Veröffentlichung von Konzernzahlen:Der Tweet, der zu viel wusste

  • Der Kurznachrichtendienst Twitter musste schlechte Quartalszahlen präsentieren - allerdings gelangten sie zu früh in die Öffentlichkeit. Innerhalb kurzer Zeit stürzte die Aktie ab.
  • Die Software Selerity der Technikbörse Nasdaq hat die Zahlen vorab veröffentlicht: Ein Automatismus sucht nach interessanten, noch nicht bekannten Informationen - in dem Fall die Quartalszahlen - und publiziert sie.

Von Kathrin Werner, New York

In Amerika gibt es einen stehenden Begriff für Nachrichten, die man bei Twitter lieber nicht abgesetzt hätte: "Twitter remorse". Auf Deutsch: Twitter-Reue. Sie setzt ein, wenn über den Kurznachrichtendienst etwas in die Öffentlichkeit gelangt, das dort eigentlich nicht hin gehört. Politisch unkorrekte Witze, Rechtschreibfehler, Partyfotos oder sonstige Peinlichkeiten kann man über Twitter mit wenigen Klicks über Computer oder Smartphone in die ganze Welt verbreiten.

Jetzt ist der Kurznachrichtendienst sein eigenes Opfer geworden. Am Dienstag um 15.07 Uhr hat die Finanzdatenfirma Selerity die Quartalszahlen von Twitter vorab veröffentlicht - bei Twitter.

Eigentlich hätten die Zahlen erst um 16 Uhr kommen sollen, doch ein Dienst der Technikbörse Nasdaq hat sie aus Versehen vorab veröffentlicht - und wurde dabei von Selerity ertappt. Selerity veröffentlichte die noch geheimen Daten bei Twitter unter dem Titel "Eilmeldung", von dort verbreiteten sie sich rasant im Internet. Sechs Sekunden nach den Tweets brach der Aktienkurs von Twitter ein. Binnen weniger Minuten verlor er rund 20 Prozent. Die unerwünschten Tweets kosteten Twitter fast sieben Milliarden Dollar an Börsenwert.

Selerity spürt im Internet Daten auf, die für die Börse interessant sind

Twitter teilte mit, dass das Unternehmen noch prüfe, was genau die Nasdaq falsch gemacht hat und wie das passieren konnte - sowohl Twitter selbst als auch Nasdaq leiden also unter Twitter-Reue. Gleichzeitig mit dem Beleg der eigenen Macht, Nachrichten im Internet blitzschnell zu verbreiten, gelangten auch Twitters Probleme an die Öffentlichkeit: Die Quartalsergebnisse waren schlecht, schlechter als von Finanzanalysten erwartet. Die Zahl der Menschen, die Twitter benutzen, wächst nur langsam, derzeit sind es 302 Millionen, und der Umsatz war niedriger, als das Unternehmen geplant hatte.

Selerity ist auf das Aufspüren von Informationen im Netz spezialisiert, die Software des Konzerns durchkämmt pausenlos das Internet nach Daten, die für die Börse interessant, aber noch unbekannt sind. Diese verkauft die Firma dann an Hochfrequenzhändler, deren Computersysteme in Sekundenbruchteilen Kauf- und Verkauf-Entscheidungen treffen und so schnell wie möglich Daten brauchen.

Der Nasdaq sind schon öfter Fehler unterlaufen

Schon 2011 hatte Selerity die Quartalszahlen von Microsoft gebracht, die der Softwarekonzern selbst aus Versehen zu früh ins Netz gestellt hatte. Im Fall von Twitter ist der Fehler allerdings nicht dem Unternehmen, sondern der Technologiebörse Nasdaq passiert, die mit Shareholder.com eine eigene Website betreibt und laut Twitter die Veröffentlichungen auf Twitters Internetseite für die konzerneigenen Finanzdaten kontrolliert. Twitter stellt die eigenen Zahlen also nicht selbst ins Netz, sondern hat diese Aufgabe an die Nasdaq-Tochter Shareholder.com übertragen. Seleritys Software hat Twitters Zahlen dann auf Twitters Website gefunden.

"Kein Leck, kein Hack", twitterte das Unternehmen, damit niemand glaubt, dass Selerity etwas Illegales getan hat. Der Nasdaq sind schon öfter Fehler unterlaufen. Im Oktober hat Shareholder.com die Quartalszahlen der Bank JP Morgan Chase mehr als drei Stunden zu früh veröffentlicht. Schuld war damals laut Nasdaq "menschliches Versagen". Die Nasdaq war auch an dem ziemlichen verpatzten Börsengang der Online-Firma Facebook mit schuld. Die Nasdaq-Systeme waren damals der Flut von Kauf- und Verkaufsaufträgen nicht gewachsen.

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