Übernahme durch Microsoft:Lehren aus Nokias Niedergang

A man is silhouetted against a video screen as he poses with Nokia Lumia 820 smartphone in this photo illustration taken in the central Bosnian town of Zenica

Mehr als zehn Jahre vor dem iPhone stellte Nokia eines der ersten Smartphones vor - bald wird das Unternehmen wohl nur noch eine Abteilung im Microsoft-Reich sein

(Foto: Dado Ruvic/Reuters)

Die Aktionäre von Nokia stimmen über den Verkauf der Handysparte an Microsoft ab. Dies steht sinnbildlich für ein europäisches Problem: Im Technologiesektor geben Amerikaner und Asiaten den Ton an. Nicht nur Nokia ist träge geworden - viele andere auch.

Ein Kommentar von Varinia Bernau

Es ist schwer, nach Niederlagen nicht der Versuchung zu erliegen, sich mehr dem Wundenlecken zu widmen als der Frage, wie man's in Zukunft besser macht. Wer aber die Kraft dazu findet, hat zumindest die Chance, der nächsten Niederlage vorzubeugen. Wer diese Mühen nicht auf sich nimmt, hat bereits verloren.

An diesem Dienstag stimmen die Aktionäre von Nokia über den Verkauf der Handysparte an Microsoft ab - und es sieht ganz so aus, als ob jenes finnische Unternehmen, das bereits mehr als zehn Jahre vor dem iPhone eines der ersten Smartphones überhaupt vorgestellt hat, dann nur noch eine Abteilung im riesigen Reich des amerikanischen Konzerns sein wird.

Es ist zu spät, die einzelnen Gründe für Nokias Niedergang aufzulisten. Aber es ist gerade noch rechtzeitig, daraus Lehren für die Zukunft abzuleiten. Denn dass ein so viel mächtigeres amerikanisches Unternehmen nun ein so viel kleineres europäisches schluckt, ist sinnbildlich für ein grundlegendes Problem: Im Technologiesektor geben nicht die Europäer den Ton an - sondern Amerikaner und Asiaten.

Die falsche Frage

Natürlich kann kein Land, vielleicht nicht mal ein Kontinent, alles allein entwickeln und alles allein fertigen. Aber wenn sich die Europäer davor gruseln, dass sich US-Unternehmen als Datenkraken aufspielen und dass US-Geheimdienste diese in ihrer schier grenzenlosen Paranoia zu ihren Gehilfen machen, dann muss sich dieser Kontinent auch überlegen, wie er ein Gegengewicht schaffen kann. Es reicht nicht aus, das Zauberwort vom europäischen Internet fallenzulassen - solange die Liste der meistgeklickten Internetseiten vor allem von amerikanischen Diensten angeführt wird, auf die auch hier kaum jemand verzichten mag: von der Suchmaschine Google, dem Plaudertreff Facebook, dem Händler Amazon.

Warum diese Ideen nicht in Europa entstanden sind? Das ist die falsche Frage. Denn tatsächlich gibt es in Berlin und London, in Stockholm und Warschau, durchaus eine lebendige Gründerszene, in der Ideen geboren werden, die es mit denen aus dem Silicon Valley aufnehmen können. Nur schaffen es die Europäer, anders als die Amerikaner, eben nicht, aus diesen Ideen auch ein echtes Geschäft zu machen. Schon in der Schule werden Kinder noch immer viel zu selten ermutigt, sich an Computer heranzuwagen. An der Uni setzt sich das fort.

Europa ist zu sehr damit beschäftigt, Rettungsgelder in seine marode Banken zu pumpen - statt das Geld in die Förderung von technologischer Forschung zu stecken. Dies ist auch ein Grund, warum es am mutigen Engagement der hiesigen Bankhäuser mangelt, um kleine Unternehmen groß zu machen. Und mit dem enormen Markt, den amerikanische Unternehmen vor der Haustür haben, kann Europa trotz aller Anstrengungen noch nicht mithalten.

Zwar ist es dem Kontinent inzwischen gelungen, eine neue Generation für eine wirklich grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu gewinnen. Tschechische Entwickler bringen ihr technisches Know-how inzwischen mit dem ästhetischen Gespür eines französischen Designers in Start-ups in Berlin zusammen. Aber bei anderen Fragen, beim Datenschutz etwa, ist Europa leider noch immer weit von einem einheitlichen Markt entfernt.

Fehlende Visionen und Allianzen

Auch dies gehört zu den Lehren aus Nokias Niedergang: Nicht nur der finnische Handyhersteller war träge geworden. Viele andere sind es ebenfalls. Noch immer verlassen sich die etablierten Branchen in Europa darauf, dass es ewig so weitergeht, statt Visionen zu entwickeln und nach Allianzen zu suchen, um diese in die Tat umzusetzen.

Nur ein Beispiel: Die Stärke der deutschen Autoindustrie liegt vor allem darin, solche Autos, die die Europäer schon seit Langem fahren, nun in Länder zu exportieren, die eine neue zahlungskräftige Kundschaft in China gerade für sich entdeckt. Am vernetzten Auto, das in Zukunft allein durch den Straßenverkehr steuert, tüfteln andere. Google zum Beispiel. Auch der Internetkonzern braucht dabei zwar Partner, auf die Deutschen aber ist er nicht angewiesen.

Bei Nokia haben sie viel zu lange daran geglaubt, dass sie alles allein machen müssten. Als sie sich vor fast drei Jahren mit Microsoft einen Partner suchten, war es schon zu spät. Daraus zieht Nokia nun Konsequenzen - und bringt die Handysparte für 5,44 Milliarden Euro beim einstigen Partner unter. Andere in Europa können daraus lernen - und es besser machen. Viel Zeit aber bleibt nicht.

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