Türkei:Die Inflationsfalle

Die türkische Notenbank hat zwar gegen den Willen des Präsidenten die Zinsen stark erhöht - doch der Schritt könnte zu spät gekommen sein.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Von dem Dilemma, auf das er zusteuerte, wollte Recep Tayyip Erdoğan lange nichts wissen. Er wähnte fremde Mächte am Werk, als die Landeswährung seit Mitte 2016 nahezu stetig an Wert verlor und sich der Verfall zuletzt beschleunigte. Er wetterte gegen die amerikanischen Ratingagenturen, als sie die Kreditwürdigkeit der Türkei herabstuften. Er übte Druck aus auf die Notenbank, auf dass diese mit einer eigentlich dringend gebotenen Leitzinserhöhung nicht das Wachstum der Türkei gefährde. Überhaupt seien Zinsen Teufelszeug, findet Erdoğan.

Diese Haltung vertritt er schon lange, aber spätestens seit er sie im Frühjahr vor Bankern und Fondsmanagern in London wieder betonte, wurde klar, dass dahinter mehr steckt als scharfe Erdoğan'sche Rhetorik. In einem viel beachteten Fernsehinterview legte er nach und machte deutlich, wie wenig er von gängigen geldpolitischen Theorien hält. Zu diesem Zeitpunkt war die Türkei schon nah an einer Zahlungsbilanzkrise, und Erdoğans Worte machten alles noch schlimmer: Investoren verloren das Vertrauen, stießen in großem Umfang Lira ab und beschleunigten den Verfall der Landeswährung. Wenige Tage später stemmte sich die Notenbank mit mehreren Erhöhungen des sogenannten Spätausleihzinses dagegen. Dazu ließ sich der Präsident aber erst überreden, als er verstanden hatte, dass ihn die drohende Krise die Wiederwahl im Juni kosten könnte.

Seine ökonomischen Überzeugungen änderte er nicht. Erdoğan glaubt fest daran, eine hohe Inflationsrate mit niedrigen Zinsen bekämpfen zu können; hohe Zinsen begünstigten demnach eine schnellere Geldentwertung. In manch einem Spezialfall trifft das sogar zu - für eine Volkswirtschaft wie die türkische ist es grob falsch.

Viele Jahre lang haben Kredite das türkische Wachstum angekurbelt. Das funktioniert nicht mehr

Der Leitzins ist nichts anderes als der Preis, zu dem sich Banken Geld bei der Zentralbank leihen können, er wirkt sich auf alle anderen wichtigen Zinssätze in einer Volkswirtschaft aus. Je niedriger er ist, desto billiger sind demnach Kredite, desto mehr wird schuldenfinanziert investiert und desto unattraktiver wird es zu sparen. Lange Zeit funktionierte das in der Türkei. Die niedrigen Zinsen haben ein durch billige Kredite, einen subventionierten Bauboom und stets steigende Konsumausgaben geprägtes Wachstum befeuert. Erdoğan scheint zu glauben, Wachstumsraten jenseits der sieben Prozent pro Jahr ließen sich auf unbestimmte Zeit fortschreiben, ohne eine Krise zu riskieren.

Wächst eine Volkswirtschaft aber schneller als ihre Kapazität, droht sie zu überhitzen, es drohen Angebotsengpässe, der Inflationsdruck steigt. Genau das ist in der Türkei passiert, verschärft durch die Schwäche der Lira: Weil das Land weitaus mehr einführt als es exportiert und die Importe zum großen Teil in härteren Fremdwährungen bezahlt werden müssen, führt ein Wertverlust der türkischen Währung sofort zu steigenden Preisen im Inland. Wegen der steigenden Zinsen in den USA und der Stärke des Dollar haben Investoren zuletzt Kapital aus Schwellenländern abgezogen und damit auch den Druck auf die türkische Lira erhöht. Die Unklarheit über Erdoğans künftigen Einfluss auf die Notenbank gab der Währung dann den Rest. Mit einer Inflationsrate von mehr als 15 Prozent ist das offizielle Inflationsziel von um die fünf Prozent nun sehr weit entfernt.

Mittlerweile haben die türkischen Zentralbanker gegengesteuert und richten ihre Geldpolitik - statt nach einem komplizierten Gewirr verschiedener Zinssätze - seit Anfang Juni nur noch nach einem einzigen Leitzins aus. Kurz darauf erhöhten sie diesen gleich um mehr als das Doppelte: Er liegt nun bei 17,75 Prozent. Viele Beobachter halten diese Reaktion für verspätet. Ob sie noch reicht, um die Inflation einzudämmen und Währung wieder zu stärken, ist derzeit unklar. Erdoğan steckt damit in einer Inflationsfalle: Er braucht niedrige Zinsen, um hohe Wachstumszahlen zu erreichen, was aber den Verfall der Währung beschleunigt, die Inflation erhöht und Investoren vertreibt. Setzen sich nun die Zentralbanker mit höheren Zinsen gegen den Präsidenten durch, ist es mit dem türkischen Modell des auf Pump finanzierten Wachstums vorerst vorbei.

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