Twitter:Langfassung

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Künftig muss man sich bei Twitter nicht mehr kurz fassen.

(Foto: Jens Wolf/Bloomberg)

Das Netzwerk trennt sich womöglich von der 140-Zeichen-Regel. Längere Tweets könnten als Akt der Verzweiflung gesehen werden.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Das soziale Netzwerk Twitter verzichtet wohl auf sein Alleinstellungsmerkmal: Wie die Tech-Seite Recode berichtet, soll es Nutzern der Webseite bald möglich sein, Nachrichten mit mehr als 140 Zeichen zu verschicken. Ende des ersten Quartals soll es so weit sein. Als Zeichenlimit gelten demzufolge künftig 10 000 Zeichen. Nach Erscheinen des Berichts meldete sich Twitter-Chef Jack Dorsey zu Wort. Sein Tweet wirkt wie eine Begründung: Bei dem Dienst gehe es um "einen einfachen Weg, etwas zu sagen, an jeden gerichtet, und zwar so, dass es die ganze Welt sofort sehen kann". Twitter sei ein Live-Medium. Schnell und auf Gespräche ausgerichtet. Das werde sich nicht ändern.

Twitter gehört mit mehr als 300 Millionen Nutzern zu den größten sozialen Netzwerken weltweit. Passiert irgendwo auf der Welt ein wichtiges Ereignis, erfahren die Menschen zuerst auf Twitter davon. Doch der Dienst schaffte es nicht, mehr Nutzer zu begeistern, die Zahlen stagnieren. Die Stimmung war so schlecht, dass sich Twitter-Chef Jack Dorsey kurz nach seinem neuerlichen Amtsantritt im Oktober 2015 öffentlich für das schlechte Abschneiden entschuldigte.

Für das Lesen eines Tweets mit 140 Zeichen braucht man sieben Sekunden. Für 10 000 Zeichen sind es siebeneinhalb Minuten. Twitter hat sich von Anfang an auf 140 Zeichen beschränkt, da SMS-Nachrichten nur Raum für 160 Zeichen ließen, bevor die Botschaft in zwei Teile getrennt wurde. Sollten längere Tweets tatsächlich erlaubt werden, kann man das als einen Schritt der Verzweiflung interpretieren. Das Unternehmen hat diverse Änderungen eingeführt, keine hat das Problem gelöst. Dazu gehört unter anderem, dass es seit geraumer Zeit möglich ist, sich private Nachrichten zu schicken, die 10 000 Zeichen lang sein dürfen. Zudem wurde eine Zitierfunktion eingeführt, darüber hinaus noch Gesprächsverläufe. Beide Funktionen sollten Twitter menschlicher machen.

Das bisher letzte große Update lief unter dem Namen "Moments" und wurde erst im Oktober eingeführt. Seither ist es möglich, sich bei Großereignissen eine Liste anzeigen zu lassen. Wenn Obama also darüber spricht, die Waffenkontrolle in den USA verschärfen zu wollen, und ihm dabei die Tränen kommen, ist das ein solcher Moment für Twitter. Wer wissen will, was passiert ist, kann sich diesen Moment in Tweet-Form zusammenfassen lassen. Als letzter Schritt wird nun das verändert, was Twitter ausmacht: die Kürze.

Man könnte den Schritt auch gelassener interpretieren. Es gibt technisch gesehen keinen Grund mehr, auf 140 Zeichen zu bestehen. Die Beschränkung könnte Nutzer sogar abschrecken, sie ist sonst bei keinem Netzwerk üblich. Viele Nutzer sind auch dazu übergegangen, bei wichtigen Anlässen den Bildschirm abzufotografieren und eine Textstelle als Bild beizufügen. Oder aber sie haben sogenannte "Tweetstorms" losgelassen, mit mehr als 20 Tweets. Doch das alles ist umständlich. Twitter kommt seinen Nutzern also entgegen.

Doch um Power-Nutzer, die sehr viel Zeit auf Twitter verbringen, nicht zu verärgern, will Twitter laut Wall Street Journal die Nutzer dazu anhalten, sich kurzzufassen. Wird eine Nachricht länger als 140 Zeichen, wird das dem Nutzer angezeigt. Längere Nachrichten werden darüber hinaus nicht in Gänze angezeigt. So gesehen, kommt es auch in Zukunft auf die ersten 140 Zeichen an.

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