Umsatzsteuertricksereien:Die EU - eine Goldgrube für Betrüger

Prozess um Steuerbetrug in Millionenhöhe bei CO2-Handel

Auch mit CO2-Zertifikaten wird getrickst

(Foto: dpa)

Kriminelle Banden bestehlen die Staaten der Europäischen Union um jährlich 100 Milliarden Euro. Es geht um sogenannte Karussellgeschäfte mit der Umsatzsteuer - ein Trick, der jetzt schon seit 20 Jahren funktioniert. Die Politik könnte den Betrug leicht abstellen - tut es aber nicht.

Von Klaus Ott

Wenn das so weitergeht, dann lachen sich die Steuerbetrüger bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag ins Fäustchen. Dann wird der Fiskus, der sich seit zwei Jahrzehnten von Kriminellen horrende Summen abluchsen lässt, noch mehr Geld verlieren, viel mehr Geld. Etliche Milliarden Euro, Jahr für Jahr. Dann wird der Bundesrechnungshof weiterhin vergeblich warnen. Dann werden Steuerfahnder, wie einer von ihnen sagt, auch künftig "gegen Windmühlen kämpfen". Und warum das alles? Weil die Politik versagt. In diesem Fall die Europäische Union mit ihren Mitgliedsstaaten.

Recherche

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Traurig, aber wahr: Umsatzsteuerbetrüger bestehlen die EU-Staaten systematisch seit 1993, dem Wegfall der Grenzkontrollen und Beginn des freien Warenverkehrs.

Meistens geht es dabei um sogenannte Karussellgeschäfte, bei denen die Produkte im- und wieder exportiert werden. Das geht über so viele Stationen hinweg, dass der Fiskus den Überblick verliert und mehr Umsatzsteuern erstattet, als er zuvor kassiert hat. Eine der Firmen in diesen Handelsketten vergisst einfach, ihre Steuerschuld zu begleichen. Und verschwindet dann ebenso schnell wieder, wie sie aufgetaucht ist. Für die Steuerfahnder sind solche Firmen und deren Hintermänner nur schwer greifbar. Die Ganoven sind dann ebenso weg wie das Geld, das die Finanzämter ausbezahlt haben.

"Durch Umsatzsteuerbetrug entgehen dem deutschen Fiskus nach Schätzungen des Ifo-Instituts 14 bis 15 Milliarden Euro im Jahr", ist auf den Internetseiten des Bundeszentralamts für Steuern zu lesen. Ein großer Teil dieser Summe gehe auf die Aktivitäten krimineller Organisationen zurück, die staatenübergreifend sogenannte Karussellgeschäfte praktizierten. Der Bundesrechnungshof hat im September 2012 zusammen mit den Kollegen aus Belgien und den Niederlanden einen Bericht vorgelegt, in dem auf zwei EU-Schätzungen aus dem vergangenen Jahrzehnt verwiesen wird, wonach sich der Schaden in der EU auf 100 Milliarden Euro im Jahr belaufe. Auch dieser Bericht steht im Internet. Das Problem ist bekannt, doch die Politik reagiert kaum. Dabei wäre der Betrug leicht abstellbar, indem die Umsatzsteuer stark vereinfacht oder gar beim Handel zwischen den Firmen abgeschafft und nur noch vom Endkunden erhoben wird.

Ein gigantisches Karussell, gesteuert von Geschäftsleuten aus London

Nur ab und zu geschieht wirklich etwas. Als international agierende Organisationen vor wenigen Jahren den Handel mit Verschmutzungsrechten nutzten, um binnen Kurzem Hunderte Millionen Euro vom Fiskus zu ergaunern, schlug der Staat ausnahmsweise konsequent zurück. 1000 Polizisten, Steuerfahnder und Staatsanwälte aus der ganzen Bundesrepublik filzten Hunderte Firmen im Inland und, per Rechtshilfe, in zahlreichen anderen Staaten. Die Ermittler stießen auf ein gigantisches Karussell, gesteuert von Geschäftsleuten aus London, die meist aus Asien stammten und deren Netzwerk um die halbe Welt reichte. Mittendrin: die Deutsche Bank, die suspekten Firmen bei deren Handel mit CO2-Emissionen half.

Mehrere Beschuldigte sind inzwischen zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden, mehrere Händler der Deutschen Bank müssen mit Anklagen rechnen, doch die Drahtzieher laufen frei herum. Wenigstens ist es gelungen, die Umsatzsteuer auf Verschmutzungsrechte in vielen Ländern abzuschaffen und so den Fiskus wenigstens hier vor Betrügern zu schützen. Dafür verlagern nach Erkenntnissen der Behörden die Banden ihre Aktivitäten nun auf den Stromhandel.

Das Karussell dreht sich weiter. Und schneller. Früher mussten noch Autos oder Handys hin und her transportiert werden, um Kasse auf Kosten des Staates zu machen. Jetzt genügen virtuelle Waren wie Stromkontingente, die auf dem Computer verschickt werden. Schon entstehen Rechnungen mit Umsatzsteuer. Und die Ermittler kommen nicht hinterher, obwohl sie seit einigen Jahren auch Telefone abhören dürfen. Doch das kostet Zeit und Personal. "Wir sind überfordert", klagt ein führender deutscher Steuerfahnder.

Er schlägt vor, das System so zu ändern, dass nur noch derjenige Umsatzsteuern zurückbekommt, der diese zuvor nachweislich selbst gezahlt hat. Das ist nicht das einzige Modell, mit dem sich die Betrügereien beenden ließen. Doch die EU schafft es nicht, die Umsatzsteuer zu reformieren. Der Steuerfahnder befürchtet Schlimmstes. Neue EU-Staaten seien auf diese Gaunereien nicht vorbereitet. "Die werden ein Eldorado für Betrüger sein." Der Bundesrechnungshof hat bereits 2005 notiert, der europäische Wirtschaftsraum sei ein "Eldorado", eine Goldgrube, für organisierte Umsatzsteuerkriminalität.

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(Foto: sde)
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