Umwelt:Klima ohne Plan

9. Extremwetterkongress in Hamburg

Extreme Wetterlage: Eine Sturmflut überschwemmte im Dezember 2013 die Hafencity in Hamburg. Der Klimawandel wird in Europa immer spürbarer - das Hickhack um Verhaltensänderungen aber nicht kleiner.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Die Kanzlerin ahnte schon, dass es beim Schutz der Atmosphäre Stress geben würde. Aber so viel? Die Verabschiedung des Langfrist-Projekts droht zum Debakel zu werden.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Diesen Dienstag sollen noch einmal alle zu Wort kommen. Der Industrieverband BDI wird auflaufen, die Steinkohlelobby, der Bauernverband, eine Reihe von Umweltverbänden. Vom Morgen bis zum Nachmittag sollen sie den Klimaschutzplan 2050 flöhen. Oder besser: Das, was von ihm übrig geblieben ist.

Seit mehr als einem Jahr werkelt das Bundesumweltministerium an einem "Klimaschutzplan 2050". Der Plan soll darlegen, wie Deutschland binnen 33 Jahren so gut wie frei von Treibhausgasen wirtschaften könnte, welche Zwischenschritte dazu nötig wären. Doch was als Gesellenstück öffentlicher Beteiligung begann, fällt zunehmend den politischen Interessen einzelner zum Opfer. Zwei Extraschleifen drehte das Papier, erst durch das Wirtschaftsministerium, dann durch das Kanzleramt. Schon jetzt sind viele einst konkrete Pläne getilgt, sei es zur Zukunft des Verbrennungsmotors oder zu jener von Kohlekraftwerken. Aus der "konsequenten" Abkehr von fossiler Energie wurde eine "schrittweise" Abkehr, aus "erheblichen" Beiträgen einzelner Sektoren wurden "angemessene" Beiträge. Ganze Passagen verschwanden auf wundersame Weise.

Doch manchem in der Koalition geht das noch nicht weit genug. Ende voriger Woche wandten sich vier stellvertretende Vorsitzende der Unions-Fraktion an Kanzleramtsminister Peter Altmaier, ebenfalls CDU. Zwar sei "manche Detailformulierung abgeändert" worden. "Aber leider müssen wir unsere grundsätzliche Kritik erneuern." Statt auf staatliche Vorgaben müsse sich Klimaschutz auf Markt, Wettbewerb und Innovation stützen, schreiben die vier. Und dann: "Der Klimaschutzplan stellt eine große Gefahr für Wirtschaft, Wohlstand und sozialen Zusammenhang in unserem Land dar." Das sind ziemliche Geschütze.

Mehrere Ministerien wollen noch Änderungen - die Frist endet an diesem Freitag

Zumal für Bundeskanzlerin Angela Merkel wird die Sache damit zunehmend unangenehm. Anfang Juli hatte sie noch einmal eine Lanze für den Klimaschutz gebrochen, damals war Deutschland Gastgeber des "Petersberger Klimadialogs". "Wie sagt man im Fußball so schön", holte Merkel seinerzeit aus, "nach dem Spiel ist vor dem Spiel." Schließlich habe man nun einen Weltklimavertrag, den es einzulösen gelte. "Da wir uns gerade innerhalb der Bundesregierung in der Abstimmung über unseren Klimaschutzplan befinden, erahne ich, dass das auch vielen anderen noch eine ganze Menge abverlangen wird."

Innerhalb der Regierung sind längst noch nicht alle Gefechte ausgetragen. Das Landwirtschaftsministerium hat schon durchblicken lassen, dass es mit so manchen Ideen nicht zufrieden ist, etwa mit festen Obergrenzen für den Einsatz von Stickstoff als Dünger. Ein Passus, nach dem auch Ernährungsgewohnheiten und der Konsum von Fleisch und Wurst einiges mit dem Klimawandel zu tun haben, ist allerdings schon wieder verschwunden.

Auch mit dem Bundesverkehrsministerium gibt es noch Stoff für Streit. Denn am Ende soll in dem Klimaschutzplan auch stehen, wie stark die Treibhausgas-Emissionen im Verkehr bis 2030 sinken sollen. Über die gesamte Wirtschaft strebt die Bundesregierung eine Minderung um 55 Prozent an, den Wert hat schon Schwarz-gelb 2010 gesetzt. Was aber, wenn sich bei Autos und Lastwagen so eine Minderung nicht erzielen lässt? Dann müssten andere Bereiche der Wirtschaft umso mehr Treibhausgase einsparen, etwa Kraftwerke.

Angela Merkel hatte sich persönlich für das Vorhaben starkgemacht

Diesen Freitag endet die Frist für die Ressortabstimmung, dann müssen alle Ministerien darlegen, womit sie nicht leben können. Auch gibt es in dem Plan noch jede Menge offene Stellen, die es danach auszuhandeln gilt. Für einen Regierungsplan, der schon Anfang November vom Kabinett verabschiedet werden soll, ist das ambitioniert. "Wenn das Säbelrasseln ernst gemeint ist", so heißt es in Regierungskreisen, "dann haben wir ein Problem."

Ein Problem hätte auch die Kanzlerin selbst, schließlich hatte sie im Juni 2015, beim G-7-Gipfel in Elmau, höchstselbst die Weltgemeinschaft auf die "Dekarbonisierung" eingeschworen, den Abschied von fossilen Energien im Laufe dieses Jahrhunderts. Auch beim Klimagipfel in Paris war sie dafür eingetreten. Bei der nächsten UN-Klimakonferenz, die in sechs Wochen in Marrakesch beginnt, könnte Deutschland nun als das Land dastehen, das vor seinem Klimaplan kapitulieren musste, im Widerstreit der Interessen daheim.

Die großen Umweltverbände wollen von dem Plan schon nichts mehr wissen, jedenfalls nicht in der jetzigen Form. Am Montag schrieben Greenpeace, BUND, WWF und Nabu einen Brief an Merkel und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). "Der Klimaschutzplan in seiner jetzigen Form erfüllt nicht die Anforderungen des Pariser Klimavertrages", heißt es darin. Ehrgeizige Ziele seien darin nicht erkennbar. "Stattdessen sind weitere Abschwächungen im Verlauf der Ressortabstimmung zu befürchten." Folglich werde man auch zu der Anhörung nicht erscheinen. Andere dagegen würden gerne reden, dürfen aber nicht. Wegen der großen Anfrage wurden Redeslots verlost. Die Industrie fühlt sich nun benachteiligt. "Kritische Stimmen", beklagt der Chemieverband VCI, "sind offensichtlich nicht erwünscht."

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