Turbinen auf der annektierten Krim:Siemens und der Wolf

Turbinen auf der annektierten Krim: (Collage: SZ)

(Collage: SZ)

(Foto: Stefan Dimitrov)

Sigmar Gabriel mahnte, die EU warnte, und Siemens sicherte sich mit Verträgen ab. Dabei gab es schon vor dem Geschäft Anzeichen, dass die Turbinen für Kraftwerke auf der Krim gedacht waren - und Russland Sanktionen brechen würde.

Von Christoph Giesen und Julian Hans

Der Besuch ist vielen im Gedächtnis geblieben. Zehn Tage nachdem der russische Präsident in einer pompösen Feier im Georgssaal des Kreml die Annexion der Krim besiegelte, ist Siemens-Chef Joe Kaeser im März 2014 zu Gast bei Wladimir Putin, in dessen Residenz Nowo Ogarjowo nahe Moskau. So als sei nichts geschehen. Keine russischen Soldaten auf der Krim, also auf ukrainischem Staatsgebiet, kein offener Bruch des Völkerrechts. Noch mehr im Gedächtnis geblieben sind die Antworten, die Kaeser danach im deutschen Fernsehen gab. Im "Heute Journal" sagte Kaeser, es habe sich lediglich um einen "Besuch bei einem Kunden" gehandelt, lange geplant. Die Bundesregierung sei im Übrigen informiert gewesen.

Siemens mache seit 160 Jahren Geschäfte in Russland, "da lassen wir uns nicht übermäßig von kurzfristigen Turbulenzen in unserer langfristigen Planung leiten". Mit "kurzfristigen Turbulenzen" war immerhin eine gewaltsame Landnahme mitten in Europa gemeint. "Ein bisschen schräg" habe er das gefunden, sagte später der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Aber Sanktionen gegenüber Russland, die Geschäfte deutscher Firmen dort behindern könnten, forderte er zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht.

Russland will die Krim unabhängig vom ukrainischen Mutterland machen

Drei Jahre später. Es hat dann doch sehr schnell Wirtschaftssanktionen gegeben. Und trotzdem hat Putin bekommen, was er wollte. Und dabei spielen Sigmar Gabriel und Joe Kaeser keine unerhebliche Rolle.

Die Lösung des Energieproblems auf der Krim sei nicht Gegenstand des Gesprächs gewesen, teilte ein Konzernsprecher der Süddeutschen Zeitung am Freitag mit, damals, als Kaeser Putin seine Aufwartung machte. Von "Anfragen im Frühjahr 2014 aus Russland an Siemens" in der Sache sei im Konzern nichts bekannt.

Dabei gab es mit der Krim von Anfang an zwei große Probleme. Und es war ebenso von Anfang an klar, dass der Kreml beide lösen musste, um die Krim dauerhaft von Kiew zu trennen und an Moskau zu binden: Erstens hat die Halbinsel keine feste Verbindung zum russischen Festland. Und zweitens bezieht sie 70 Prozent ihrer Energie vom ukrainischen Mutterland. Die Stromleitungen stehen für die Abhängigkeit der Krim von der Ukraine.

1,2 Milliarden

Euro Umsatz machte Siemens 2016 mit Geschäften in Russland. Bei fast 80 Milliarden Euro Gesamtumsatz stellt Russland keinen unverzichtbaren, aber eben auch keinen unbedeutenden Markt dar. Und: Das Russland-Geschäft lief mal bedeutend besser, vor den Sanktionen. 2014 lag der Umsatz noch bei 1,8 Milliarden Euro.

Putin gab den Bau der Kraftwerke in Auftrag

Um Kiew diesen Hebel aus der Hand zu nehmen - den Kiew auch alsbald zu bedienen beginnt -, legt das russische Energieministerium schon im April 2014 im Kreml einen Plan vor, der den Bau zweier Elektrizitätswerke auf der Halbinsel vorsieht. Weil man auch in Brüssel das Problem erkannt hat, wird jegliche Unterstützung beim Ausbau der Infrastruktur, welche die Krim in Russland integriert, mit Sanktionen bewehrt. Das Verbot gilt für alle Unternehmen, weshalb selbst russische Banken und Bauunternehmen davor zurückscheuen, sich dort zu engagieren, weil sie sonst ihre Geschäftsverbindungen in den Rest der Welt zu verlieren drohen.

Am 13. August 2014 trifft Wladimir Putin Sergej Tschemesow. Die beiden kennen sich lange, sie haben zusammen in Dresden für den sowjetischen Geheimdienst KGB gearbeitet. Putin hat seinen alten Freund zum Chef des Staatsunternehmens Rostec gemacht. Es ist ein Riesenkonzern mit Hunderten Tochterfirmen, viele davon in der Rüstungsproduktion. Putin kann sich auf Tschemesow verlassen. Die beiden vereinbaren den Bau von zwei Kraftwerken zur Stromerzeugung auf der Krim durch die Rostec-Tochter Technopromexport. Russische Medien berichten, dass andere Unternehmen abgesagt hätten - aus Angst vor den internationalen Sanktionen.

In der Folgezeit werden die Projekte präzisiert. Noch im August 2014 heißt es in der russischen Presse: "Rostec baut zwei Elektrizitätswerke auf der Krim." Seit Februar 2015 sind die technischen Parameter für die Kraftwerke bekannt. Sie sind auf Turbinen mit einer Leistung ausgelegt, die in Russland nicht hergestellt werden. Siemens aber stellt solche Turbinen her.

Die Zusage Putins an Gabriel - sie war nichts wert

Die Münchner hatten schon in der Vergangenheit mit Technopromexport zusammengearbeitet. Die Russen bauen die Kraftwerksblöcke und die Dampfturbinen, Siemens liefert die komplexeren Gasturbinen. Kraftwerke mit Turbinen vom Typ SGT5-2000E stehen an vielen Orten im Land. Als Technopromexport in München nun den Kauf von vier Turbinen anfragt, wendet sich Siemens an die Bundesregierung. Eigentlich ist die Lieferung nicht genehmigungspflichtig, aber die politische Situation ist angespannt. Die Sanktionen verbieten Geschäfte auf der Krim, Handel mit Russland ist aber - bis auf Rüstungsgüter und ausgewählte Technologien - erlaubt. Solange Siemens sicherstellt, dass die Anlagen nicht auf der Krim landen, gibt es keine Einwände aus Berlin.

Als Siemens im März 2015 den Vertrag über den Verkauf von vier Turbinen an Technopromexport besiegelt, ist bereits bekannt, dass in den Kraftwerken auf der Krim Turbinen desselben Typs vorgesehen sind. Gleich danach schreiben russische Zeitungen, Siemens werde Turbinen für die Krim liefern. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung greift diese Meldung auf und kommentiert: Siemens wäre schon blöd, sich darauf einzulassen.

Laut Vertrag sind die Turbinen für ein Elektrizitätswerk in Taman bestimmt, im russischen Kernland, ein paar Seemeilen von der Krim entfernt. Im Vertrag steht, dass die Turbinen nicht auf der Krim eingesetzt werden dürfen, auch nicht nach einem Weiterverkauf. Und dass kein Strom, etwa durch Unterseekabel von Taman aus, auf die Krim geliefert werden darf.

Putin versicherte, Russland werde sich an den Vertrag halten

Aber während es an den Baustellen in Simferopol und Sewastopol auf der Krim rasch vorangeht, ist in Taman nur ein Acker zu sehen. Ende Juni 2016 wird die Ausschreibung für das Kraftwerk dort schließlich gestoppt, weil es keine Bewerber gab. Auch Technopromexport hat sich nicht beworben, obwohl es ja die Siemens-Turbinen angeblich zu diesem Zweck bestellt hat. Dennoch liefert Siemens. Die letzten Turbinen werden im August 2016 übergeben. Nach Einschätzungen von Fachleuten dürfte der Deal einen Umfang von etwa 120 Millionen Euro haben.

Im September fliegt dann Sigmar Gabriel nach Moskau. Der Wirtschaftsminister will ausloten, wie der Handel mit Russland wieder zu beleben sei. Gabriel kommt in einem Treffen mit Putin auch auf die Turbinen zu sprechen. Die Situation beunruhigt inzwischen die Bundesregierung. Putin versichert aber, Russland werde sich an den Vertragstext halten.

Im März 2017 erklärt ein Moskauer Gericht Technoporomexport für bankrott. Rostec hat 2014 eine andere Firma unter fast identischem Namen gegründet. An sie hatte Technopromexport bereits im Oktober 2015 die Turbinen verkauft. Der Kreml ist genauestens informiert. Ein Sprecher lässt sich mit der Bemerkung zitieren, die Aggregate seien nun russische Turbinen. Putins Zusage an Gabriel - sie war nichts wert. Anfang Juli bestätigt ein Sprecher der Nachfolgefirma von Technopromexport schließlich, dass die vier Turbinen tatsächlich auf der Krim gelandet sind.

Siemens verspricht: Wir machen keine Geschäfte mehr mit Staatsfirmen

Siemens, der Lieferant, setzt nun zunächst auf Salamitaktik. Man wisse nichts Genaues, teilt das Unternehmen mit. Dabei ist das Thema bis hoch in den Vorstand diskutiert worden. Intern gab es eine Untersuchungskommission unter Leitung des inzwischen ausgeschiedenen Vorstands Siegfried Russwurm. Spätestens im Sommer 2015, als die ersten Berichte erschienen, war man in München sensibilisiert. Wusste man womöglich bereits damals, dass die Turbinen für die Krim bestimmt waren? Dass Turbinen nicht immer in dem Kraftwerk verbaut werden, für das sie vorgesehen sind, ist Usus in Russland. Das berichten Wettbewerber. Mehrere hochrangige Insider legen den Verdacht nahe, dass ein kleiner Kreis eingeweiht gewesen sei. Schriftliche Belege dafür fehlen aber.

Und Siemens bestreitet das vehement. "Bezüglich Ihrer Unterstellungen, nach denen ein Vertreter von Technopromexport bzw. des Mutterunternehmens Rostec Siemens vorgeschlagen habe, die Sanktionen zu umgehen und einen entsprechenden Ablaufplan präsentiert habe, sind uns entsprechende Vorgänge nicht bekannt. Falls hierzu Beweismittel vorliegen, bitten wir um Übergabe an die Staatsanwaltschaft München I, um eine objektive und neutrale Beurteilung des Sachverhalts zu ermöglichen", teilt der Konzern auf Anfrage brüsk mit.

Siemens-Chef Joe Kaeser selbst würde sein Interview im "Heute-Journal" vor drei Jahren wohl am liebsten vergessen machen. Und sein Konzern versichert: Wir passen jetzt besonders auf, machen keine Geschäfte mehr mit Staatsfirmen. Auch Russlands Energiebehörde hat ein Signal gesendet: Kein Problem, lautet das, unser Bedarf an Turbinen ist erst einmal gedeckt.

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