Türkei:Raus aus der Lira

Seit Monaten verliert die Lira an Wert, nun hob die Zentralbank deshalb die Zinsen an. Doch Experten bezweifeln, dass die Stabilisierung anhält.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Zinsen, so hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan zuletzt immer wieder gesagt, seien "die Mutter und der Vater der Inflation", die Ursache allen Übels. Am Mittwochabend hat die Türkische Zentralbank bei einer außerordentlichen Sitzung überraschend einen ihrer Leitzinse - den Spätausleihsatz - von 13,5 Prozent auf 16,5 Prozent angehoben. Die Zentralbank sah trotz der Warnungen Erdoğans offenbar keine andere Chance mehr, den freien Fall der Landeswährung zu stoppen.

Die Türkische Lira verliert schon seit Monaten gegenüber dem US-Dollar und dem Euro an Wert, seit Jahresbeginn jeweils rund ein Viertel. Am Mittwoch war mit einem Kurs von zeitweise fast fünf Lira (4,90) für einen Dollar eine psychologische Schwelle erreicht. Kurz zuvor hatte die Istanbuler Börse angekündigt, sie werde ihre Devisenvorräte in Lira tauschen, um ihr "Vertrauen" in die Landeswährung zu zeigen. Börsenchef Himmet Karadağ sah eine Verschwörung gegen Erdoğan, um die türkische Wirtschaft vor der Parlaments- und Präsidentenwahl am 24.

Währung und Wahlen

Die schwerste Wirtschafts- und Währungskrise der jüngeren Zeit erlebte die Türkei 2001, sie ist als Schockmoment bis heute vielen Türken in Erinnerung. Damals verlor die Lira in kurzer Zeit die Hälfte ihres Werts, Zinsen und Inflation schnellten in die Höhe, viele Menschen konnten ihre Kredite, die sie in Devisen aufgenommen hatten, nicht mehr bedienen, vor allem Kleinunternehmen brachen zusammen.

Auslöser war ein Streit zwischen Premier und Präsident über die Bekämpfung der Korruption, der aber nur deutlich machte, wie zerrüttet vor allem das Bankensystem damals war. Aus der Finanzkrise entwickelte sich rasch eine politische Krise, sie war letztlich die Ursache dafür, dass es 2002 zu einem radikalen politischen Schnitt kam: Fast alle alten Parteien flogen aus dem Parlament, die neue islamisch-konservative AKP von Recep Tayyip Erdoğan erreichte aus dem Stand die absolute Mehrheit der Sitze. Sie versprach, mit Korruption und Vetternwirtschaft gründlich aufzuräumen. Das tat sie anfangs auch, inzwischen aber ist auch die AKP zur Klientelpartei geworden, die alten Krankheiten sind zurückgekehrt.

Dennoch ist die finanzielle Lage längst nicht so dramatisch wie 2001, aber Ängste vor einem weiteren Absturz gibt es, und es ist dazu noch Wahlkampf. Die Opposition malt schon einen bevorstehenden "Crash" an die Wand. Erdoğan hatte seine Wahlerfolge immer auch einer guten wirtschaftlichen Entwicklung zu verdanken. Der Lira-Verfall bringt die Regierung nun in Bedrängnis, weil die Währungsschwäche auch als politische Schwäche gedeutet werden könnte. Christiane Schlötzer

Juni in ein schlechtes Licht zu rücken. Türkische Medien hatten vor dem Zentralbankbeschluss bereits über mögliche Kapitalkontrollen nach den Wahlen spekuliert. Eine solche Maßnahme wäre verheerend für die türkische Wirtschaft. Viele türkische Firmen sind stark exportorientiert und haben zuletzt von der schwachen Lira profitiert. Aber viele Unternehmen sind auch bei Banken im Ausland verschuldet, 220 Milliarden Dollar müssen an Krediten in US-Währung zurückgezahlt werden. Das Bruttoinlandsprodukt der Türkei wuchs 2017 noch um 7,4 Prozent, doch das Wachstum beruhte stark auf kreditfinanziertem Konsum, damit stieg die Inflation, das Außenhandelsdefizit vergrößerte sich, der IWF sah Zeichen einer Überhitzung der türkischen Wirtschaft.

Nach der Intervention der Zentralbank zog die Lira am Donnerstag an, in den Istanbuler Devisenshops kostete der Dollar zeitweise 4,75 Lira, der Euro 5,54. Ob der Kurs sich stabilisiert, muss sich erst zeigen. Ein Devisenhändler sagte der SZ: "Das sieht jetzt blumig aus, aber so wird es nicht bleiben." Der Händler sagte, er habe selbst am Vortag noch Dollar gekauft, nun habe er Geld verloren. Dass Türken selbst zuletzt massiv Devisen kauften, zeigen auch Zahlen der Zentralbank. Etwa die Hälfte der Einlagen bei türkischen Banken sind in Dollar, 2013 waren es nur ein Drittel. Das spricht nicht gerade für Vertrauen in die Stabilität des Landes.

Türkei: Die Börse in Istanbul: Lange ging es aufwärts, seit ein paar Monaten nun abwärts – so wie bei der Landeswährung.

Die Börse in Istanbul: Lange ging es aufwärts, seit ein paar Monaten nun abwärts – so wie bei der Landeswährung.

(Foto: Ozan Kose/AFP)

Für den Absturz der Lira machten Analysten aber neben der angespannten politischen Lage in der Türkei auch andere Faktoren verantwortlich. Höhere Zinsen in den USA ziehen Kapital an und haben den Dollar gestärkt. Das wirkt sich auf viele Schwellenländer aus. Dazu kamen Spekulationen. Investoren aus Japan hatten lange gehofft, die Lira würde sich besser als der Yen entwickeln, und auf eine Lira-Rally gewettet. Am Mittwochmorgen stießen sie ihre Lira-Investments ab.

Die Türkische Zentralbank ist laut Gesetz unabhängig. Erdoğan aber hatte jüngst in London, wo er Investoren traf, in einem Bloomberg-Interview angekündigt, er werde nach einem Wahlsieg in der Geldpolitik stärker mitbestimmen. Die Ratingagentur Fitch nutzte dies für eine Warnung, die Unabhängigkeit der Notenbank nicht aufs Spiel zu setzen, weil dies Auswirkungen auf die Bonität des Landes haben werde. Die AKP hatte in einer ihrer letzten Entscheidungen im Parlament der Regierung noch freie Hand in der Geldpolitik gegeben, wie Hürriyet schrieb.

Die Notenbank begründete ihre Entscheidung mit der hohen Inflation. Mit höheren Zinsen wolle man für Preisstabilität sorgen. Man sei künftig bereit, falls nötig, alle zur Verfügung stehenden Instrumente zu nutzen. Unterstützung erhielt die Noten-bank vom türkischen Vizepremier Mehmet Şimşek, der twitterte: "Es ist an der Zeit, die geldpolitische Glaubwürdigkeit wieder herzustellen." Die Türkei stehe zu ihren Wirtschaftsreformen und zu haushaltspolitischer Disziplin.

Spät am Mittwochabend versicherte dann auch Erdoğan, dass die Türkei sich auch "im neuen System an die globalen Prinzipien der Geldpolitik" halten werde.

Akif Beki, Ex-Erdoğan-Berater und inzwischen regierungskritischer Kolumnist der Zeitung Karar, schrieb am Donnerstag: "Der Dollar hört nicht auf die Zentralbank und die Regierung", jede Konspirationstheorie aber finde "ihre Käufer". Die oppositionelle Cumhuriyet erinnerte daran, dass Şimşek schon im März die Unternehmer warnte, keine weitere Schulden zu machen. "Wir müssen das Dach reparieren, solange die Sonne scheint, da vielleicht ein Regen oder sogar ein Sturm kommt", habe Şimşek damals gesagt. Der Kommentator zieht den Schluss: "Sie haben alles gewusst, aber sie wollten vor den Wahlen so weitermachen wie bisher."

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