Ungleiche Energiepreise in Europa und den USA:Quellen der Angst

Pump jacks are seen in the Midway Sunset oilfield

Öl- und Gas-Fracking in Kalifornien

(Foto: Lucy Nicholson/Reuters)

Amerika im Gasrausch: In den USA boomt die Förderung von unkonventionellem Öl und Gas, das sogenannte Fracking. Weil die Energiepreise in den Vereinigten Staaten dadurch viel billiger sind, warnen Experten vor dem Ausbluten zentraler Industrien in Europa. Kritiker halten das für Panikmache.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller

Wie tief die Angst in Deutschlands Chefetagen sitzt? Mit einem kleinen Moment unverblümter Ehrlichkeit machte Robert J. Koehler kürzlich klar: "Für die deutsche Industrie hängt an wettbewerbsfähigen Energiepreisen einfach alles." Den meisten Deutschen sei gar nicht klar, was da gerade passiere, warnte der Chef des Wiesbadener Milliarden-Konzerns SGL Carbon in kleiner Runde. "Wir befinden uns in einer Phase schleichender Deindustrialisierung." Das neue Ziel des globalen Tracks: die USA. "Denn da zahlen wir nur die Hälfte."

Der Umbruch auf dem globalen Energiemarkt alarmiert inzwischen auch die Internationale Energieagentur (IEA). Der Öl- und Gasboom in den USA werde die Industrie in Europa hart treffen, warnt die in Paris ansässige Organisation ihrem neuesten Weltenergie-Ausblick. "Sie wird in den nächsten Jahren deutlich Marktanteile verlieren", sagte IEA-Chefökonom Fatih Birol. Der Grund: "Substanziell höhere Strompreise als in vielen anderen Regionen." Besserung sei nicht in Sicht. "Wir sehen nicht viele Gründe, dass sich der Preisunterschied in den nächsten 20 Jahren signifikant verkleinern kann", sagte Birol.

Die Energiewende allein trifft keine Schuld

Die großen Unterschiede bei den Energiepreisen dies- und jenseits des Atlantiks gehen nur zum Teil auf die Energiewende in Deutschland und auf Teile Europas zurück. Sie werden vor allem bestimmt von der wachsenden Förderung von sogenanntem unkonventionellen Öl und Gas, das aus tiefen Gesteinsschichten gelöst wird. Der Boom dieser Technik macht die USA schon 2015 zum global führenden Ölproduzenten - noch vor Saudi-Arabien und Russland.

Das wachsende Angebot heimischer Energiequellen lässt die Energiepreise zwischen New York und San Francisco derzeit rasant fallen. So liegen die Preise für Gas in den USA heute bei einem Drittel der EU-Importpreise und bei einem Fünftel der Preise in Japan. Auch Strom wird anders als in Europa derzeit billiger.

Die Auswirkungen sind unter Experten umstritten. Einerseits ist der Anteil der Energiekosten je nach Branche verschieden - in vielen Betrieben fallen sie gemessen an Personalkosten kaum ins Gewicht. Zum anderen sind die Strompreise in Mitteleuropa zuletzt gefallen - auch durch die wachsende Einspeisung von Ökostrom.

Energieintensive Branchen könnten zu Energieflüchtlingen werden

"Es wird zwar gern vergessen: Aber für Großabnehmer sind die Industriestrompreise in Deutschland massiv gefallen", sagt Claudia Kemfert, Energie-Expertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Und der Industrie hierzulande geht es gut wie nie." Sie warnt vor einer Panikmache. Von einer großen Abwanderungswelle sei nichts zu spüren.

Doch die IEA erwartet anderes. Vor allem energieintensive Branchen wie die Chemie-, Stahl-, Aluminium- oder die Eisenindustrie könnten zu Energieflüchtlingen werden und Europa verlassen. "Die Europäische Union wird einen starken Rückgang der Exporte erleben", heißt es in dem IEA-Papier.

"Erhebliches Risikopotenzial"

Szenarien sehen bei energieintensiven Branchen bis 2035 einen Absturz des Exportanteils um ein Drittel. "Soll die Schwerindustrie im Herzen Europas bleiben, muss die Politik etwas tun", fordert IEA-Experte Birol. "Sonst werden wir Verlagerungen und Schließungen erleben." Die US-Exportindustrien werden dagegen zulegen, sagen die Forscher voraus.

Doch der dortige Boom ist nicht unumstritten. Das sogenannte Fracking erlaubt es, mit einem Gemisch aus Sand, Wasser und Chemikalien zuvor unerreichbares Gas aus dem Untergrund herauszuholen. Seit Jahren schon drücken die neuen Funde den Gaspreis in Nordamerika. Umweltschützer warnen vor den teils verheerenden Folgen des Booms. Sie beklagen die Gefährdung des Grundwassers durch Chemikalien und Metalle. Auch Bergschäden sind beim Fracking nicht ausgeschlossen.

Dennoch sieht die IEA darin einen Weg aus der Energiemisere. Auch Europa könne so Teile seines Problems lösen, sagt Birol. Allerdings ist der Widerstand groß. Union und SPD haben eben erst ein Moratorium für die neue Technologie verabredet - es handele sich schließlich um "eine Technologie mit erheblichem Risikopotenzial". Erst müssten alle Folgen geklärt werden. Ohnehin gelten die Vorkommen in Europa als überschaubar.

Blieben nach Auffassung der Pariser Energieagentur noch andere Möglichkeiten: zum einen der verstärkte Ausbau erneuerbarer Energien, zum anderen ein effizienterer Umgang mit Strom und Wärme in der Industrie. "Höhere Energiepreise bedeuten nicht zwangsläufig höhere Energiekosten", sagt Birol.

Fortschritte bei der Energieeffizienz gebe es bereits jetzt. Einer weiteren Verbesserung stünden jedoch auch die hohen Subventionen für fossile Brennstoffe im Weg, heißt es im Bericht. Demnach ist die Förderung für Öl, Gas und Kohle fünfmal höher als die für erneuerbare Energien. Diese Finanzhilfen lassen fossile Brennstoffe billiger erscheinen, als sie tatsächlich sind.

Der deutschen Industrie allerdings dürften die Warnungen der IEA wegen der hohen Energiepreise gerade recht kommen. Sie muss befürchten, dass die EU-Kommission bisherige Privilegien beim Ökostrom kappt; der Beginn eines entsprechenden Beihilfeverfahrens ist nur eine Frage der Zeit. Union und SPD wollen daher die bisherigen Rabatte überprüfen - sehr zum Ärger der Industrie.

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