Überwachung:Geheimdienst der Konzerne

Sie arbeiten im Dunkeln, manche haben früher im Regierungsauftrag gespäht: Die Sicherheitschefs deutscher Unternehmen führen oft ein seltsames Eigenleben.

Hans Leyendecker und Klaus Ott

Harald Steininger kennt das Böse. Vor 30 Jahren, gleich nach dem Abitur, hat der Pfälzer bei der hessischen Polizei angefangen. Auch beim Bundeskriminalamt (BKA) war er im Einsatz. Das Milieu ist ihm also vertraut, und dennoch soll der heute 50-Jährige, der jahrelang Leiter der Konzernsicherheit (KS) der Telekom war, gefremdelt haben, als er vor Monaten von einem Bonner Staatsanwalt und zwei BKA-Leuten acht Stunden lang vernommen wurde.

Datenspionage, Fernglas, ddp

Die Sicherheitschefs deutscher Unternehmen - sie führen oft ein seltsames Eigenleben.

(Foto: Foto: ddp)

Der gelernte Polizist ist einer der Beschuldigten in der unappetitlichen Spitzelaffäre der Telekom, in der es unter anderem um den Verdacht der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses geht. Das seit Mai 2008 bei der Staatsanwaltschaft Bonn laufende Verfahren soll im nächsten Monat abgeschlossen werden. Derzeit steht noch nicht fest, ob der frühere Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke und der ehemalige Telekom-Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel angeklagt werden. Manches spricht dafür, manches dagegen. Als sicher gilt, dass der ehemalige Chef der Unterabteilung KS3 der Telekom, Klaus Trzeschan, und Ralph Kühn, Geschäftsführer der Berliner Recherchefirma Network Deutschland GmbH, eine Anklage bekommen.

Aus Sicht der Ermittler spielt Steininger in dem Verfahren nur eine Nebenrolle, und doch steht auch sein Name für Allmachtsphantasien und Paranoia in diesem "Big Brother"-Konzern. Beispielhaft für diesen Befund ist ein in Steiningers Wohnung sichergestelltes Asservat, dem seine Ex-Kollegen vom BKA die Nummer 10.4.1. gaben. Zu dieser Nummer gehört eine E-Mail Steiningers von November 2006, die an den damals gerade inthronisierten neuen Vorstandschef René Obermann gegangen sein soll. Die Mail selbst ist harmlos, ein beiliegendes DIN A4-Blatt mit der Überschrift "Lessons Learned" (Lektionen gelernt) ist aber verräterisch.

Papier zum Antrittsbesuch

In Stichpunkten wird darin eine "Gegenstrategie zu gezielten Indiskretionen" entwickelt. Punkt fünf behandelt den "Aufbau einer Hausmacht (Platzierung loyaler, auf den Vorstandsvorsitzenden eingeschworener Mitarbeiter in Schlüsselpositionen)". Geht das die Sicherheitsleute, die den Konzern schützen sollen, etwas an? An anderer Stelle wird "Social Engineering zum Zwecke der Identifizierung von Interessengruppen innerhalb des Vorstandes und des Aufsichtsrates" empfohlen. Das klingt neumodisch geschraubt, ist aber eigentlich hammerhart: Social Engineering ist der Versuch, etwa durch Vortäuschen einer falschen Identität, das persönliche Umfeld von Leuten auszuspähen, um an geheime Informationen zu gelangen. Klar war bislang nur, dass Journalisten die Interna kannten und publik machten oder deren Gesprächspartner verdächtig waren. Ist jetzt der Vorstand - der Konzernchef ausgenommen - oder das Kontrollgremium der neue Feind?

Die Telekom erklärt dazu, Steininger habe im November 2006 anlässlich eines Antrittsbesuchs beim neuen Vorstandschef Obermann diesem ein Papier mit "allgemeinen Ausführungen" zukommen lassen. Obermann habe dieses Papier nicht weiter beachtet. Beim Staatsanwalt hat Obermann als Zeuge ausgesagt, er habe Steininger "mehrfach darauf hingewiesen, dass ich auf rechtskonformes Handeln äußerst großen Wert lege". Steininger und sein Anwalt äußern sich nicht zu den Ermittlungen. Vielleicht hat ja ein damaliger Kollege Steiningers aus der Konzernsicherheit die Stichpunkte notiert. Aber es kommt nicht auf individuelle Paranoia, sondern auf die kollektive Verschwörung an: In einigen Konzernen sind die hochgerüsteten Sicherheitsabteilungen längst selbst zum Sicherheitsrisiko geworden, zu tickenden Zeitbomben.

Wie die Hühner von der Stange gefallen

Beim Streifzug durch dieses seltsame Schattenreich fällt auf, dass die Oberen der Sicherheit in jüngerer Zeit wie Hühner von der Stange gepurzelt sind. Ungefähr ein halbes Dutzend Fälle sind bekanntgeworden, in denen Security-Chefs gehen mussten. Der seltsamste Fall spielt in München bei Siemens. Der Industriekonzern hatte vor einem Jahr den Österreicher Gert René Polli, der von 2002 bis 2008 in der Alpenrepublik Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) war, zum neuen Sicherheitschef gemacht. Die Personalie Polli war ein Politikum. Er hatte echte Feinde und glühende Verehrer. Polli soll als BVT-Chef mysteriöse Verbindungen zum iranischen Geheimdienst unterhalten haben. Fest steht, dass er sich mit der CIA anlegte, und das ist nicht nur in Wien brandgefährlich.

Kaum war er bei Siemens, wurde der Verdacht gestreut, Polli habe Teheran ein geheimes Dossier des Bundesnachrichtendienstes über die Beschaffungsaktivitäten Irans in Sachen Atombombe zugespielt. Die CIA, die ein Elefantengedächtnis hat, soll die Geschichte lanciert haben. Das Kanzleramt in Berlin wurde eingeschaltet, die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe leitete Anfang 2009 gegen Polli ein Verfahren ein. Das BKA ermittelt, das Wiener "Büro für Interne Angelegenheiten" überprüfte Pollis Kontakte, ließ Telefonate abhören und vernahm Zeugen aus dem Milieu.

Räuber und Gendarm

Siemens trennte sich kürzlich von Polli. An den dünnen Vorwürfen ist, nach derzeitiger Aktenlage, nichts dran. Polli wird vermutlich nächste Woche vom BKA vernommen, und dann wird das Verfahren wohl eingestellt werden. Für einen hinreichenden Tatverdacht reichen die Indizien nicht mal ansatzweise. Polli hat sich bei Siemens nichts zuschulden kommen lassen. Andererseits war es naiv von dem Weltkonzern, einen Nachrichtendienstler mit dieser Vita und diesen Gegnern anzustellen.

Weniger mysteriös sind die Geschichten, die im Gefolge des Telekom-Skandals bekanntwurden: Bei der Deutschen Bahn waren jahrelang Kritiker des früheren Bahnchefs Hartmut Mehdorn ausgespäht worden. Die Konzernsicherheit hatte ein weites Überwachungsnetz gespannt. Wie ein Geheimdienst hatte die Sicherheitsabteilung Wortbanken mit verdächtigen Begriffen gespeist, um die elektronische Post von Mitarbeitern zu filtern. Der Chef der Konzernsicherheit, Jens Puls, der früher Kriminaldirektor in Frankfurt war, musste gehen.

Bei der Deutschen Bank spielten Sicherheitsleute Räuber und Gendarm. IT-Vorstand Hermann Josef Lamberti und dessen Ehefrau wurden observiert, ein Peilsender klebte unter dem Wagen der Kanadierin, angeblich um zu prüfen, ob der Top-Manager gut geschützt werde. Der streitbare Aktionär Michael Bohndorf wurde bespitzelt. Der für Deutschland zuständige Sicherheitschef Rafael Schenz musste gehen. Ein Gütetermin beim Arbeitsgericht vor anderthalb Monaten scheiterte. Sein Anwalt sprach von einer "definitiv anderen Sicht der Dinge". Am 13. Januar sollen sich die Parteien erneut bei Gericht sehen.

Eine merkwürdige Melange

Warum kommen ehemalige Nachrichtendienstler oder frühere Polizeidirektoren in solch prekäre Situationen, wenn sie in die private Wirtschaft gewechselt sind? Und warum kommt ihnen das Gefühl abhanden, was richtig und was falsch sein könnte? Die Aufgaben sind gewaltig: Terrorismus, Entführung von Mitarbeitern, Korruption, chinesische Hacker, Firmenspionage sind nur ein Ausschnitt der Gefahrenlage, und manchmal gehören zu dieser Melange auch die Verräter in den eigenen Reihen und die bösen Journalisten. Bei all den Feindbildern ist die Zusammenarbeit zwischen Diensten, Polizei und Konzernen enger geworden. Es gibt spezielle Arbeitskreise, es gibt das Sicherheitsforum Deutsche Wirtschaft; dort tauscht man sich aus. Auch finden Treffen der Sicherheitschefs beim BKA statt. Man kennt sich, hatte dieselben Schulungen, hat denselben Feind. Der kleine Dienstweg wird zum Trampelpfad.

Die Bonner Staatsanwaltschaft stieß bei ihren Telekom-Ermittlungen auf Unterlagen über einen Security-Arbeitskreis, dem die Sicherheitschefs von mindestens sieben Konzernen angehörten. Auch "Notfall-Erreichbarkeiten" waren notiert. "Zwischen diesen Firmen könnte ein Datenaustausch auf Arbeitsebene stattgefunden haben", notierte ein BKA-Kommissar. Auch entdeckten die Ermittler bei Steininger Stellenausschreibungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und bei der Telekom Hefte mit streng vertraulichen Berichten über angebliche Treffen mit Verbindungsbeamten des BKA im Ausland. Der "BND-Kontakt", notierte das BKA, sei von der Telekom "hinsichtlich Kooperationsbereitschaft und Ausbaufähigkeit" bewertet worden. Der Sachbearbeiter bei der Telekom sei vermutlich ein Ex-Mitarbeiter des Verfassungsschutzes gewesen.

Aus Kooperation ist Kumpanei geworden. "Ich wusste so gut wie nichts von denen, außer, dass sie auf unserer Gehaltsliste standen", sagte Ex-Telekom-Chef Ron Sommer über die Sicherheitsleute. Sicherheitsabteilungen sind fürs Grobe zuständig. Sie müssen beim Kampf gegen die vielen Feinde funktionieren, erfindungsreich und erfolgreich sein, aber immer rechtsstaatlich. Schließlich werden die Mitarbeiter für ihr im Wortsinn umfassendes Wissen gut entlohnt.

Eine Kontenauswertung des BKA zeigte, dass Steininger nach seinem Ausscheiden bei der Telekom erst 578.000 Euro und dann 408.311 Euro erhalten hat. Die Kölner Kanzlei Oppenhoff & Partner hat dazu in einem Prüfbericht für die Telekom notiert, bei Steiningers Abfindung bestehe der "Eindruck einer großzügigen Handhabung". In den Ermittlungsunterlagen findet sich der Hinweis Steiningers, er übernehme im Falle des Falles die "politische Verantwortung" für das, was bei der Telekom schiefgelaufen sei. Im Gegenzug müsse die Telekom seine Existenzgrundlage sichern.

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