Umsonst-Ökonomie:Marktplatz des Vertrauens

Umsonst-Ökonomie: Frauen vor dem Umsonstladen des autonomen Wohnprojektes in der Brunnenstraße 183 in Berlin.

Frauen vor dem Umsonstladen des autonomen Wohnprojektes in der Brunnenstraße 183 in Berlin.

(Foto: Schöning/Imago)
  • Umsonst-Märkte funktionieren ohne Geld: Einer gibt, eine nimmt - ohne dass der Geber etwas dafür bekommt.
  • Die Teilnehmer verstehen sich als Konsumkritiker.
  • Trotzdem wägen auch auf diesen Märkten Menschen Kosten und Nutzen ab. Wichtiger als Geld sind jedoch psychologische Faktoren.

Von Katharina Brunner, München, und Helmut Martin-Jung, Berlin

"Das sind ja meine Sachen", ruft der kleine Junge und deutet auf einen Stapel Kleider, obenauf ein weiß-blauer Ringelpulli. "Ja", antwortet ihm seine Mutter, "die sind dir aber jetzt zu klein, die können jetzt andere Kinder anziehen." Am Anfang kommen sie nur spärlich, dann, gegen Mittag, werden es immer mehr: meist junge Menschen, die Rucksäcke und Taschen mitbringen zum Hof der evangelischen Schule an der Berliner Wallstraße. Kleidung ist oft darin, aber auch Bücher CDs und DVDs, Küchenutensilien. "Wir sehen nach, dass die Leute keinen Schrott mitbringen", sagt eine junge Frau am Eingang, die zurzeit ihr freiwilliges ökologisches Jahr ableistet und mit einigen anderen den Umsonst-Markt organisiert.

Der Markt findet jedes Jahr statt. Menschen, die wenig Geld haben, können hier mit ein bisschen Glück eine passende Jeans ergattern, einen Pulli dazu, Besteck, Gläser oder eine Auflaufform - was man eben so braucht. Jeder soll etwas mitbringen und darf sich dafür dann auch wieder etwas mitnehmen. Doch es geht nicht überwiegend darum, Geld zu sparen. Der Markt versteht sich auch als Projekt gegen Konsumwahn und die Wegwerfgesellschaft.

Eng verwandt mit der Umsonst-Ökonomie ist die Share-Economy, über die sich Menschen im Internet koordinieren können, um sich beispielsweise Autos oder Wohnungen zu teilen. Ein großer Teil dieser Vermittlungen passiert inzwischen auf Online-Plattformen wie dem Fahrdienst Uber oder der Zimmervermittlung Airbnb. Einigen sich Anbieter und Nachfrager, bekommen die Plattformen eine Provision. Das ist nicht im Interesse der Umsonst-Ökonomie: "Wir lehnen die Profitlogik ab, die hinter Unternehmen wie Airbnb steht", sagt Friederike Habermann, freie Wissenschaftlerin und Aktivistin der Umsonst-Ökonomie.

"Die entscheidende Frage ist: Was haben die Menschen davon?"

Ihre Motivation, auf Besitz zu verzichten und zu teilen, begründet sie so: "Wir können es uns nicht leisten, Ressourcen zu verschenken". Der Lebenszyklus - und damit die Wertschöpfung - eines Gegenstandes könne immens gesteigert werden, wenn es viele immer wieder nutzen.

Aber ist das genug der Motivation?

"Die entscheidende Frage ist immer: Was haben die Menschen davon?", sagt Peter Fischer, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Universität Regensburg. Sie profitierten von positiven Gefühlen, wenn sie jemandem helfen können. Doch auf reinem Altruismus basierten diese Märkte nicht, glaubt der Wirtschaftspsychologe: "Auch auf Umsonst-Märkten wägen Menschen ihre Kosten und ihren Nutzen ab." Auch die Umsonst-Ökonomie funktioniere über Angebot und Nachfrage, sagt Fischer. Selbst wenn niemand auf dem Umsonst-Markt mit Geld bezahlt, eine Währung gebe es trotzdem. "Eine psychologische Währung, die auf diesem Nischenmarkt die größere Bedeutung hat."

Es geht dabei eben nicht nur um Geld. Wichtig sei für Menschen, die ihr Eigentum frei geben, dass ihre Dinge weitergenutzt würden. Dadurch sinke die kognitive Dissonanz, eine Spannung, die sich dadurch ergibt, dass ein Produkt, in das Arbeit oder Geld investiert wurde, ungenutzt in einer Ecke liegt. "Ich bin dann froh, wenn ich das Ding los bin. Und ich freue mich, wenn es jemand brauchen kann", sagt Fischer. "Das ist eine andere Logik von Wirtschaft", sagt die Aktivistin Habermann. Sie dürfe nicht mit Schenken oder Tauschen verwechselt werden. Denn mit einem Geschenk wechselt auch der Eigentümer. "Die Devise ist Besitz statt Eigentum", so Habermann. Und im Gegensatz zu einem Tausch, hinterlässt der neue Besitzer keinen Gegenstand mit gleichem Wert.

Der Kampf gegen das Wegwerfen treibt auch Gerard Roscoe-Misler an. Er ist Botschafter für Foodsharing in Berlin. Viele Supermärkte, Bäckereien und andere Betriebe hätten schon von sich aus nach Möglichkeiten gesucht, Lebensmittel abzugeben, die sie sonst wegwerfen würden, sagt er, und: "Ich hoffe schon, dass sich was verändert." Dass die Menschen also nicht einfach nur kommen, etwas kostenlos aus öffentlichen Kühlschränken holen, aber weitermachen wie bisher. "Es gibt diesen Lernprozess", ist er sich sicher, "ist doch auch toll, wenn man teilen kann."

Das gesamte System von Umsonst-Märkten und -Läden würde auch nicht mehr funktionieren, wenn zu viele es ausnutzten, sagt der Wirtschaftspsychologe Fischer: "Solche Trittbrettfahrer sind eine Gefahr", sagt er, "sie müssen sanktioniert werden, sonst zerbricht die Gruppe." Wie das gehen soll? "Der Mensch ist ein Meister im Lügen - und im Lügen erkennen."

"Wenn man sieht, dass immer Leute mitmachen, dann wächst es auch"

Es ist also auch Vertrauen wichtig. Vertrauen, das zum Beispiel nötig ist, um einem Wildfremden einen mehr oder weniger wertvollen Gegenstand zu leihen. So wie das über die Webseite fairleihen.de geschieht. Der Berliner Marko Dörre hat sie vor drei Jahren mit ein paar Freunden ins Leben gerufen. Auf der Seite kann sich jeder Berliner anmelden, der etwas besitzt, das man an andere ausleihen kann, Werkzeug etwa, ein Zelt, ein Fahrrad. Wer etwas zum Verleihen anbietet, darf sich auch bei anderen etwas ausleihen.

Wer also etwa eine Bohrmaschine braucht, sieht nach einer Suche auf der Internetseite in einer Karte, wo der nächste Fairleiher wohnt, der eine Bohrmaschine besitzt. "Unsere Ziele sind Nachhaltigkeit, gute Nachbarschaft und Hilfe für sozial Schwache", sagt Dörre, der auch bei Leila mitarbeitet. Leila steht für Leihladen. In dem Geschäft im Bezirk Prenzlauer Berg kann sich jeder etwas ausleihen, der dort auch etwas zur Verfügung stellt. Etwa 1700 Nutzer sind auf Dörres Webseite angemeldet, drei bis zehn Leihanfragen werden pro Tag gestellt. Zu wenige, findet er: "Die Masse macht's, wenn man sieht, dass immer mehr Leute mitmachen, wächst es auch."

Viele nicken mit dem Kopf, als Dörre auf dem Schulhof sein Projekt vorstellt - eine Erfahrung, die er oft macht: "Wenn alle, die gesagt haben, dass sie bei uns mitmachen wollen, das auch tun würden, wären wir schon viel weiter", sagt er, "das ist halt auch Übungssache."

Etwas weiter vorne auf dem Umsonst-Markt übt ein etwa vier Jahre altes Mädchen gerade: Sie hat einen batteriebetriebenen rosaroten Spielzeug-Staubsauger dabei, ein Utensil aus dem Kinderzimmer des Grauens. "Der ist auch noch so fürchterlich laut", erzählt die Mutter. Doch als die das scheußliche Trumm auf den Tisch zu den anderen Spielsachen legen will, kann sich das Mädchen doch nicht davon trennen und protestiert laut. Auf Besitz verzichten, mit anderen teilen - es will eben gelernt sein.

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