht auch mehr, die Nachfrage anregen. Zum Teil sollen die Verbraucher und Unternehmer durch Steuersenkungen entlastet werden, zum Teil sollen Familien direkt Geld bekommen, etwa in Form von Heizkostenzuschüssen. Die Notenbank hat die Zinsen in einer Eilentscheidung um 0,75 Prozentpunkte gesenkt, um eine Rezession abzuwenden; nächste Woche dürfte eine weitere Senkung um 0,5 Prozent folgen. Beides zusammen ist eine historisch einmalige Lockerung der Geldpolitik.

Der Bezug zu Keynes ist eindeutig. Die keynesianische Revolution in den dreißiger Jahren wuchs aus der Erkenntnis, dass die Selbstheilungskräfte des Marktes meist nicht ausreichen, um Vollbeschäftigung zu sichern. Zunächst erkannte Keynes, dass während einer Deflation die Löhne nicht sinken können, so wie das nötig wäre, um nach der klassischen Lehre Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen.

Erstens verhindern die Gewerkschaften dies, zweitens wären es auch gar nicht wünschenswert, weil niedrigere Löhne die Deflation beschleunigen würden. Daher forderte er in seinem Buch "Vom Gelde" (1930), dass die Notenbank durch Zinssenkungen eine Deflation von vorneherein verhindert. In seiner "Allgemeinen Theorie" (1936) ging Keynes noch weiter: Anders als die Klassiker behaupteten, sei der Kapitalmarktzins nicht geeignet, Sparen und Investieren in Einklang zu bringen. Der Zins wird von spekulativen Motiven der Anleger bestimmt, die Investitionen hängen von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ab. Daher muss der Staat notfalls einspringen.

Keynesianische Programme erfordern Mut

Zwar droht in Amerika keine Deflation, im übrigen ist die Situation typisch keynesianisch: Die Krise auf den Finanzmärkten droht zu einem plötzlichen Ausfall an Nachfrage und einer Abwärtsspirale zu führen. Das spricht aus Sicht der Theorie durchaus für ein Programm im Sinne von Keynes. Nur gelten eben auch die Argumente von dessen Kritikern: Wird es gelingen, den richtigen Zeitpunkt zu finden? Oft haben Nachfrageprogramme wegen unvermeidlicher bürokratischer Verzögerungen erst gewirkt, als die Krise schon vorbei war. Werden die Unternehmer wirklich mehr investieren? Oder antizipieren sie, dass die Ausgaben von heute Einsparungen oder Steuererhöhungen in der Zukunft bedeutet?

Tatsächlich wird die Sanierung des amerikanischen Staatshaushalts schwieriger werden, wenn der Kongress Steuersenkungen beschließt, vor allem, wenn diese dauerhaft sein sollten. Die lockere Geldpolitik der Federal Reserve schafft eine Flut von Liquidität, die bald wieder die nächste Spekulationsblase oder steigende Preise auslösen könnten. Bisher haben keynesianische Programme meist daran gelitten, dass die Politiker nicht den Mut hatten, in guten Zeiten gegenzusteuern und zu sparen.

Der Paradigmenwechsel hat in Washington scharfe Reaktionen konservativer Kommentatoren ausgelöst, so auf der Meinungsseite des Wall Street Journal. Trotzdem besteht kaum ein Zweifel, dass ein großes keynesianisches Konjunkturprogramm kommen wird. Präsident Bush muss handeln, wenn der republikanische Kandidat bei der Präsidentschaftswahl am 4. November auch nur den Hauch einer Chance haben soll. Und die Demokraten müssen mitmachen, wenn sie nicht als verantwortungslose Gesellen dastehen wollen. Wer auch immer gewinnt, wird beweisen müssen, dass er trotz dieses Programms den Staatshaushalt in Ordnung bringen kann.

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