Ungleichheit:Wer hat, dem wird gegeben

Die Deutschen werden immer vermögender - allerdings nur im Durchschnitt. Es profitieren vor allem jene, die schon viel besitzen. Eine Bundesbank-Studie befeuert die Debatte über Gründe und Folgen.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Es ist ein auffälliges Zusammentreffen: Während Deutschland wirtschaftlich insgesamt so viel besser dasteht als fast alle anderen Staaten Europas, gab es noch nie so viele Berichte in so kurzer Zeit über eine wachsende Ungleichheit im Land. Der jüngste Aufschlag kommt von der besonders angesehenen Deutschen Bundesbank. "Die Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland sind ungleich verteilt," heißt es in einer Untersuchung, die am Montag veröffentlicht wurde. Die Experten aus Frankfurt benennen auch die Bereiche, die den Unterschied machen: Wertpapiere und Immobilien.

Es hat in den letzten Jahren gute Gelegenheiten gegeben, das eigene Vermögen spürbar zu erhöhen. Wahr ist: Die Aktienkurse sind deutlich gestiegen, ebenso verhält es sich mit den Immobilienpreisen. Wahr ist aber auch: Von dem Boom haben vornehmlich die Menschen profitiert, die sowieso schon viel besessen haben.

"Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Immobilienbesitz und Vermögen", sagte Bundesbank-Experte Tobias Schmidt, der die Studie betreute. Auch wer Aktien oder andere Wertpapiere besaß, baute von 2010 bis 2014 sein Nettovermögen zum Teil kräftig aus. Die anderen gingen meist leer aus, unter anderem weil ihnen das nötige Kapital für diese Investitionen fehlte. Der Immobilienbesitz in Deutschland ist bei den vermögenderen Haushalten konzentriert. "Der Anstieg der Immobilienpreise kommt also den Haushalten im oberen Bereich der Vermögensverteilung zugute", so die Studie.

Für die Bundesbank steht damit fest, dass die Verteilung der Privatvermögen mit Stand 2014 ungleich war. Ein Blick auf die Besitzstände, die den reichsten zehn Prozent der deutschen Bevölkerung gehören, verdeutlicht den Befund: Den Top-10-Prozent gehört knapp 60 Prozent des gesamten Nettovermögens in Deutschland. Die nach Reichtum unteren 50 Prozent der Haushalte besitzen insgesamt nur magere 2,5 Prozent des gesamten Nettovermögens (siehe Grafik).

Demonstration gegen soziale Ungerechtigkeit

Menschen protestieren in Hamburg mit dem Slogan "Umfairteilen - Reichtum besteuern" gegen soziale Ungerechtigkeit; ein Bild aus dem Jahr 2012.

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Die Studie zeigt weiter, dass die Hälfte aller Deutschen, die Immobilien besitzen, ihr Nettovermögen von 2010 bis 2014 um rund 33 000 Euro steigern konnten. Normale Mieter ohne Wohneigentum wurden meist nur um knapp 1000 Euro reicher. Manche mussten sogar Vermögenseinbußen hinnehmen.

Damit erhält die Debatte über die Gründe und Folgen der wachsenden Ungleichheit in der Bevölkerung neue Nahrung. Für den Präsidenten des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, Marcel Fratzscher, der dazu gerade ein vielbeachtetes Buch veröffentlicht hat, zeigt die neue deutsche Marktwirtschaft ihr wahres Gesicht in einer stark zunehmenden Ungleichheit. "In kaum einem Industrieland der Welt sind vor allem Chancen, aber auch zunehmend Vermögen und Einkommen ungleicher verteilt als in Deutschland."

Die Experten des Internationalen Währungsfonds (IWF) kamen in einer Studie zu dem Ergebnis, dass der Graben zwischen Armen und Reichen sich auf dem extremsten Stand seit Jahrzehnten befinde und sich insbesondere in westlichen Ländern immer weiter vertiefe. Zusammen mit der OECD sieht der IWF einen Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und schwachem Wirtschaftswachstum - auch in den Industriestaaten. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) meint hingegen, Ungleichheit habe nur in schwachen Volkswirtschaften negativen Einfluss auf das Wachstum. "Für Industrienationen wie Deutschland ist der Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Wachstum eher positiv, weil Ungleichheit die Anreize für Unternehmertum und Innovationen steigert", so das arbeitgebernahe IW.

Es war nach 2010 der zweite Vermögensbericht, den die Bundesbank präsentierte. Es wurden dazu rund 4500 Haushalte befragt. Sie mussten einschätzen, welchen Wert etwa ihre Immobilie, ihr Auto, ihr Schmuck, ihre Aktien oder aber auch ihre Fondsanteile, Aktien und Rentenversicherungen haben. Die Umfrage bezog sich auch auf die Verschuldung der Haushalte. So konnte das Nettovermögen unter Abzug der Verbindlichkeiten ermittelt werden. Die Grenze zwischen den reichsten zehn Prozent und dem Rest der deutschen Bevölkerung verläuft laut Bundesbank bei 468 000 Euro (Stand: 2014). Das durchschnittliche Nettovermögen der deutschen Haushalte beträgt 214 500 Euro. Das entspricht einem Plus von zehn Prozent gegenüber 2010.

Ungleichheit: SZ-Grafik

SZ-Grafik

Die Ungleichheit wird allerdings sehr viel deutlicher, wenn man sich den so genannten Median anschaut. Der beträgt 60 400 Euro. Der Median ist ein Mittelwert, ab dem es rechnerisch genauso viele reichere wie ärmere Haushalte in Deutschland gibt. Zwar ist der Median in Deutschland verglichen mit 2010 um 18 Prozent gestiegen. Doch zeigt etwa der Vergleich mit Italien, dass Deutschland deutlich hinten liegt. Dort beträgt der Median für Nettovermögen 138 000 Euro (Stand: 2014). Im Vergleich mit den anderen Euro-Staaten, so die Bundesbank, sei der Abstand des Median zur Vermögensspitze in Deutschland deutlich höher.

Auch der Gini-Koeffizient für das Nettovermögen, ein klassisches Maß für Ungleichheit, sei 2014 mit 76 Prozent im internationalen Vergleich nach wie vor hoch. Je näher der Wert an 100 Prozent liegt, desto ungleicher ist die Verteilung. Der GiniKoeffizient des Nettovermögens in Italien lag 2014 bei 61 Prozent. Im Euro-Raum waren es 69 Prozent, wobei dieser Wert von 2010 stammt. Neuere Berechnungen gibt es noch nicht. In den USA lag der Gini-Koeffizient 2013 bei 80 Prozent.

Immerhin: Die Verschuldung der Deutschen scheint überschaubar zu sein. Rund 60 Prozent der Haushalte wendeten im Jahr 2014 weniger als 20 Prozent ihres Nettoeinkommens für den Schuldendienst auf. "Den meisten Verbindlichkeiten standen entsprechend hohe Vermögenswerte gegenüber", so die Bundesbank.

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