US-Krawattenverband:Männer entbinden

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Sechs Jahrzehnte nach der Gründung löst sich in New York die Men's Dress Furnishing Association, der amerikanische Krawattenverband, auf. Männer wie Gordon Gekko sind halt selten geworden.

Nikolaus Piper

Ein richtiger Kerl an der Wall Street sieht aus wie Michael Douglas. In seiner Rolle als Gordon Gekko hat der Schauspieler das Bild vom typischen New Yorker Spekulanten geprägt: kalte Augen, schmaler Mund, blaues Hemd mit weißem Kragen, Hosenträger und - natürlich - Krawatte. So war das jedenfalls 1987, als der Film "Wall Street" in die Kinos kam, als der Finanzjongleur Michael Milken noch nicht im Gefängnis saß und der Firmenaufkäufer Carl Icahn seine besten Jahre hatte.

Stilbildend: Michael Douglas als Gordon Gekko. (Foto: Foto: oH)

Auch heute gibt es wieder viel Gier an der Wall Street, mit einem Unterschied freilich: Die Spekulanten tragen keine Krawatten mehr. Viele der Hedge-Fonds-Manager, die in den letzten Jahren Milliarden gemacht haben, sitzen in Khaki-Jeans und Polohemd irgendwo in einem kleinen Büro an der Küste von Connecticut und meiden die Öffentlichkeit. John Paulson, der derzeitige Star der Branche, der 3,7 Milliarden Dollar an der Krise verdiente, läuft zwar mit blauem Anzug und rotem Schlips durch New York, aber er fällt gerade deshalb auf wie ein bunter Hund.

Legeres Manhattan

Im Finanzdistrikt von Manhattan jedenfalls geht es leger zu. Am Freitagnachmittag trifft man selbst an den feinsten Adressen, dem Büroturm von Goldman Sachs an der Broad Street etwa, oder der Residenz der Deutschen Bank an der Wall Street, die meisten jungen Männer mit offenem Hemd und ohne Sakko. Nicht dass die Großverdiener aus den Mergers & Acquisitions- und Fixed-Income-Abteilungen kein Geld für Mode ausgeben würden, im Gegenteil. Sie lassen sich Maßanzüge schneidern oder kaufen ihren teuren Markenanzug aus Europa beim Herrenausstatter Hickey Freeman am unteren Broadway - aber sie lassen hinterher die Krawatte weg.

Der allgemeine Trend der Amerikaner zu lockerer Kleidung im Büro hat jetzt ein prominentes Opfer gefordert: In New York löste sich die Men's Dress Furnishing Association, der amerikanische Krawattenverband, 60 Jahre nach Gründung in aller Stille selber auf. Der Verband hatte zuletzt noch 25 Mitglieder gehabt; in den achtziger Jahren, als Leute wie Gordon Gekko die Mode bestimmten, hatten sich über 120 Firmen in der Interessenvertretung engagiert.

Ein Verbandsmitglied, Marty Staff, Chef der Herrenmodefirma JA Apparel, begründete in der Tageszeitung Wall Street Journal die Auflösung so: "Früher war es so, dass der Kerl in marineblauem Anzug, weißem Hemd und Burgunder-Krawatte der Chef war. Heute ist es der Buchhalter." Die psychologische Botschaft dahinter ist nicht zu überhören. Mit einer Krawatte verschafft sich ein Mann nicht mehr unbedingt Respekt, er wird unter Umständen nur noch als kleinkarierter, uncooler Typ belächelt.

Nur sechs Prozent tragen Krawatte

Die Zahlen sind eindeutig: Im Jahr 1995 wurden in den Vereinigten Staaten Krawatten für 1,3 Milliarden Dollar verkauft, 2007 betrug der Umsatz damit gerade noch 670 Millionen Dollar. Nach einer Umfrage des Gallup-Instituts gehen heute noch ganze sechs Prozent der berufstätigen Männer jeden Tag mit Schlips ins Büro, verglichen mit zehn Prozent bei der letzten Umfrage 2002. Damit lassen sich keine großen Geschäfte mehr machen.

Es gibt allerdings einen Anlass, bei dem amerikanische Männer auch heute noch Krawatten tragen sollten: beim Bewerbungsgespräch. Die bisher noch nicht abgeschaltete Internet-Seite des Krawattenverbandes gibt den Lesern dazu detaillierte Ratschläge: Die Krawatte sollte modisch sein, aber nicht zu sehr, sie sollte weder Knitterfalten noch Flecken haben und im einfachen Mailänder Knoten gebunden sein. "Mit einer Krawatte können Sie nichts falsch machen, die Krawatte kann Ihnen im Gegenteil helfen, den Job letztlich zu bekommen", heißt es dort.

Vielleicht hat die Krawattenindustrie also doch noch eine Chance: Die Kreditkrise hat in den vergangenen Monaten schon Zehntausenden Männern in den amerikanischen Finanzfirmen den Arbeitsplatz gekostet. Und alle müssen jetzt Bewerbungsgespräche führen.

© SZ vom 06.06.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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