US-Haushaltskrise:Vor dem Tabubruch

US-Haushaltskrise: Der Joshua Tree National Park in Kalifornien: Touristen müssen aufgrund des Government Shutdowns draußen bleiben.

Der Joshua Tree National Park in Kalifornien: Touristen müssen aufgrund des Government Shutdowns draußen bleiben.

(Foto: Robyn Beck/AFP)

Die Sorge um die Konsequenzen der Haushaltskrise in den USA ist berechtigt: Demokraten und Republikaner sind sich spinnefeind, die Republikanische Partei ist tief gespalten. Und Präsident Obama? Zeigt seine immensen Schwächen im Umgang mit dem Kongress. Washington hat die Fähigkeit zum Kompromiss verloren.

Ein Kommentar von Nikolaus Piper

Nein, es ist keine Katastrophe für Amerika, wenn 800.000 Staatsangestellte eine Zeitlang in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt werden. Die Tatsache, dass Nationalparks, Museen, das Umweltamt und die Raumfahrtbehörde Nasa schließen müssen, weil der Kongress Präsident Obamas Haushalt nicht freigibt, empört verständlicherweise die Betroffenen, aber es schädigt die Wirtschaft bisher kaum.

Wer nicht gerade die Freiheitsstatue oder das Washington Monument besichtigen will, der nimmt den "Government Shutdown" kaum wahr. Die Schließung der Regierung ist auch kein Indiz dafür, dass die USA überschuldet wären, im Gegenteil: Die Haushaltslage bessert sich mit zunehmendem Wirtschaftswachstum schnell. Das Staatsdefizit ist von 10,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Obamas erstem Haushalt 2009 auf heute 4,0 Prozent zurückgegangen, und es wird weiter sinken.

Der Shutdown ist auch kein einmaliges Ereignis. Für Europäer mag der Vorgang unvorstellbar sein, in den USA hat es Vergleichbares immer wieder gegeben, allein seit dem Amtsantritt Ronald Reagans 1981 fünf Mal. So etwas scheint zu den unvermeidlichen Reibungsverlusten in einem Regierungssystem zu gehören, das, anders als in Deutschland, das Prinzip der Gewaltenteilung bis ins Extrem lebt.

Das alles stimmt, und doch ist diesmal alles anders. Die weltweite Sorge um die Konsequenzen der Haushaltskrise in den USA ist berechtigt, weil sich die politische Dynamik in Washington geändert hat. Nicht nur sind sich Demokraten und Republikaner spinnefeind wie seit dem Bürgerkrieg nicht mehr. Die Republikanische Partei ist in sich tief gespalten zwischen Moderaten und extremistischen Tea-Party- Leuten. Präsident Obama zeigt seine immensen Schwächen im Umgang mit dem Kongress. Momentan hat Washington die Fähigkeit zum Kompromiss verloren.

Amerika bräuchte das Äquivalent zur deutschen Agenda 2010

Hieraus ergeben sich zwei gewaltige Risiken für Amerika und seine Rolle in der Welt. Kurzfristig geht es um die Schuldengrenze, die der Kongress festsetzt. Sie wird am 17. Oktober erreicht, danach geht der Regierung das Geld aus - im Wortsinne. Der Finanzminister darf sich nichts mehr borgen und könnte im Extremfall gezwungen sein, seinen Schuldendienst einzustellen. Es wäre der technische Staatsbankrott, ein ungeheurer Tabubruch mit unabsehbaren Konsequenzen. Auf jeden Fall würden die Ratingagenturen die USA herabstufen, die Zinsen auf Staatsanleihen würden steigen, was dem Haushalt nicht minder als dem globalen Finanzsystem schaden würde. Bis jetzt bleiben die Finanzmärkte gelassen, sie gehen davon aus, dass letztlich niemand eine so bodenlose Dummheit begehen wird. Aber diese Meinung kann sich über Nacht ändern.

Auch wenn der Bankrott vermieden wird, was derzeit immer noch der wahrscheinlichste Fall ist, gefährdet die mangelnde Bereitschaft zum Kompromiss die wirtschaftliche Zukunft der USA. Das Staatsdefizit ist zwar derzeit kein Problem, es wird aber eines nach 2020. Dann wirkt sich der demografische Wandel voll auf die sozialen Sicherungssysteme aus. Wenn sich nichts ändert, geraten dann der Bundeshaushalt und noch stärker die Budgets der Bundesstaaten in eine schwere Krise. Amerika bräuchte dann einen historischen Kompromiss, das Äquivalent zur deutschen Agenda 2010. Wer in Rechnung stellt, wie umstritten die - letztlich erfolgreiche - Agenda bis heute in Deutschland ist, der kann ahnen, was es bedeuten wird, angesichts des vergifteten Klimas in Washington eine Lösung zu finden.

Wegen dieser Risiken ist es so wichtig, dass die derzeitige Haushaltskrise in Washington beendet wird, solange sie noch nicht mehr als nur ein Ärgernis ist.

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