Urteil am Bundesgerichtshof:Ärzte dürfen Geschenke von Pharmafirmen annehmen

Sie dürfen von Pharmaunternehmen, deren Arzneien sie verschreiben, Geschenke annehmen - ohne sich wegen Bestechlichkeit strafbar zu machen. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Kassenärzte seien weder Amtsträger noch Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen, argumentiert das Gericht.

Kassenärzte, die für die Verordnung von Arzneimitteln Geschenke von Pharmaunternehmen annehmen, machen sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar. Das hat der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs (BGH) in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss entschieden. Die Richter sprechen zwar von "korruptivem Verhalten" - dies sei jedoch nach geltendem Recht nicht strafbar. Der niedergelassene Arzt handele weder als "Amtsträger" noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen, hieß es zur Begründung. Die Grundsatzentscheidung des BGH war im Gesundheitswesen seit Monaten mit Spannung erwartet worden (Az. GSSt 2/11). Auch Mitarbeiter von Pharmaunternehmen, die Ärzten Vorteile gewähren, seien entsprechend nicht wegen Korruptionsdelikten strafbar, entschied der BGH.

Der Beschluss hat damit nicht die von vielen erhoffte Wirkung auf fragwürdige Vereinbarungen im Gesundheitswesen. Der große Graubereich zwischen Ärzten und Pharmaindustrie bleibt bestehen. Das Gericht sieht die Politik in der Pflicht, wenn sich das ändern soll. Der Gesetzgeber müsse entscheiden, ob Korruption im Gesundheitswesen strafbar sei und dann gegebenenfalls Regeln zur effektiven Strafverfolgung schaffen. Viele Pharmaunternehmen versuchen, Ärzte mit Geschenken und Vergünstigungen dazu zu bringen, bestimmte Produkte zu verschreiben. Nach Schätzung von Experten kosten Falschabrechnungen, Betrug und Korruption die Beitragszahler jedes Jahr bis zu 18 Milliarden Euro.

In einem der Ausgangsfälle hatte ein Pharmahersteller einem Arzt insgesamt mehr als 10.000 Euro gezahlt, zum Teil getarnt als Honorar für Vorträge, die nie gehalten wurden. In einem zweiten Fall hatte eine Pharmareferentin Kassenärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von etwa 18 000 Euro übergeben. Sie war zunächst wegen "Bestechung im geschäftlichen Verkehr" zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Grundlage der Zahlungen war ein als "Verordnungsmanagement" bezeichnetes Prämiensystem des Pharmaunternehmens. Dieses sah vor, dass Ärzte als Prämie für die Verordnung von Arzneimitteln des Unternehmens fünf Prozent des Abgabepreises erhalten sollten.

Die Richter sprechen ausdrücklich von "korruptivem Verhalten" von Ärzten und Pharmavertretern, das aber nach geltendem Recht nicht strafbar sei. "Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, ist Aufgabe des Gesetzgebers", heißt es in der Mitteilung des BGH. Eine Strafbarkeit wegen "Bestechlichkeit" oder "Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr" hätte vorausgesetzt, dass der Arzt entweder "Amtsträger" ist oder zumindest als "Beauftragter" der Krankenkassen tätig wird. Beides sei nicht der Fall, entschieden die elf Richter des Großen Senats.

Der Urteilsspruch dürfte nicht zuletzt bei den Ermittlungsbehörden große Enttäuschung auslösen. Sie hatten gehofft, dass die Verflechtung von Industrie und Medizin auf eine neue Grundlage gestellt werden könnte. "Stuft der BGH die Ärzte als Amtsträger ein, machen sie sich bei der Annahme von unerlaubten Zuwendungen strafbar, auch wenn diese Zuwendungen nicht nachweisbar zu einer Beeinflussung des Verordnungsverhaltens geführt haben", lautete die Hoffnung des niedersächsischen Oberstaatsanwalts Marcus Röske, der das Verfahren vor dem BGH mit angestoßen hatte. Dazu kommt es nun nicht.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatte strengere Regeln für die jährlich rund 300 Anwendungsbeobachtungen neuer Medikamente beim Arzt im Auftrag von Pharmafirmen gefordert. Nach Ansicht von Experten sind manche dieser kleinen Studien zu neuen Arzneimitteln reine Verschleierungstaktik für Zuwendungen. Zu dubiosen Machenschaften im Gesundheitswesen zählen unter anderem auch gefälschte Rezepte oder die Abrechnung echter Rezepte durch Apotheker ohne die Abgabe von Medikamenten.

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