Twitter und kein Ende:Kraftloses Zwitschern

Mehr als die Hälfte der deutschen Dax-Unternehmen ist auf Twitter aktiv. Doch was sie dort anstellen, ist eher armselig.

Laura Gitschier

Neulich im Empire State Building, New York. Ein paar Geschäftsleute twittern, dass sie Lust auf Eis haben. Eine lokale Eisdiele reagiert sofort und erfüllt ihnen den Wunsch. US-Unternehmen nutzen längst das Geschäftspotential der Microblogging-Plattform Twitter. So nimmt die Kaffeehauskette Coffee Groundz über Twitter Kaffee-Bestellungen ihrer Kunden auf, der Textilkonzern American Apparel sucht über das Portal Models für Kampagnen.

Der Mikroblogging-Dienst Twitter startete 2006 - vom Erfolg der Handy-SMS-Nachrichten inspiriert - als Experiment. Heute wird der Wert des Internetangebotes mit 300 Millionen Nutzern auf zehn Milliarden Dollar taxiert. Wenngleich das Unternehmen Twitter selbst noch nicht rentabel ist, wächst die internationale Twitter-Gemeinde rasant. Rund sieben Millionen Twitter-Nutzer zählte die Medienforschungsgruppe Nielsen im Februar dieses Jahres in den USA. In Deutschland wird von mehr als 100.000 aktiven Twitterern gesprochen - immerhin mit einem monatlichen Zuwachs im ein- bis zweistelligen Prozentbereich.

Einen Fachbegriff für die kommerzielle Twitterei gibt es auch schon: Corporate Twitter nennt man es, wenn Unternehmen online Kurznachrichten versenden. Das erlaubt es in der Theorie, näher an die Kunden heranzukommen und systematisch am eigene Image zu arbeiten.

Vorbildlicher Twitter-Nutzer Dell

Wie das im großen Stil geht, zeigt der amerikanische Computerkonzern Dell: Das Unternehmen verzeichnet allein über ihren größten Kanal, den DellOutlet-Account über 1.240.000 Follower und betreibt mehr als 30 Accounts - jeder zielgenau auf ein Projekt, ein Thema oder eine Zielgruppe abgestimmt. Zur Erklärung: Ein Twitter-Account ist eine Seite, auf der der Nutzer jederzeit Kurznachrichten publizieren kann. Alle Follower des Accounts erhalten diese Nachricht dann in ihrem eigenen Twitter-Fenster.

Via Twitter verkündet Dell aktuelle Angebote, twittert technische Informationen oder kommuniziert direkt mit seinen Kunden - und das sehr erfolgreich. Im Juni diesen Jahres meldete der Computerhändler, der DellOutlet-Account auf Twitter habe in den vergangenen zwei Jahren für zusätzlichen Umsatz in Höhe von mehr als drei Millionen Dollar gesorgt, Tendenz steigend.

Immer mehr deutsche Unternehmen versuchen mittlerweile, es ihren amerikanischen Konkurrenten gleichzutun. Mehr als die Hälfte der 30 Dax-Unternehmen verfügt über einen auffindbaren Twitter-Account in deutscher Sprache. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie auch wirklich aktiv sind. Viele der Twitter-Versuche wirken holperig und wenig durchdacht, sie sind in Twitter-Dimensionen auch wenig erfolgreich. Durchschnittlich 673 Follower wollen wissen, was die größten deutschen Konzerne zu sagen, hat die Agentur Zucker Kommunikation und Blätterwald ermittelt - ein Witz im Vergleich zur Mitarbeiter- und Kundenzahl der Unternehmen.

So schlagen sich die Unternehmen

Aber dabei sein ist derzeit alles - findet zumindest Kommunikationsberater Klaus Eck, der mit fast 7000 eigenen Followern aus eigener Erfahrung weiß, wie man den neuen Kanal richtig bespielt. Er beobachtet seit geraumer Zeit den Twitter-Unternehmens-Markt und sagt: "Die Unternehmen sollten auf jeden Fall in Twitter vertreten sein. Heute können sie sich wegen der vergleichsweise geringen Teilnehmerzahl Fehler noch erlauben, morgen nicht mehr."

Leider sind die ersten Gehversuche der deutschen Dax-Konzerne noch ziemlich dürftig. Hier eine Auswahl:

Mit rund 8800 Verfolgern steht die Lufthansa im Dax-Vergleich am besten da. Aber nicht immer lief es in Sachen Twitter für den Flugkonzern rund - sie mussten anfangs viel Schelte einstecken. Zunächst nutzte die Lufthansa den Kanal beinahe ausschließlich zur Verkaufsförderung und beteiligte sich nicht am vielstimmigen Dialog der Online-Plattform. Die Twitter-Gemeinde empfand das als Missbrauch der Twitter-Kultur. Auch heute dominieren immer noch Werbeelemente die Twitter-Seite der Lufthansa, da heißt es zum Beispiel "Abu Dhabi, Boston, Phili oder Tel Aviv. Jetzt 299 € Favoriten wählen".

Lerneffekt

Aber der Konzern hat offenbar dazugelernt. "Wir versuchen, eine gute Mischung beim Twittern zu finden", beschreibt Sprecher Marco Dall'Asta das heutige Vorgehen. Jetzt twittert Lufthansa_de auch nützliche Informationen wie Wiesn-Tipps oder den Hinweis auf eine eigene Computerpanne am Mittwoch: "Wegen Problemen beim Check-in kommt es heute zu Flugverspätungen. Bitte direkt am Abflughafen einchecken. Mehr Infos unter 01 805 805 805".

Der Autokonzern Daimler gilt ebenfalls als vorbildlich - und das, obwohl erst seit Juni diesen Jahres aktiv getwittert wird. Allein der offizielle "DaimlerAG"-Kanal wird von rund 1500 Nutzern verfolgt, dazu kommen Accounts wie "Daimler News" (hauptsächlich Pressemitteilungen) und "Daimler Career" mit Informationen zum Berufseinstieg. Den Eifer in Sachen Twitter begründet Corporate-Blog-Leiter Uwe Knaus so: "Wir treffen bei Twitter auf Zielgruppen, die wir mit unseren klassischen Kommunikationskanälen zum Teil nicht mehr erreichen." Außerdem habe sein Unternehmen erkannt, dass die Meinungsbildung zunehmend im Netz beginnt und da wolle man sich an den Gesprächen beteiligen.

Der Versicherungskonzern Allianz hat seit April einen eigenen Account, den rund 450 Menschen verfolgen - eine lächerliche Zahl für den Versicherungsriesen. Trotzdem macht das Unternehmen eines richtig - es setzt auf persönlichen Austausch. Hier schreibt ein einzelner Online-Redakteur mit Namen. "Wir twittern personalisiert, damit sich eine Bindung zu den Kunden besser ergeben kann", sagte Allianz-Sprecher Reiner Wolf.

So gehen Telekom und SAP mit Twitter um

Auch die Deutsche Telekom ist in Twitter vertreten. Sie betreibt diverse Accounts mit unterschiedlichen Ansätzen. So gibt es neben dauerhaften Accounts auch speziell eventbezogene wie beispielsweise zur Leichtathletik-WM oder zur Internationalen Funkausstellung IFA. "Für die Zukunft ist es der Kanal mit dem größten Potential", heißt es bei der Telekom vollmundig. Insgesamt gut 3000 Follower folgen den unterschiedlichen Accounts des magentafarbenen Unternehmens.

Die Deutsche Bank will "als modernes Unternehmen gelten, dass sich solche Kanäle zunutze macht" und betreibt deshalb zwei offizielle Accounts, die von der hausinternen Kommunikationsabteilung geführt werden - der Erfolg lässt noch auf sich warten. "DB_News" verfolgen rund 240 Follower.

Softwarehersteller SAP sieht Twitter als schnelle Austauschmöglichkeit und gute Beobachtungsplattform. "So können wir schnell aktuelle Diskussionen verfolgen und daraus Rückschlüsse ziehen", sagt Hilmar Schepp, Sprecher bei SAP. 112 Follower hat der Software-Weltkonzern bei seinem "SAPInfo-Kanal", rund 4000 Follower sind es sogar bei "Sapnews". Für die Zukunft arbeitet der Softwarekonzern laut Schepp daran, Plattformen wie Twitter und Facebook mit ihren Programmen zu verbinden.

Der Technologiekonzern Siemens dagegen will von Twitter nichts wissen. Das Unternehmen hat keinen angemeldeten Account. Sprecher Constantin Birnstiel begründet das so: "Wir sehen Twitter eher als Medium für die Kommunikation zwischen Individuen und weniger für die Verbreitung von Corporate-Botschaften." Twitter werde aber beobachtet und möglicherweise bei Events eingesetzt.

Autohersteller BMW, der ebenfalls keinen offiziellen deutschsprachigen Account betreibt, sondern nur ab und an anlassbezogen twittert, schlägt in eine ähnliche Kerbe. "Wir sind uns noch nicht sicher, ob Twitter nur ein Hype von kurzer Dauer ist", sagt Sprecherin Micaela Sandstede. Vorsichtig testet man derzeit international zwei Accounts für das Auto Mini. Sie sind bei Twitter aber so gut versteckt, dass nur Experten sie finden: Minispace und Miniunited.

Auch die Commerzbank ist eine Bank ohne Firmen-Account. Die Kommunikationsabteilung verwies auf Anfrage von sueddeutsche.de lustigerweise auf ihre eigenen Mitarbeiter. Diese würden ja aktiv im privaten Bereich twittern.

Die Twitter-Seite der Deutschen Post schießt allerdings den Vogel ab. Sie hat zwar einen Account angelegt, aber gepostet wird nicht: "Die Seite startet in Kürze", steht seit Juli auf der Post-Seite.

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