Ungleiche Einkommen:Tut etwas gegen die Wut der Abgehängten!

Stadtansicht der Stadt Loitz Landkreis Vorpommern Greifswald am Donnerstag 27 11 2014 Die Stadt

Man darf die Globalisierung nicht verdammen. Aber die Politik muss darauf achten, dass die Früchte des Wohlstands gerecht verteilt werden.

(Foto: imago/BildFunkMV)

In Deutschland sind die Vermögen zunehmend ungleich verteilt. Die nächste Regierung muss diese Entwicklung bremsen - und endlich an den richtigen Stellen ansetzen.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Manch einer mag es kaum glauben, dass Deutschland in immer neuen Studien eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich attestiert wird. Stimmt es etwa nicht, dass so viele Bürger Arbeit haben wie nie? Beneidet uns nicht ganz Europa um unseren Boom? Doch, stimmt alles. Richtig ist aber auch: Die Unterschiede zwischen Gut- und Wenigverdienern nehmen in der Bundesrepublik zu. Und die Mittelschicht schrumpft.

Deutschland geht es gut, aber die Früchte des Wohlstands werden zunehmend ungleich verteilt. Die obersten zehn Prozent haben inzwischen wieder einen so großen Anteil am Gesamteinkommen wie vor 100 Jahren, wie eine Forschergruppe um den Ökonomen Thomas Piketty nun nachweist. Es wird Zeit, dass deutsche Politiker diese Kluft ernst nehmen.

Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen: Ungleichheit bedeutet nicht automatisch, dass die Masse darbt. Wenn alle Gehälter anständig steigen, aber die ganz oben besonders stark, nehmen die Unterschiede zu - obwohl ja alle mehr haben. Ungleichheit wäre dann kein großes Problem. Allerdings zeigen die Fakten, dass die Bundesrepublik sehr wohl ein Problem hat: 40 Prozent der Beschäftigten verdienen heute nach Inflation weniger als vor 20 Jahren. Viele Bürger leiden unter den steigenden Mieten in Großstädten und können kaum etwas ansparen fürs Alter oder für Krisenfälle wie Scheidung oder Arbeitslosigkeit. Was ist geschehen?

Nach dem Zweiten Weltkrieg, in den Zeiten des Wirtschaftswunders, erlebte die Bundesrepublik jahrzehntelang eine Annäherung der Schichten. Eine Entwicklung, die große Zufriedenheit mit der Marktwirtschaft und den etablierten Parteien schuf. Fast jeder glaubte, er könne in die Mittelschicht aufsteigen, sich ausgedehnte Urlaubsreisen leisten und ein Haus im Grünen. Doch seit den 1980er Jahren nehmen in Deutschland und in anderen Industriestaaten die Unterschiede zu.

Moderne Technologien haben Routinejobs verschwinden lassen und machten aus Arbeitnehmern oft mäßig bezahlte Dienstleister, Paketboten etwa oder Telefonisten im Callcenter. Reichen und Unternehmen dagegen bringt die Globalisierung große Vorteile. Sie können überall in der Welt investieren. Dabei drücken sie häufig noch ihre Steuerlast - während viele Menschen aus der Mittel- und Unterschicht finanziell stagnieren. Kein Wunder, dass ihr Frust wächst und sie für Parolen von Rechtspopulisten wie Donald Trump oder Politikern der AfD empfänglicher werden.

Nun sollte man weder neue Technologien noch die Globalisierung von vornherein verdammen. Beide steigern das Wachstum und unterm Strich kann die große Mehrheit der Bevölkerung profitieren. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Regierungen die Vorteile des globalen Kapitalismus besser verteilen als sie das heute tun.

Besonders schief läuft es in den USA. Dort kassiert das oberste Prozent der Bevölkerung inzwischen ein Fünftel des Gesamteinkommens. Dieses eine Prozent bekommt damit auch deutlich mehr ab als die ärmere Hälfte der Bevölkerung - eine Gruppe, die 50 Mal so groß ist. In Europa geht es bislang noch gerechter zu, weil die Regierungen hier traditionell mehr umverteilen. Aber auch hier spalten sich die Gesellschaften zunehmend: In Deutschland hat sich der Anteil der unteren Hälfte am Gesamteinkommen seit den 1960er Jahren halbiert.

Firmenerben zahlen kaum Steuern, während Straßen bröckeln

Die Macht und der Lobby-Einfluss von Reichen und Konzernen könnte bewirken, dass Europa und die Schwellenländer künftig dem fatalen amerikanischen Trend folgen. Bevor es so weit kommt und die Wut der Abgehängten extreme Parteien noch mehr stärkt, sollten die Regierungen entschieden gegensteuern.

Das gilt auch für die nächste Bundesregierung. Die letzte große Koalition hat zwar einen Mindestlohn eingeführt. Mit absurden Geschenken für Firmenerben zementierte sie aber auch die Ungleichheit. In den vergangenen Jahren bekamen etwa 100 Kinder unter 14 Jahren steuerfrei Firmen im Wert von 30 Milliarden Euro übertragen. Gleichzeitig bröckeln Straßen und Schulgebäude, weil der Staat spart.

Die nächste Regierung könnte eine Menge tun, um die Ungleichheit zu bremsen. Mehr für Bildung ausgeben, damit das Gehalt weniger von der Herkunft abhängt. Für bezahlbare Wohnungen in den Städten sorgen. Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer stärken. Und: Steuern für die Mittelschicht sowie Sozialabgaben für Geringverdiener senken. Finanzieren könnte der Staat dies durch eine höhere Belastung jener, die vom globalen Kapitalismus so stark profitieren. Wird die nächste Regierung etwas davon angehen? Von einer Jamaika-Regierung hatten die Bürger in dieser Hinsicht wenig zu erwarten. Vielleicht sollten sie genau beobachten, was Union und SPD nun für ihr Bündnis diskutieren.

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