Unerschwingliche Lebensmittel:Ein Boom, der hungrig macht

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Ob Weizen in Pakistan, Butter in Deutschland oder Pasta in Italien: Auf der ganzen Welt steigen die Lebensmittelpreise jäh an. Während die deutschen Bauern nach schwierigen Jahren Einkommenszuwächse verbuchen, verschlechtert sich die Ernährungslage für die Ärmsten weltweit.

Paul Katzenberger

Der höhere Ölpreis, Wetterkatastrophen und die rasch wachsende Nachfrage nach Nahrungsmitteln in China, Indien und Brasilien setzen die Lebensmittelpreise weltweit unter Druck.

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:Die Hungrigen revoltieren

In den Entwicklungsländern wachsen die Spannungen, weil sich die Menschen ihr Essen nicht mehr leisten können. Auch in den Industrieländern müssen die Verbraucher den Gürtel enger schnallen.

Besonders in den Entwicklungsländern bekommen die Menschen das schmerzlich zu spüren. So kam es erst am Sonntag in Ägypten zu Unruhen durch hungrige Textilarbeiter, bei denen 200 Menschen festgenommen wurden. Fast 40 Prozent der Ägypter leben unter oder nahe der Armutsgrenze von umgerechnet 1,25 Euro pro Tag. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Speiseöl und Reis verdoppelten sich in den vergangenen Monaten nahezu, subventioniertes Brot ist knapp.

Auf den Philippinen gärt es ebenfalls: Ende März warnten die Bauern des Landes vor einer mageren Reisernte, woraufhin Regierungschefin Gloria Arroyo einen Krisengipfel einberief. Nach schlimmsten Befürchtungen könnte sich der Reispreis verdoppeln. Ein eilig geschnürtes Maßnahmenpaket sieht nun zusätzliche Reisimporte aus den USA, Vietnam und Thailand vor. Bürger, die Reis horten, werden mit drakonischen Gefängnisstrafen bedroht.

Große Not im Senegal

Auch in Afrika nehmen die Probleme zu. Auf dem schwarzen Kontinent würden etwa 70 bis 80 Prozent der Haushalte weniger Lebensmittel produzieren als sie verbrauchten, sagte Marita Wiggerthale von der Hilfsorganisation Oxfam zu sueddeutsche.de. Große Not herrsche etwa im Senegal: "Die Menschen können sich keinen Fisch mehr leisten, der dort ein traditionelles Nahrungsmittel ist. Der Proteinanteil an den Mahlzeiten nimmt ab - mit allen negativen Konsequenzen für die Gesundheit.", so die Agrarexpertin. In der Folge würden die Kinder von der Schule genommen, damit sie arbeiten könnten. Die Spannungen in der Gesellschaft über natürliche Resourcen wie Land und Wasser nähmen zu.

Die Entwicklung betrifft fast alle Grundnahrungsmittel in den meisten Ländern der Erde: In Pakistan bewachen Tausende zusätzlicher Paramilitärs Lastwagenladungen mit Weizen und Mehl. Malaysia versucht verzweifelt, seine Vorräte im Land zu horten: Jede Ausfuhr von Mehl bedarf einer Lizenz und wird ohne diese strafrechtlich geahndet.

Pasta-Boykott

Zu spüren ist der steile Anstieg der Lebensmittelpreise aber auch in den Industrieländern. In den USA trug der Preisanstieg bei Nahrung zu spürbar höheren Inflationsraten bei. In Italien riefen Verbraucherschützer im September letzten Jahres zu einem symbolischen Pasta-Boykott auf, um gegen die steigenden Preise zu protestieren, und auch in Deutschland wurden Nahrungsmittel seit dem Sommer 2007 auf breiter Front teurer: Getreide, Futtermittel und Milch zogen seit Juni um mehr als 50 Prozent an. Die Preise für Eier stiegen im selben Zeitraum um beachtliche 25 Prozent, bei Geflügel um knapp zwanzig Prozent. Nur bei Schweine- und Rinderfleisch hielt sich der Preisanstieg mit jeweils etwa fünf Prozent noch in Grenzen.

Während die Verbraucher tiefer in die Tasche greifen mussten, bescherte die Preisexplosion den deutschen Bauern im vergangenen Jahr einen Einkommenszuwachs: Pro Betrieb erhöhten sich die Einkommen um zwölf Prozent von durchschnittlich 31.500 Euro auf 35.400 Euro.

"Nach einer langen Durststrecke können wir heute optimistischer in die Zukunft blicken", sagt Josef Bosch, der im Landkreis Regensburg einen 90-Hektar-Betrieb bewirtschaftet.

"Zeiten der Schundpreise vorbei"

Auf seinen Flächen baut er Weizen, Kartoffeln, Rüben und Mais an. Seien noch vor wenigen Jahren nur etwa zwölf Euro für 100 Kilogramm Weizen gezahlt worden, so betrage der Preis für diese Menge inzwischen über zwanzig Euro. Auf die Subventionen der EU sei er damit zwar noch immer angewiesen. "Die Zeiten, in denen Schundpreise für unsere Erzeugnisse gezahlt wurden, sind Gott sei Dank aber vorbei", gibt er sich erleichtert.

Die Einkommensverbesserung für die Bauern erwies sich in Deutschland allerdings als sehr ungleich verteilt: Während die Ackerbauern mehr verdienten, stagnierte das Einkommen der Viehhalter: "Das ist das weinende Auge des Agrarbooms", sagt Agnes Scherl vom Deutschen Bauernverband. Denn die Preise für Fleisch zogen im Schnitt deutlich weniger stark an, und gleichzeitig litten die Schweine- und Rinderzüchter unter den höheren Getreidepreisen: Was ihnen ihre Schweinesteaks mehr einspielten, mussten sie den Tieren wieder verfüttern.

Doch auch die Fleischpreise dürften in Zukunft ansteigen - dafür spricht nach Auffassung des Agrarexperten Andrew Garthwaite von der Credit Suisse der weltweite Trend. Aufgrund des immer höheren Wohlstandsniveaus in Schwellenländern wie China und Brasilien werde es in den nächsten fünf Jahren eine enorme Nachfragesteigerung nach proteinreichen Lebensmitteln wie Fleisch geben, prognostiziert Garthwaite in einer Studie der Bank.

"Jeder will wie ein Amerikaner essen", sagte dazu Daniel Basse von der amerikanischen Unternehmensberatung AgResource zu sueddeutsche.de: "Aber wenn sich die Menschen so ernähren, dann brauchen wir zwei oder drei Globen, um sie zu durchzufüttern."

Hoffnungsträger Gentechnik

Der weltweite Agrarboom habe daher gerade erst begonnen: "Wenn die Erträge durch die Gentechnik nicht bald erheblich gesteigert werden können, dauert der Preisanstieg bei Lebensmitteln noch mindestens zehn bis 15 Jahre", so Basse.

Einen ähnlich langen Zeitraum veranschlagt die Welternährungsorganisation FAO. Ihre größte Sorge sind die höheren Ölpreise, die die Nahrungsmittel gleich in mehrfacher Hinsicht verteuern: Sie treiben nicht nur die Kosten der Lebensmittelproduktion vom Dünger über den Transport bis hin zur Verarbeitung nach oben, sondern setzen auch einen Anreiz zur Förderung von Biotreibstoffen. Das wiederum könnte zur Folge haben, dass die Preise für Mais, Zucker oder Sojabohnen weiter steigen - möglicherweise viele Jahre lang.

Die Weltbank fordert dementsprechend eine Antwort in großem Stil: "In Ländern, wo Nahrungsmittel die Hälfte bis drei Viertel des Konsums ausmachen, gibt es keinen Überlebensspielraum mehr", warnt Weltbank-Präsident Robert Zoellick. Ein "New Deal" aus kurzfristigen Geldspritzen und längerfristigen Produktivitätssteigerungen durch Gentechnik sei dringend geboten.

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