Übernahme in Frankreich:Siemens in Versuchung

Employee of Siemens AG works on gas turbine in Berlin

Endlich GE eines auswischen: Ein Siemens-Mitarbeiter an einer Turbine in Berlin.

(Foto: REUTERS)

Als ewiger Zweiter der Branche sonnt sich Siemens im französischen Interesse. Es spricht nichts dagegen, das Alstom-Geschäft zu prüfen. Gefährlich wird es, wenn die Siemens-Führung mit dem Herzen statt mit dem Kopf entscheidet.

Ein Kommentar von Marc Beise

Wir sind keine Maschinen, sagen sie jetzt gerne bei Bayern München, um zu erklären, warum die so sorgsam geplante Erfolgssträhne im internationalen Fußball zu dem Zeitpunkt gerissen ist, als es darauf ankam. Wir sind keine Maschinen, das gilt auch in den Chefetagen der Wirtschaft, selbst in Konzernen, wo Milliarden Euro, Dollar oder Yuan bewegt und pro Kopf Millionen verdient werden.

Das ist zunächst eine gute Nachricht, weil Wirtschaft so wenig wie Fußball sich einfach ausrechnen lässt, weil sie nicht eine Folge von Algorithmen ist, weshalb es bis zur Weltherrschaft der Maschinen, Roboter und Googles dieser Welt noch ein weiter Weg ist. Aber es droht auch Gefahr: Menschen irren, sind gefühlig, engstirnig, womöglich verbohrt. Wenn der Mensch dann noch Politiker ist, mit dem Willen überall mitzubestimmen, kann es unheilvoll durcheinandergehen.

Durcheinander geht es in diesen Tagen in der Weltliga der Industriekonzerne. Das französische Unternehmen Alstom ist in Not. Obwohl der Mischkonzern von Hochgeschwindigkeitszügen bis Energieanlagen alles Mögliche verkauft und damit immerhin 20 Milliarden Euro Umsatz im Jahr macht, fehlen ihm Geld und Perspektiven. Alstom ist ein Sanierungsfall.

Weshalb die Offerte des Weltmarktführers General Electric (GE) aus Fairfield, Connecticut, willkommen war. Für den brachialen GE-Chef Jeffrey Immelt, und hier menschelt es ein erstes Mal, wäre das ein Bonuspunkt fürs eigene Ego. Und ein gutes Geschäft, weil die Amerikaner ausgerechnet im Herzen Europas, in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauptkonkurrenten Siemens, an Stärke gewinnen.

Endlich wieder das Heft des Handelns in die Hand bekommen

Die Deutschen sind, zum eigenen Verdruss, die ewigen Zweiten der Branche, obendrein verunsichert durch die Probleme der letzten Jahre: von den Korruptionsaffären in der Ära von Heinrich von Pierer über den Sturz von Vorstandschef Peter Löscher im Zuge einer Palastintrige bis zur Dauerkritik am Aufsichtsratschef Gerhard Cromme. Dieses Siemens ist sehr in Versuchung, endlich wieder mal das Heft des Handelns in die Hand zu bekommen und GE eines auszuwischen. Was sich mit dem Wunsch der französischen Regierung trifft, die ungeliebten Amerikaner fernzuhalten.

Schon dass Paris sich so massiv einmischt, obwohl Alstom gar kein Staatsunternehmen ist, sollte die Deutschen stutzig machen, stattdessen sonnen sie sich im französischen Interesse. Der neue Vorstandschef Joe Kaeser könnte sich mit einem Mega-Deal profilieren, und Aufsichtsratschef Cromme ist zufällig der in Frankreich bestverdrahtete deutsche Manager, ausgestattet mit allen Ehren und Zugang direkt zum Präsidenten.

Natürlich kann man das Geschäft auch inhaltlich begründen, Siemens nähme sich die Energiesparte und stärkte das eigene Geschäft, opferte dafür das Zuggeschäft (ICE), mit dem man zuletzt mehr Sorgen als Freude hatte. Damit entstünden zwei europäische Champions, je einer auf den wichtigen Zukunftsfeldern Mobilität und Energie. Und das vor dem Hintergrund der Weltläufe: ein deutsch-französischer Schulterschluss, während Europa über die weltmachtsüchtigen und abhörwütigen Vereinigten Staaten zürnt. Passt doch! Oder eben nicht?

Es kommt nicht nur auf Zahlen an

Grenzüberschreitende Großkäufe haben noch selten funktioniert, weil es eben nicht nur auf Zahlen ankommt, sondern auch auf die Unternehmenskulturen, die verschmolzen werden sollen. Die deutsche Industriegeschichte ist voll von missglückten Fusionen, ob in der Autoindustrie (Daimler-Chrysler), in der Telekommunikation (Telekom/Voicestream) oder der Pharmabranche (Hoechst/Rhône-Poulenc/Aventis). Den beteiligten deutschen Konzernen haben sie selten das gebracht, was sie sich erhofft hatten; etliche mussten rückabgewickelt werden.

Dass das Management von Alstom von einem starken Chef geführt wird, der sich auf die amerikanische Lösung festgelegt hat, sollte Siemens eine Warnung sein. Solche Deals kann man nicht vom grünen Tisch dekretieren, sie funktionieren nur unter ganz besonderen Umständen, wenn "alles passt". Hier aber sind die Sollbruchstellen schon zu erkennen: die Vorbehalte im dortigen Management, ein französischer Staat, der mitreden will, ein Käufer, der selbst im Großumbau steckt (nächste Woche will Siemens-Chef Kaeser die neue Strategie verkünden).

Nichts spricht dagegen, das Alstom-Geschäft zu prüfen und, wie es so schön heißt, sich im Datenraum umzusehen. Gefährlich wird es, wenn sich die Siemens-Führung so weit vorwagt, dass sie am Ende nicht mehr zurückkann, dass sie mit dem Herzen statt mit dem Kopf entscheidet. Das wäre menschlich, aber falsch. Und sündhaft teuer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: