Überzogene Strompreise:"Jetzt ist die Stunde des Kunden"

Viele Stromkonzerne begründen ihre Preiserhöhungen mit Halbwahrheiten, kritisiert der Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth.

Michael Bauchmüller

"Erneuerbare Energien lassen Strompreis steigen" - so überschrieb der Stromkonzern Vattenfall Europe vorige Woche die Hiobsbotschaft an seine Kunden. Mehr als 40 Stromversorger erhöhen mit solchen oder ähnlichen Begründungen im Januar ihren Strompreis. Jetzt legt der Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, Einspruch ein. Viele Versorger sagten nur die halbe Wahrheit. Dies sei unredlich. Er rät Stromkunden zum Wechsel.

Überzogene Strompreise: Der Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth: "Da stimmt etwas nicht."

Der Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth: "Da stimmt etwas nicht."

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Kurth, eigentlich sollte die Bundesnetzagentur für Wettbewerb am Energiemarkt sorgen. Jetzt erhöhen Dutzende Stromkonzerne die Preise. Hat die Netzagentur versagt?

Kurth: Auf keinen Fall. Wir haben den Markt in den letzten Jahren signifikant verändert. Wir haben den Gasmarkt vereinfacht, den Verbrauchern den Wechsel ihres Strom- und Gasanbieters erleichtert. Immer mehr Haushalte wechseln. Der Energiemarkt ist in vier Jahren unserer Tätigkeit mehr geöffnet worden als in den Jahren davor.

SZ: Woran liegt es dann? Die jüngsten Strompreiserhöhungen sind ja nicht die ersten.

Kurth: Ich verfolge diese Entwicklung auch mit Sorge. Das Ärgerliche sind nicht einmal nur die Strompreiserhöhungen an sich, sondern auch die Begründungen dafür. Da werden bei einigen Anbietern auch Argumente herangezogen, die so nicht stimmen. Das ist dann unredlich.

SZ: Die Versorger hatten vor allem auf teuren Ökostrom hingewiesen.

Kurth: Aber das kann es nicht sein. Wir haben einmal ausgerechnet, um wie viel sich der Strompreis durch die zunehmende Einspeisung erneuerbarer Energien erhöht. Wir kommen auf 0,2 Cent je Kilowattstunde. Und das bei einem Strompreis von rund 20 Cent. Da stimmt etwas nicht.

SZ: Manche Versorger sprechen von bis zu zwei Cent Mehrkosten für Ökostrom.

Kurth: Nicht die Erhöhung beträgt zwei Cent, sondern die gesamte Umlage für erneuerbare Energien. Außerdem blenden die Unternehmen aus, dass es auch Kostensenkungen gab. Nehmen Sie nur den Börsenpreis. Da gibt es einen paradoxen Effekt: Wenn der Börsenpreis niedrig ist, ist die Umlage für erneuerbare Energien hoch. Das liegt in der Logik der Umlage, die ja die Differenz zwischen den Kosten der erneuerbaren Energien und dem Börsenpreis auffangen soll. Man kann darauf hinweisen, aber dann muss man auch erwähnen, dass die Börsenpreise inzwischen niedrig wie lange nicht mehr sind.

SZ: Die Börsenpreise für Strom waren aber nicht immer so niedrig wie jetzt. Viele Unternehmen verweisen auf Verträge, die sie zu höheren Preisen abgeschlossen haben.

Kurth: Ich will nicht ausschließen, dass mancher am Strommarkt ungünstig beschafft hat. Im Sommer 2008 war der Strompreis auf Rekordhoch. Wer da eingekauft hat, der bekommt jetzt Probleme. Und dann versteckt er sich hinter irgendwelchen anderen Begründungen und versucht, das Problem auf seine Kunden abzuwälzen. Es gibt aber noch ein Beispiel für halbe Wahrheiten.

"Es reicht noch nicht"

SZ: Nämlich?

Kurth: Die Bundesregierung hat vor kurzem den Verrechnungsmechanismus für erneuerbaren Strom umgestellt, um mehr Transparenz zu schaffen. Früher war ein Teil der Umlage Bestandteil der Netzentgelte, die genaue Höhe war damit für Verbraucher nicht erkennbar. Jetzt wird sie herausgerechnet, als eigener Posten. Aber das kann keine Begründung für höhere Strompreise sein, denn dadurch steigen die Kosten nicht. Das ist linke Tasche - rechte Tasche! Denn im Gegenzug fallen ganz zwangsläufig die Netzentgelte, weil dieser Teil der Umlage nicht mehr drin ist.

SZ: Der ganze Vorgang erinnert irgendwie an frühere Preiserhöhungen.

Kurth: Ja, leider. Nur wird die Branche so nicht das Vertrauen ihrer Kunden gewinnen. Sie muss endlich aus kommunikativen Fehlern der Vergangenheit lernen.

SZ: Warum? Die Kunden bleiben ja offenbar dennoch treu.

Kurth: Das unterscheidet den Strommarkt von einem wirklichen Wettbewerbsmarkt. In einem Wettbewerbsmarkt wäre es gar nicht möglich, Folgen problematischer Beschaffungsstrategien an die Verbraucher und an die Kunden weiterzureichen. Wenn Lufthansa oder Air Berlin ihr Flugbenzin falsch eingekauft haben und der andere hat es richtig eingekauft, dann verändern sich die Preise. Und dann gehen die Leute dahin, wo die Flugpreise billiger sind. Dort, wo Wettbewerb herrscht zwischen Anbietern, ist es nicht möglich, solche Dinge weiterzureichen.

SZ: Sind die Stromkunden zu träge?

Kurth: Ja und nein. Wir haben schon eine gewisse Dynamik. Wir haben über zwei Millionen Kundenwechsel beim Strom. Aber es reicht noch nicht. Da ist noch mehr Aufklärung nötig, denn der Wechselprozess ist einfach geworden. Jeder, der das mal gemacht hat, weiß, dass das geht. Er weiß, dass er keine Probleme hat, dass er nicht im Dunkeln sitzt. Und man darf auch nicht vergessen, dass einige Anbieter für 2010 auch ihre Preise gesenkt haben. Eigentlich ist jetzt die Stunde des Kunden.

SZ: Trotzdem ist die Hälfte der Deutschen immer noch im Allgemeinen Tarif, also der teuersten Variante. Die zahlen ohne Not viel zu viel. Wer hat da versagt?

Kurth: Das ist keine Frage des Versagens. Viele Ältere trauen sich nicht, einen anderen Versorger zu wählen, aus welchen Gründen auch immer. Und manchen fehlt schlicht das Internet, um mal eben zu wechseln. Da müssen sich die Märkte auch erst einmal entwickeln. Meiner Erfahrung nach geht es häufig nur dann, wenn Nachbarn, Freunde, Bekannte sagen, der Wechsel hat was gebracht oder er hat keine Probleme gemacht. Das dauert aber, das geht nicht auf Knopfdruck. Wir sind ganz sicher noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt.

SZ: Die Preise aber möglicherweise auch noch nicht. Gibt es noch weitere Anstiege?

Kurth: Das hängt von vielen Faktoren ab, in erster Linie von der Entwicklung der Beschaffungskosten. Die Börsenpreise haben sich gegenüber 2008 mehr als halbiert, und auch die Netzentgelte machen nur noch ein Fünftel statt ein Drittel des Endkundenpreises aus. Das müsste endlich auch bei den privaten Kunden ankommen.

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