Unister:Pleitekonzern Unister: Millionen Kunden, mehr als tausend Mitarbeiter - und kein Geld

Unister-Insolvenzverwalter drückt bei Verkauf aufs Tempo

Der Bericht des Insolvenzverwalters gewährt tiefe Einblicke in das zweifelhafte Geschäftsgebaren des Unister-Konzerns.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der mächtige Unister-Konzern ("ab-in-den-urlaub.de", "fluege.de") hatte derart wenig Geld auf dem Konto, dass selbst der Insolvenzverwalter stutzig wird.

Von Klaus Ott, Sebastian Pittelkow und Uwe Ritzer

Lucas Flöther, der Insolvenzverwalter von Unister, hat lange nach Geld gesucht - und bei dem Internetkonzern aus Leipzig fast nichts gefunden. Bei der Deutschen Bank, der BHF-Bank und einem weiteren Institut fand der Anwalt aus Halle Guthaben von insgesamt gerade mal 3904,13 Euro. Das ist wenig Geld für einen Konzern, der Millionen Kunden hat, über tausend Mitarbeiter beschäftigt und in so vielen Geschäftsfeldern tätig ist: von Reisevermittlungen über eine Immobilienagentur bis zur Partnersuche. Auch auf Konten bei anderen Banken fanden sich keine Reichtümer.

Das geht nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR aus einem Gutachten hervor, das der Insolvenzverwalter kürzlich beim Amtsgericht Leipzig eingereicht hat. Als Thomas Wagner, der Gründer und Chef des Unternehmens, Mitte Juli bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz in Slowenien ums Leben kam, hinterließ er demnach weitgehend leere Bankkonten.

Der Bericht des Insolvenzverwalters gewährt tiefe Einblicke in das zweifelhafte Geschäftsgebaren eines Konzerns, bei dessen Onlinereiseportalen wie "fluege.de" und "ab-in-den-urlaub.de" immer mehr Touristen ihre Ferien gebucht hatten. Es sei "nicht auszuschließen, dass einzelne Gesellschaften des Unister-Konzerns bereits seit dem Jahr 2015 zahlungsunfähig sind", schreibt Lucas Flöther in seinem Gutachten. Gegen den vormaligen Chef Wagner "könnten gegebenenfalls Ansprüche wegen verspäteter Insolvenz-Antragstellung bestanden haben", steht im Insolvenzbericht. "Herr Wagner ist jedoch im Juli 2016 verstorben."

Enorme Schulden

Der Schuldenstand des Konzerns beträgt heute knapp 58 Millionen Euro, bei einem Vermögen von nicht einmal 14 Millionen Euro. Macht 44 Millionen Euro Überschuldung. Dem Gutachten zufolge ist die lange Zeit aufstrebende Unister-Holding, die als Erfolgsgeschichte galt, in erster Linie an ihrer Pleite selbst schuld. Aus diversen Gründen. Aus Sicht von Flöther hat eine "Verkettung mehrerer größtenteils vom Unternehmen selbstverursachter Umstände" in die Pleite geführt. Als wesentlichen Auslöser nennt der Insolvenzverwalter eine mit Fremdkapital finanzierte "progressive Wachstumspolitik"; darunter eine ständige Ausweitung der Geschäfte auch mit der Übernahme weiterer Firmen wie Indigo Reisen. Die Strukturen des Konzerns hätten mit dessen Expansion nicht Schritt gehalten; insbesondere bei Planung, Buchhaltung und Controlling.

Unister stand einmal für frische Ideen, Innovation, Erfolg. An einer Leipziger Uni hatte Wagner zusammen mit Partnern 2002 eine Internetplattform für Studenten entwickelt. Jahre später erfolgte der Einstieg ins Reisegeschäft, prominente Werbeträger halfen dabei: Michael Ballack, ehedem Nationalspieler, und Reiner Calmund, früherer Manager von Bayer Leverkusen. Wildes Wachstum, das ist schon das Schicksal so mancher Internetkonzerne gewesen, deren Gründer sich am eigenen Erfolg berauschten und den Überblick verloren. So war das wohl auch bei Unister. Hinzu kam ein ziemlich freihändiger Umgang mit Geld.

Geschäfte nachträglich anfechten

Die Holding hatte ihren Tochterfirmen zuletzt mehr als 25 Darlehen in Höhe von insgesamt mehr als 82 Millionen Euro gewährt. Außerdem leistete Unister für die Töchter interne, bislang nicht bezahlte Dienste im Wert von knapp 55 Millionen Euro. Viele Dienste und viel Geld, mit denen offenbar Löcher gestopft wurden. Manchmal hätten einzelne Unister-Firmen Rechnungen ganz anderer Konzernteile gezahlt, schreibt Flöther.

Der Insolvenzverwalter dürfte so manche Geschäfte nachträglich anfechten. Für ein solches Vorgehen gebe es Anhaltspunkte "in erheblichem Umfang", heißt es im Gutachten. Zunächst aber muss sich der Anwalt aus Halle einen vollständigen Durchblick verschaffen, was immer noch schwerfällt. Auch deshalb, weil seit Anfang 2016 die Geschäfte innerhalb des Konzerns gar nicht mehr verbucht worden seien.

Der Konzern-Buchhaltung bescheinigt Flöther "erhebliche Schwächen". Das müsse umfassend aufgearbeitet werden; gegebenenfalls mit Hilfe eines "Sonderinsolvenzverwalters". So soll die Unister-Holding Aktien der Tochterfirma Travel 24 an zwei Unternehmen aus der Schweiz verkauft beziehungsweise übereignet haben. "Die Sachverhalte konnten bislang aufgrund fehlender Unterlagen und Informationen nicht abschließend geklärt werden", steht im Insolvenzgutachten. Ein ordentlich geführter Betrieb sieht anders aus.

Dass Unister pleiteging, hat vermutlich auch etwas mit Ermittlungen zu tun, die zu zwei Anklagen führten. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden wirft früheren Managern des Konzerns Steuerhinterziehung, unerlaubten Verkauf von Versicherungen sowie gewerbs- und bandenmäßigen Computerbetrug beim Onlinehandel mit Flugtickets für mehr als 87 000 Kunden vor. Einer der Beschuldigten war, bis zu seinem Tode, Firmengründer Wagner. Infolge der Ermittlungen hätten Reiseveranstalter wie TUI, Thomas Cook sowie Alltours Verträge mit Unister-Firmen gekündigt, schreibt der Insolvenzverwalter. Auch seien neue Vorschriften für Reisegeschäfte dem Konzern schlecht bekommen.

Beschäftigte erhalten nun "Motivationsprämien", damit sie bleiben

Die Hauptschuld für das Desaster trägt Unister aber selbst. Trotz alledem sieht Flöther gute Chancen, den Konzern zu retten, nachdem die Leipziger Justiz im September das Insolvenzverfahren erst bei der Holding und dann bei acht Tochterfirmen eröffnet hat. Der Anwalt will die Geschäfte auf die Sparten Flug und Touristik konzentrieren. Sechs Investoren hätten Angebote abgegeben. "Unser Ziel ist nicht der schnellstmögliche, sondern ein bestmöglicher Verkauf."

Weil der Betrieb ganz gut läuft, müssen statt der ursprünglich vorgesehenen 100 nur 66 Mitarbeiter gehen. Und diejenigen, die unbedingt bleiben sollen, bekommen teilweise sogar noch ein Extra-Honorar.

Flöther hat 150 Beschäftigten in Schlüsselpositionen "Motivationsprämien" angeboten, um sie zu halten. Einige Hunderttausend Euro sind bereits ausgezahlt worden. Weitere Prämien sollen folgen. Dieses Mal wird aber alles ordentlich verbucht.

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