US-Wirtschaftspolitik:Der Retter, den keiner braucht

Der US-Präsident will mit Gewalt Jobs nach Amerika zurückholen. Dabei kommen sie schon längst ohne ihn.

Von Karl-Heinz Büschemann und Catherine Hoffmann

Donald Trump ist besessen von China. In Hunderten Tweets und Youtube-Videos hat der Wahlkämpfer und heutige US-Präsident klargemacht, dass er die Chinesen für Diebe hält. "Sie stehlen unsere Arbeitsplätze, sie nehmen unser Geld. Sie töten uns." Diese bissige Rhetorik, die den freien Warenhandel mit anderen Nationen für Raub oder Betrug hält und nicht als Vorteil der globalen Wirtschaft für die eigenen Bürger sieht, hat bei Trump-Wählern verfangen. Seine Kampfansage an den freien Handel, der angeblich Arbeitsplätze kostet, trifft den Nerv vieler Amerikaner, vor allem derjenigen, die von der Globalisierung nicht profitieren und sich abgehängt fühlen.

Aber stimmt es, dass die US-Wirtschaft in Agonie liegt, die Globalisierung in der amerikanischen Gesellschaft ein Blutbad angerichtet hat und ganze Landstriche verödet sind, weil die Arbeitsplätze ins billige Ausland gewandert sind? Trump übertreibt hier maßlos.

Tatsächlich zieht die Zahl der Beschäftigten in der amerikanischen Industrie schon seit Jahren überraschend wieder an. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise hatte die Zahl der Stellen im verarbeitenden Gewerbe mit 11,5 Millionen ihren Tiefpunkt erreicht. Das war im Jahr 2010. Seither entstanden beinahe eine Million neuer Arbeitsplätze, die meisten gut entlohnt. Im Durchschnitt zahlen die Unternehmen einfachen Angestellten knapp 23 Dollar die Stunde, mehr als für die Dienstleistungsjobs, die über viele Jahre hinweg zwar Ersatz für wegfallende Industriearbeitsplätze boten, aber weitaus schlechter bezahlt wurden. Seit sich die Industrie wiederbelebt, ist auch das Defizit, das die USA im Handel mit China ausweisen, nicht weitergewachsen - immerhin.

Die Statistiken zeichnen also ein viel freundlicheres Bild als Trump: Sie zeigen, dass China nicht die räuberische Wirtschaftsmacht ist, die allein Schuld an den Problemen der US-Wirtschaft trägt. Sie zeigen auch, dass Amerika gerade einen industriellen Wiederaufstieg erlebt, der vor einem Jahrzehnt noch unvorstellbar erschien. Und all das gelang ohne Trump.

Der technische Fortschritt hat wohl mehr Industrie-Jobs gekostet, als alle Verlagerungen

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass im verarbeitenden Gewerbe seit 1979, als die Zahl der Beschäftigten mit 19,5 Million den höchsten Stand erreichte, sieben Millionen Jobs verloren gingen. Die Herstellung einfacher Dinge - Turnschuhe, Toaster - wurde nach China oder in andere Billiglohnländer wie Mexiko verlagert. Das lässt sich am rapiden Anstieg der Importe aus diesen Ländern ablesen. Wahr ist auch, dass viele Industriearbeitsplätze wegrationalisiert wurden, weil moderne Fabriken dank Automatisierung und flexibler Arbeitszeiten nur noch einen Buchteil der Beschäftigten von einst brauchen. Und es stimmt ebenfalls, dass viele amerikanische Produkte im Ausland nicht wettbewerbsfähig sind. Autos aus Detroit beispielsweise, die mit europäischen Qualitätsstandards kaum mithalten können, haben in Europa keine Chance.

US-Wirtschaftspolitik: Gute Nachrichten vom amerikanischen Arbeitsmarkt: Es gibt mehr Jobs, auch in der Industrie. Dort wurden seit dem Jahr 2010 eine Million neuer Stellen geschaffen.

Gute Nachrichten vom amerikanischen Arbeitsmarkt: Es gibt mehr Jobs, auch in der Industrie. Dort wurden seit dem Jahr 2010 eine Million neuer Stellen geschaffen.

(Foto: Blend Images)

Der neue Präsident hat es wohl noch nicht bemerkt: US-Firmen holen verstärkt Arbeitsplätze aus dem Ausland ins eigene Land zurück. Das gilt auch für anderes Industrienationen. Trump hält sich für die Spitze einer Bewegung, die längst ohne ihn läuft. Fachleute sprechen von "Reshoring". Es lohnt sich, seit die Kostenunterschiede zwischen der Fertigung daheim und im Ausland schrumpfen. Zahlen der amerikanischen Reshoring Initiative, einer gemeinnützigen Organisation, zeigen, dass in den vergangenen sechs Jahren 265 000 Fabrikjobs in die USA zurückgeholt wurden, die meisten aus China.

Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) hat in mehreren Umfragen bei US-Unternehmen herausgefunden, dass sich Firmen zunehmend an den Kosten für die komplizierte Logistik bei langen Transporten aus Übersee stören, an den Lagerhaltungskosten und an der Komplexität der Zulieferkette. "In einem Kühlschrank stecken zwei Stunden Arbeit", sagt etwa der Chef von General Electric, Jeffrey Immelt. "Es ist also wirklich egal, ob sie den in Mexiko, den USA oder China herstellen. Es geht heute nicht um Outsourcing, sondern um Globalisierung, also darum, Märkte schneller zu erobern als die Konkurrenz." Die Automatisierung der Fabriken tut ein Übriges. Wo zunehmend Roboter die Arbeiter in den Fabriken ersetzen, wird das Personal als Kostenfaktor immer unbedeutender.

Ohnehin ist auch China längst kein Billiglohnland mehr. Die Löhne haben sich im produzierenden Gewerbe zwischen 2004 und 2014 beinahe verfünffacht. Zieht man auch noch die Produktivität und Energiekosten ins Kalkül, schrumpft der vermeintliche Vorsprung dramatisch: Die durchschnittlichen Produktionskosten in der Volksrepublik sind dann nur noch um fünf Prozent geringer als in den USA. "Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit der USA im Vergleich zu China und vielen anderen großen Exportwirtschaften kurzfristig weiter verbessern wird", sagt BCG-Partner Michael Zinser.

Die Wut des US-Präsidenten auf die vermeintlich vaterlandslosen Konzernchefs ist nicht zu begründen. Ja, Unternehmen lagern Arbeit aus, um ihren Kunden näher zu kommen, auch um Kosten zu sparen. Andererseits bringen ausländische Firmen auch Jobs in die USA. Allein die deutschen Autohersteller BMW, Daimler und VW haben in den vergangenen Jahrzehnten Fabriken mit 33 000 Arbeitsplätzen auf grüne Wiesen in den Südstaaten gestellt, wo es zuvor kaum Industrie gab. Deren Zulieferer schufen noch einmal 77 000 Stellen. Mit allen Folgejobs in anderen Branchen sorgte allein die Deutschen in den USA für mehr als 250 000 Stellen.

GE-Chef Jeffrey Immelt

"In einem Kühlschrank stecken zwei Stunden Arbeit. Es ist also wirklich egal, ob sie den in Mexiko, den USA oder China herstellen. Es geht heute nicht um Outsourcing, sondern um Globalisierung, also darum, Märkte schneller zu erobern als die Konkurrenz."

Was der Präsident wohl auch übersieht: Mehr als die Hälfte der BMWs oder Daimlers, die in den USA gebaut werden, gehen in den Export, zum Teil nach Deutschland. Das stärkt die Außenhandelsbilanz der USA. Von Betrug an den amerikanischen Arbeitern kann nicht die Rede sein. Denn auch die US-Wirtschaft profitiert vom Verkauf im Ausland. Autos der Konzerne GM, Ford und Fiat-Chrysler haben in Deutschland einen Marktanteil von 15 Prozent. Die Deutschen kommen in den USA nur auf 7,3 Prozent.

Warum nur hat Trump dann so viel Erfolg mit seinen Tiraden von schlechten Deals mit ausländischen Handelspartnern, wenn Jobs nach Amerika zurückkehren, wenn die Löhne steigen und sich die Lage der Industrie verbessert?

Die Antwort ist: Nicht alle Arbeiter haben am Aufschwung teil. Gewinner sind vor allem Beschäftigte mit hoher Qualifikation, die computergesteuerte Produktionsanlagen steuern können. Ungelernte Arbeiter aber, die früher in der Textil-, Möbel- oder Stahlindustrie waren und die der Präsident zu den "vergessenen Männern und Frauen unseres Landes" zählt, schlagen sich heute mit miesen Jobs durch oder sind arbeitslos. Denn T-Shirts oder Pressholz-Möbel lassen sich in den USA nicht rentabel produzieren, jedenfalls nicht zu anständigen Löhnen.

Aber längst nicht alle Jobs, die verschwunden sind, wurden "gestohlen", wie Trump unterstellt. Wissenschaftler wie Daron Acemoğlu, David Autor und andere schätzen, dass von den 5,8 Millionen Stellen im verarbeitenden Gewerbe, die zwischen 1999 und 2011 verloren gingen, lediglich eine Million nach China gingen.

Es muss also noch andere, gewichtigere Gründe geben für den Schwund der Fabrikarbeitsplätze. Vieles spricht dafür, dass der technische Fortschritt mehr Menschen den Job gekostet hat als die Verlagerung ins Ausland. Der Beitrag der Autoindustrie zur US-Wirtschaftsleistung etwa sank seit 1994 um rund zehn Prozent - gleichzeitig schrumpfte die Zahl der Beschäftigten dort um 30 Prozent. Selbst wenn es Trump gelänge, die Jobs aller US-Arbeiter, die ins Ausland gingen, zurückzuholen - in den Automobilfabriken wären trotzdem weitaus weniger Menschen beschäftigt als 1994, weil die Produktivität dramatisch gestiegen ist.

Und die ärmeren Amerikaner, die von staatlichen Lebensmittelkarten oder Billigjobs leben müssen, eignen sich auch nicht als reine Opfer der Globalisierung. Es gehört ebenso zur Wahrheit, dass die US-Verbraucher von den Billigimporten aus China und anderen Ländern profitiert haben, gerade jene mit geringen Einkommen, die fast ihr ganzes Geld fürs alltägliche Leben ausgeben müssen. Kleider zum Beispiel kosten heute genauso viel wie 1986 und Möbel sind so günstig wie vor 35 Jahren. Der globale Handel macht es möglich.

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