Twitter:Tendenz fallend

People holding mobile phones are silhouetted against a backdrop projected with the Twitter logo

Ein Problem für Twitter: Der Dienst ist nicht ganz leicht zu benutzen, die Kundenzahlen stagnieren daher.

(Foto: Kacper Pempel/Reuters)

Der Kurznachrichtendienst Twitter gilt eigentlich als unverzichtbar. Doch ein Käufer für das Unternehmen findet sich nicht - 300 Mitarbeiter müssen gehen.

Von Helmut Martin-Jung

Das Beispiel ist legendär: Als Flugkapitän Chesley Burnett "Sully" Sullenberger 2009 erfolgreich einen Airbus 320 auf dem Hudson River notgewassert hatte, da waren die ersten Bilder der Rettungstat im sozialen Netzwerk Twitter zu sehen - lange bevor etablierte Medien sie zeigen konnten. Natürlich sind nicht alle Tweets auf dem Kurznachrichtendienst so spektakulär, die meisten sogar eher banal. Da Twitter aber so rasend schnell funktioniert, hat es sich binnen kurzer Zeit zum Medium der Wahl für Nachrichten-Junkies, Prominente und Politiker entwickelt.

Doch Twitter hat zwei Probleme. Erstens: Anders als etwa Whatsapp lässt sich Twitter nicht leicht benutzen, deshalb ist das Wachstum der Nutzerzahlen stark zurückgegangen. Zweitens: In den zehn Jahren ihres Bestehens ist es der Firma nicht gelungen, für ihr Produkt auch ein funktionierendes Geschäftsmodell zu entwickeln. Twitter steht deshalb zum Verkauf. Leider ist auch das nicht so einfach, selbst hoch gehandelte Interessenten wie etwa Salesforce haben abgewunken. Und nun kündigt das Unternehmen eine neuerliche Entlassungswelle an, 300 Jobs sollen gestrichen werden, acht Prozent der Belegschaft.

Twitter war wie so mancher Erfolg eigentlich ein Nebenprodukt. Die Firma Odeo wollte einen Podcast-Dienst aufbauen, einen Dienst also, bei dem sich die Nutzer Radiobeiträge herunterladen konnten. Dabei hatte der Programmierer Jack Dorsey die Idee zu einem Gruppen-Informationssystem. Es sollte dazu dienen, die Mitglieder des Entwicklungsteams unkompliziert auf demselben Stand zu halten. Anfangs basierte es auf SMS - übrigens auch eine Technik, die ursprünglich nicht für den kommerziellen Einsatz gedacht war.

Als die Idee in der Firma einschlug, gab Odeo den Dienst für die Öffentlichkeit frei - und er wurde auch hier sofort zu einem Erfolg. So gründete Dorsey zusammen mit Biz Stone, Evan Williams und Noah Glass das Unternehmen Twitter Inc.

Das anfangs rasend schnelle Wachstum ist mittlerweile zum Erliegen gekommen. Der Dienst verharrt bei gut 300 Millionen monatlichen Nutzern. Dabei wurden insgesamt 1,3 Milliarden Zugänge angelegt, wie das auf soziale Medien spezialisierte Beratungsunternehmen Brandwatch ermittelt hat. Doch davon setzten 44 Prozent keinen einzigen Tweet, also keine Nachricht, ab. Fast 25 Prozent der verifizierten Zugänge gehören Journalisten. Und hinter fast ebenso vielen Twitter-Konten stehen keine Menschen, sondern Bots - Computer also.

Allein schon an diesen Zahlen lassen sich viele Probleme von Twitter ablesen. Es gelingt dem sozialen Netzwerk nicht, über die ursprünglich angesprochenen Zielgruppen hinaus zu wachsen. Viele versuchen es zwar einmal, kommen aber mit dem Dienst nicht zurecht und verlassen ihn bald wieder. Oder aber sie bleiben passiv. Sie folgen also möglicherweise einigen aktiven Twitterern, schreiben selbst aber keine Tweets.

Inzwischen haben andere Netzwerke wie etwa Instagram, das von Facebook aufgekauft wurde, Twitter bereits eingeholt. Instagram etwa kommt ebenfalls auf 300 Millionen täglich aktive Nutzer, Facebook selbst besuchen pro Tag mehr als 1,1 Milliarden Nutzer - Tendenz steigend.

Tendenz fallend gilt daher für die Twitter-Aktie. Von ihrem Höchststand im Januar 2014 von gut 51 Dollar, sind die Anteile mittlerweile auf etwas mehr als 16 Dollar abgestürzt, in den ersten eineinhalb Jahren nach dem Börsengang verlor das Unternehmen bereits eine Milliarde Dollar an Börsenwert. Belebt wurde die Aktie immer nur kurzfristig von Übernahmegerüchten, die sich bisher jedenfalls alle schnell wieder zerschlagen haben.

Die Frage dabei ist: Was kann ein Unternehmen mit dem Kurznachrichtendienst anfangen? Schließlich ist Twitter so etwas ähnliches wie ein öffentlicher Kanal. Und wie sollte es einem neuen Besitzer gelingen, damit substanziell Geld zu verdienen, was Twitter selbst bisher auch nur in sehr bescheidenem Umfang geschafft hat?

Nur eines kann man aus vielen Beschreibungen über Twitters Misere herauslesen: Verlieren möchte eigentlich niemand den Dienst. Wo könnte man sonst so schön über einen misslungenen #Tatort ablästern. Und wo nähme der US-Late-Night-Talker Jimmy Kimmel den Stoff für seine bösen Tweets her?

Zuletzt hatte er den scheidenden US-Präsidenten zu Gast, der Tweets über sich vorlas: "Präsident Obama wird als vielleicht schlechtester Präsident in die Geschichte der Vereinigten Staaten eingehen!" Der Tweet stammte vom republikanischen Bewerber Donald Trump. Obama jedoch zeigte sich schlagfertig: "Wenigstens werde ich als Präsident in die Geschichte eingehen." Auch Twitter wird in der Geschichte seinen Platz finden, die Frage ist nur, wo. Unter den gescheiterten guten Ideen, oder unter denen, die es trotz vieler Schwierigkeiten schließlich doch geschafft haben.

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