Unternehmen:Visitenkarten aus Stein

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Immobilien sind analog. Trotzdem: Auch im Zeitalter der Digitalisierung haben Hauptverwaltungen noch eine große Bedeutung. Doch ihre Rolle ändert sich radikal.

Von Caspar Busse, München

Schloss Neuschwanstein hat sie bereits hinter sich gelassen: Die BMW-Welt, direkt neben der Hauptverwaltung des Münchner Autobauers gelegen, zieht mit ihrer futuristischen und offenen Architektur inzwischen deutlich mehr Besucher an als der Prachtbau von König Ludwig II. bei Füssen. Eigentlich war das Gebäude, 2007 eröffnet und etwa eine halbe Milliarde Euro teuer, als Auslieferungszentrum geplant, in dem die BMW-Kunden ihr neues Fahrzeug abholen können. Doch inzwischen ist die BMW-Welt zusammen mit dem markanten Vierzylinder-Turm, der Anfang der 70er Jahre eröffnet wurde und in dem auch Vorstände ihre Büros haben, nicht nur eine Attraktion, sondern auch ein Symbol. Das Ensemble soll demonstrieren, wie der bayerische Autobauer sein will - modern, offen, zukunftsgewandt.

Es sind Visitenkarten aus Stein: Hauptverwaltungen von Unternehmen, aber auch Forschungszentren und Fabriken sind oft ein Spiegelbild des Selbstverständnisses. Sie sollen ein Image prägen, das die Konzerne gerne von sich in die Welt tragen wollen. Ob Apple oder Google, ob Siemens (die neue Zentrale in München wird an diesem Freitag feierlich eröffnet) oder der hannoversche Autozulieferer Continental, der gerade erst mit der Planung anfängt - Gebäude sind wichtiger denn je. Es gibt zwar kaum etwas Analogeres als Immobilien, aber sie sind auch im Zeitalter der Digitalisierung sehr aktuell. "Corporate Architecture" heißt das Zauberwort. Dazu kommt: Neubauten müssen mehr denn je den völlig veränderten Arbeitswelten Rechnung tragen.

"Bürogebäude waren die Inszenierung von Hierarchien, sie waren oft auch eine Machtdemonstration", sagt Gunter Henn. Der 69-Jährige ist einer der renommierten Architekten Deutschlands. Seine rund 350 Mitarbeiter - Architekten, Designer, Planer, Ingenieure - haben sich vor allem einen Namen mit Büro- und Verwaltungsgebäuden gemacht, weltweit. Zu den Kunden gehören der Autokonzern VW, die Pharmafirma Merck, die Hypo-Vereinsbank, der Modeversender Zalando oder BMW. Für den Konzern wurde das Forschungs- und Entwicklungszentrum in München geplant. Henn ist schon lange im Geschäft. Inzwischen, so sagt er, haben sich die Anforderungen an Bürogebäude und Unternehmenszentralen grundlegend geändert. "Es geht heute in Unternehmen nicht mehr um die reine Wissensanwendung, es geht immer öfter um die Generierung von Wissen. Heute entsteht Wissen aus der Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen, dafür ist Kommunikation besonders wichtig." Mitarbeiter seien einfach inzwischen anders verbunden, die Verbindungen seien ins Mediale abgewandert. "Das bringt auch für die Architektur neue Aufgaben. Sie muss Netzwerke abbilden und ermöglichen", sagt Henn.

Keine leichte Aufgabe. Alte Bürogebäude sind bis heute ein Abbild der starren Hierarchien und alten Zustände in Konzernen. "Endlose Flure und Treppenhäuser waren die Verbindungen zwischen hierarchischen Ebenen. Es gab den berühmten Mittelflur mit Einzelhaft", sagt Henn. Bestes Beispiel: Das 13-stöckige Volkswagen-Hochhaus auf dem Werksgelände in Wolfsburg, auf dem Dach prangt ein acht Meter großes VW-Logo. Lange Gänge, viele Einzelbüros, von oben ein weiter Blick über die Fabriken - mittendrin und doch abgehoben. Oder Deutsche Bank und Commerzbank: Sie residieren in glitzernden Glashochhäusern in Frankfurt, weit über den anderen, was heute angesichts der Finanzkrise und des dramatisch verfallenen Images der Geldhäuser verfehlt wirkt.

Ganz anders zum Beispiel der Sportartikel-Konzern Adidas. In Herzogenaurach haben sich die Franken in den vergangenen Jahren auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne ein weitläufiges Gebäude-Ensemble gebaut, dazwischen liegen grüne Wiesen, Teiche und Sportmöglichkeiten. In den Gebäuden gibt es große Gemeinschaftsflächen mit Sofas, Sitzecken und Cafeterias. Oder Infineon: Der Chipkonzern ist vor einigen Jahren aus den engen Bürogebäuden in München an den Stadtrand gezogen. Die neue weitläufig angelegte Zentrale heißt Campeon und liegt in einem künstlich angelegten Landschaftspark, hier sitzt der Vorstand, hier arbeiten aber auch die Entwickler.

"Zufällige Treffen am Kaffeeautomaten oder am Kopierer reichen nicht mehr."

"Zufällige Treffen am Kaffeeautomaten oder am Kopierer reichen nicht mehr", sagt Architekt Henn, "die Herausforderung ist, zur richtigen Zeit die richtigen Leute zusammenzubringen." Bürogebäude müssten deshalb ganz anders konzipiert werden. "Es muss eine Dramaturgie gefunden werden. Es müssen Orte geschaffen werden, an denen sich die Menschen treffen, das, was im alten Griechenland der Marktplatz, die Agora, war", sagt Henn. Das, was früher eher zufällig auf dem Flur passierte, könne also dann dort geschehen. Das bedeutet aber auch, dass die lange so verschlossenen Zentralen transparenter werden, was nicht immer jedem passt.

Früher wie heute soll eine Hauptverwaltung oft auch der Repräsentation dienen. Die Munich Re, der größte Rückversicherer der Welt, baute sich 1913 einen Jugendstilpalast in München direkt am Englischen Garten, hier arbeitet der Vorstand noch heute. Solidität und Wohlstand sollen damit demonstriert werden. Die Allianz wiederum, nicht weniger potent, wird von einem schlichten weißen Nachkriegs-Gebäude in direkter Nachbarschaft aus regiert, das eher an ein Sanatorium erinnert. Zurückhaltung und Bescheidenheit sind hier angesagt. Ganz unbescheiden sind die Pläne von Apple: Der amerikanische Konzern baut derzeit in Cupertino ein Glas-Rund für geschätzt fünf Milliarden Dollar.

© SZ vom 24.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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