US-Automobilindustrie:Im Land der Benzinschlucker

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Kalifornien soll ein Öko-Musterland werden, doch noch dominieren auf den Straßen die schweren Geländewagen - und das soll so bleiben, hoffen Automanager.

Michael Kuntz

Santa Barbara - Am Grünen Brett im Natural Café hinterlässt die Finanzkrise deutlich sichtbare Spuren. Der Astrologe, Alchemist und "Energy Worker" Ben Commons hat hier seine Visitenkarte angeheftet. Auch der Fensterputzer Colm Fitzgerald wirbt im Vorraum zu den Toiletten um Kundschaft. Schließlich bietet die Tierpsychologin Laura Stinchfield ihre Dienste an. Etwas überraschend hängt dazwischen die Stahlstich-Karte von Erica Smith. Sie versucht, bei den Gästen des Restaurants am Hitchcock Highway im kalifornischen Santa Barbara Interesse zu wecken für Automobile von Chevrolet, Cadillac und Saab.

Autos auf Halde: Trucks aus dem Hause Ford warten in Detroit auf ihre Verschiffung. (Foto: Foto: AFP)

Das sind alles drei Marken von General Motors (GM), dem 75 Jahre lang größten Autohersteller der Welt. Dessen Chef Rick Wagoner kam zuletzt deshalb groß in die Fernseh-Shows und Schlagzeilen, weil er seinen Bittgang nach Washington im Privatjet zurückgelegt hatte. So wie immer und als ob GM nicht ohne Hilfe des Staates pleite wäre. Bei Erica Smith vom Graham Auto Center an der kalifornischen Pazifikküste kann man die Autos kaufen oder auch leasen, so steht es auf ihrer Visitenkarte im Natural Café.

Beide Alternativen waren nicht gut für General Motors. Der Konzern hatte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 seine Autos an alle mit dem Rabatt für die Mitarbeiter verkauft und damit einen Preiskampf angezettelt, von dem sich GM und die beiden anderen amerikanischen Autokonzerne Ford und Chrysler bis heute nicht erholt haben.

Nachfrage massiv eingebrochen

Leasing war auch schlecht für die Bilanzen der "Big Three" aus Detroit, denn die Gebrauchtwagen waren nach Ende der meist drei Jahre laufenden Verträge längst nicht zu dem Preis zu verkaufen, der als Restwert kalkuliert gewesen war. Nun ist auch noch die Nachfrage nach neuen Autos eingebrochen, im Oktober allein um vierzig Prozent. Hinzu kamen hohe Kosten für Löhne und die Gesundheitsvorsorge, die jeden einzelnen Neuwagen um einen vierstelligen Dollar-Betrag verteuerten. Doch nicht nur Autos von General Motors sind derzeit schwer zu verkaufen.

Das kann man sofort sehen. Wenn man die Unmöglichkeit erkannt hat, den gigantischen Salat- und Gemüseteller vollständig aufzuessen, braucht man nur das Natural Café zu verlassen und auf dem Hitchcock Highway in Richtung Sonne und See nach rechts um die Ecke zu biegen. Am besten mit dem Auto, denn Kalifornien ist groß und die Fußwege sind lang. Dann offenbart sich die Autokrise in ihrer ganzen Tristesse.

Nach wenigen Metern erreicht man die Santa Barbara Auto Group, einen der größten amerikanischen Händler für Luxusfahrzeuge aus den Werken deutscher Hersteller. Arrangiert wie in einer römischen Arena steht hier alles, was Audi und Mercedes, BMW und Porsche anzubieten haben. Und das ist eine Menge.

Die Firmen versichern zwar einmütig, schon etliche für Amerika bestimmte Autos in andere, derzeit lukrativere Gegenden wie Russland oder China umgeleitet zu haben. Doch es sind noch mehr als genug in Santa Barbara zu sehen. Der Hof steht an diesem Novembertag voll mit Premiumfahrzeugen aus Ingolstadt, München, Stuttgart und Zuffenhausen. Nicht nur die Parkplätze sind belegt, Edelprodukte der Marke Mercedes stehen in langen Reihen in den Gängen dazwischen, und selbst die meisten Zufahrten zu dem großzügigen Gelände vor den Showrooms der Marken sind zugeparkt mit fabrikneuen oder fast neuen Autos.

Lesen Sie weiter, warum die Hoffnung der US-Automanager auf die Rückkehr besserer Zeiten nicht von ungefähr kommt.

An den Seitenscheiben zeigt sich die ganze Strenge kalifornischer Gesetze. Neben dem Preisschild hängt ein Zettel, auf dem unter anderem steht, was das Auto pro Jahr an Benzinkosten verursacht. Da erfährt der Interessent an einem Audi A4 Sedan 2.0 T, dass ihn diese Limousine bei 15.000 Meilen und einem Benzinpreis von 4,30 Dollar pro Gallone übers Jahr 2806 Dollar allein für Sprit kosten wird. Für einen Porsche Cayenne S lautet der Wert 2851 Dollar, aber nur deshalb, weil hier bereits mit dem aktuellen Benzinpreis von 2,80 Dollar gerechnet wurde.

Die 4,30 Dollar waren eher ein Spitzenwert aus dem vorigen Sommer. Derzeit liegen die Preise zwischen 2,39 für Regular und 2,99 Dollar für die Sorte Supreme. Der sinkende Ölpreis ist also an den Zapfsäulen angekommen. Schon überlegen amerikanische Automanager bei der Los Angeles Motor Show jedenfalls an der Hotelbar, ob der amerikanische Autokäufer sich tatsächlich für immer von den dicken Pick-ups, Geländewagen beziehungsweise Sport Utility Vehicles (SUV) verabschiedet hat. Die sind seit Sommer so gut wie unverkäuflich. Von denen und mit denen hatten General Motors, Ford und Chrysler jahrzehntelang gut gelebt. Der Ford F150 war bis vor kurzem das am häufigsten verkaufte Automodell in den USA. Gegen diesen Pick-up wirkt eine VW-Bus-Pritsche zierlich.

Durstige Monster

Die Hoffnung manch eines amerikanischen Automanagers auf die Rückkehr besserer Zeiten kommt nicht von ungefähr. Es spricht ja auch einiges dafür, durch ein großes Land mit einem großen Auto zu fahren, auch wenn das bei deutschen Touristen offenbar nicht unbedingt üblich ist. Jedenfalls erkundigte sich die Frau von der Autovermietung Avis am Flughafen in Los Angeles ausdrücklich, ob es wirklich der bestellte SUV sein solle. Die meisten Deutschen würden doch eher kleinere Autos mieten. Erst dann rückt sie einen silbergrauen Chevrolet Trail Blazer LS heraus.

Das durstige Monster gibt dem Reisenden ein Gefühl auf dem sechsspurigen Freeway, wie es im Smart jedenfalls ein gänzlich anderes wäre. Wenn links und rechts überholt wird, dann haben ein bisschen mehr Blech und ein Fahrersitz im ersten Stockwerk schon etwas ungemein Beruhigendes. Der Winzling Smart ist ja nun nach einem Feuerwerk entsprechender Ankündigungen tatsächlich in Amerika angekommen. Wahrscheinlich bevölkert er die Straßen von New York. In Kalifornien jedenfalls ist er fast unsichtbar. Vielleicht stehen die Smarts in den Garagen der Villen von Malibu und Beverly Hills und sind deshalb auf den Straßen nicht so präsent.

Außer auf kleine Autos setzen die deutschen Hersteller auch auf saubere Dieselmotoren neuester Bauart. Besitzer von Dieselautos konnten sich lange nicht daran gewöhnen, sich auf der Rückseite der Tankstelle bei den Lastwagen einreihen zu müssen. Da gibt es nun schon Fortschritte. In Santa Barbara ist Diesel inzwischen auch an normalen Zapfsäulen erhältlich - freilich ebenso wie das Benzin nur gegen Vorkasse. Die Kreditkarte erst an der Kasse abgeben und dann tanken, das geht auch.

Über den historischen Holzsteg am Hafen von Santa Barbara tuckern sie noch hinaus auf die mächtige Pier zu Läden und Restaurant - die betagten Dieselautos mit dem Geräusch von Dampfschiffen. Vielleicht ändert sich das in absehbarer Zukunft. Denn immerhin: Amerikanische Motorjournalisten wählten jetzt die Limousine Jetta TDI Clean Diesel von Volkswagen zum "Green Car of the Year 2008".

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Umwelt-Terminator Arnold Schwarzenegger für Kalifornien plant.

Jeder zehnte Diesel in den USA wird in Kalifornien verkauft. Bei Autos mit Hybrid- oder Elektroantrieb ist es sogar jedes vierte Fahrzeug, das in dem von Umwelt-Terminator Arnold Schwarzenegger regierten Bundesstaat landet. Toyota startete hier den Erfolg seines Prius. Von ihm wurden in zehn Jahren bereits mehr als eine Million Exemplare gebaut, was nicht mehr ganz so eindrucksvoll ist, wenn man weiß, das die Japaner allein im vergangenen Jahr 9,3 Millionen Autos hergestellt haben.

Nun will der frühere Schauspieler und heutige Gouverneur Schwarzenegger auch bei der Elektrifizierung des Autos ganz vorne dabei sein. Bis 2012 will er in Kalifornien gemeinsam mit privaten Unternehmen ein Netz von Ladestationen knüpfen. "Diese Partnerschaft ist der Beweis dafür, dass wir gleichzeitig zur Gesundung unseres Planeten beitragen und die Wirtschaft ankurbeln können."

Das ist bitter nötig. Denn der "Golden State" ist zwar die achtgrößte Wirtschaftsnation der Welt, aber fast zahlungsunfähig. "Der amerikanische Traum von einem besseren Leben wurde zerrüttet", beschreibt der Schriftsteller Richard Ford die Folgen der Not, die als Immobilienkrise begann.

Wohnwagen - so groß wie ein Reisebus

An der Küstenstraße zwischen Los Angeles und Santa Barbara ist Amerika am reichsten, sind die Grundstückspreise am höchsten. Hier parken die Wohnwagen direkt am Strand, und die Surfer haben nur wenige Schritte bis in die Brandung des Pazifiks. Die Wohnwagen besitzen nicht selten die Größe von Reisebussen, und gern hängt auf einem zweiachsigen Anhänger noch das Auto hintendran. Im Sonnenstaat an der Westküste leben Hippies und Surfer, Künstler und Snobs noch das Motto: je größer, desto besser.

Die grandiose Kulisse der Traumstraße ist eines der beliebtesten Ausflugziele in den USA, sie vernebelt den Blick für die Wirklichkeit: 2008 wird Nordamerika als größter Automarkt der Welt von Europa abgelöst, obwohl auch dort weniger Fahrzeuge verkauft werden. Der Verband der Automobilindustrie schätzt, dass bereits Westeuropa allein mit 13,58 Millionen Neuwagen um 200 000 Autos knapp vor Nordamerika liegen wird. Darin spiegelt sich der Niedergang einer Industrie, von der jenseits des Atlantiks jeder zehnte Arbeitsplatz abhängt. In den USA brach in diesem Jahr der Autoabsatz um 17 Prozent ein, in Westeuropa ging er um acht Prozent zurück.

Kalifornien im Spätherbst 2008. Es ist heiß, und das nicht nur wegen der warmen Winde aus den Bergen. Sie bringen Luft mit 30 Grad auf den Pacific Coast Highway, über den noch im November endlose Kolonnen aus offenen Cabrios und Geländewagen mit Surfbrettern rollen. Rechtsanwälte werben im Autoradio für sich. Sie sind in diesen Zeiten nicht nur Experten für Familienrecht, sie versprechen Hilfe auch bei "bancrupty".

© SZ vom 29./30.11.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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