Trinkwasser:Der Kampf ums saubere Wasser

Wasser

Wasser sauber zu bekommen, wird immer teuerer. Irgendwann kommt das immer auch beim Verbraucher an.

(Foto: dpa)

Weil auf deutschen Äckern viel gedüngt und gespritzt wird, weist Grundwasser immer häufiger überhöhte Nitratwerte auf. Für den Verbraucher könnte es richtig teuer werden.

Von Silvia Liebrich, Haltern am See

Sommer, Sonne und Strand, so stellen sich viele Menschen den perfekten Urlaub vor. Wer am nördlichen Rand des Ruhrgebiets wohnt, muss dafür nicht ans Meer fahren, es reicht ein Ausflug nach Haltern am See. Die Stadt mit 38 000 Einwohnern liegt dort, wo das quirlige Ruhrgebiet ans beschauliche Münsterland grenzt. Mittendrin ein malerischer See mit 800 Meter feinstem Sandstrand, Strandkörbe inklusive. Drum herum jede Menge Grün. Auch Segler kommen hier auf ihre Kosten. Doch das war nicht immer so.

Wohl die wenigsten Besucher ahnen, dass sie ihr Sommervergnügen ausgerechnet dem Kohlebergbau und der Schwerindustrie verdanken. Wo sich heute eine drei Quadratkilometer große Wasserfläche erstreckt, lagen vor hundert Jahren noch Felder und Wiesen. Bis diese in den Dreißiger Jahren für den Bau einer Talsperre enteignet wurden. Alles mit dem Ziel, die expandierende Schwerindustrie und die wachsende Bevölkerung im Revier mit ausreichend Trinkwasser zu versorgen. Sehr zum Ärger vieler Bauern, die so ihr Land verloren oder Umwege zu ihren Äckern in Kauf nehmen mussten.

Der Konflikt zwischen Wasserversorgern und Landwirten, in Haltern am See hat er eine lange Geschichte - und er schwelt noch immer, auch wenn das Thema längst ein anderes ist: heute geht es um die Wasserverschmutzung, vor allem durch Pflanzenschutzmittel und Gülle, die auf den Feldern ausgebracht werden.

Ulrich Peterwitz kennt das Problem. Seit fast 30 Jahren versucht er diesen Konflikt zu lösen, in Zusammenarbeit mit den Bauern. Der Endfünfziger ist Leiter der Abteilung Wasserwirtschaft bei Gelsenwasser, einem der größten Versorgungsunternehmen in Deutschland. Die Stevertalsperre, so der offizielle Name, liefert sauberes Trinkwasser für knapp eine Million Menschen in das nördliche Ruhrgebiet, also in eine der am engsten besiedelten Regionen Deutschlands.

Peterwitz ist dafür zuständig, dass dies reibungslos funktioniert - und er stößt dabei immer wieder an Grenzen. "Wir sind an einem Punkt, wo wir erkennen müssen, das wir so nicht weitermachen können", sagt der Gelsenwasser-Mann.

Starkregen spült Pestizide von den Äckern in den See

Es ist Hochsommer, gerade einmal zehn Uhr morgens vorbei, und am Wasserwerk in Haltern nähert sich die Temperatur bereits der 30-Grad-Marke. Peterwitz scheint die Hitze wenig anzuhaben. Akkurat gekleidet steht er im dunklen Anzug in der prallen Sonne am Rand des stillen Südbeckens. Das hier ist Sperrgebiet für Freizeitsuchende, sie dürfen sich nur am Nordrand ins kühle Nass werfen. Dieser Teil der Talsperre hier dient ausschließlich der Gewinnung von Trinkwasser. Peterwitz wirft einen prüfenden Blick auf das Wasser. Feine Luftbläschen steigen aus der Tiefe auf und kräuseln die Oberfläche.

Soweit alles ganz normal, sagt er. Direkt unter seinen Füßen pumpt eine Anlage Seewasser in ein 18 Kilometer langes Rohrsystem. Von dort gelangt es in gut zwei Dutzend Sickerbecken, die mit Sand und Kies gefüllt sind. So wird das Wasser auf natürliche Weise gereinigt, bevor es sich in Brunnen sammelt. Anschließend wird es im Wasserwerk aufbereitet und ins Leitungsnetz eingespeist, hundert Millionen Kubikmeter pro Jahr. So sieht der Idealfall aus.

Doch immer häufiger läuft es nicht nach Plan, werden überhöhte Pestizidwerte gemessen. Vor allem im Frühsommer und Herbst, wenn auf den Feldern gespritzt wird. Regnet es dann stark, wird das Gift direkt in die Gewässer gespült. Solche Wetterphänomene nehmen zu, schuld sei der Klimawandel, so Peterwitz. Dann muss der Wasserversorger schnell reagieren.

Trübes Seewasser wird zu sauberem Trinkwasser

In solchen Fällen schlägt bei Gelsenwasser das Frühwarnsystem an. "In den Zuflüssen zur Talsperre messen wir ständig, wir wissen immer, was reinkommt", versichert der Diplom-Geologe. Dann müssen sie Aktivkohle ins Wassers schütten. Peterwitz deutet auf die andere Seite des Sees, dorthin, wo das Wasser durch einen schmalen Damm vom Nord- in das Südbecken geleitet und der Stoff zugesetzt wird. Aktivkohle bindet das Gift, für den Versorger ist das ein erheblicher Kostenfaktor.

Der Preis für eine Tonne liegt bei 1000 bis 3000 Euro. Im vorigen Jahr mussten mehr als 500 Tonnen eingesetzt werden, in guten Jahren ist es weniger. Weitere Kosten entstehen, weil die Kohle regelmäßig mit einem Spezialbagger aus dem See geholt, gereinigt und entsorgt werden muss.

Viele Spritzmittel wurden durch andere ersetzt, die angeblich weniger schädlich sind. Doch das Problem ist geblieben, so Peterwitz: "Unsere Erfahrung hat gezeigt: einen Wirkstoff einfach durch einen anderen zu ersetzen, das funktioniert nicht. Nach wenigen Jahren finden wir auch die Ersatzstoffe im Gewässer wieder." Gelsenwasser muss in seinem Werk in Haltern immer mehr Aufwand betreiben, um trübes Seewasser in sauberes Trinkwasser umzuwandeln.

Das Unternehmen mit Sitz in Gelsenkirchen ist damit nicht allein. Knapp 6000 kommunale Wasserversorger gibt es in Deutschland, viele kämpfen mit ähnlichen Problemen. Ein Drittel der offiziellen Grundwasser-Messstellen zeigen überhöhte Nitratwerte, knapp fünf Prozent eine zu hohe Belastung durch Pestizide, die Talsperre Haltern ist eine davon. Die Obergrenze für Nitrat im Trinkwasser liegt bei 50 Milligramm, an vielen Grundwasser-Messstellen wird dieser Wert schon heute deutlich überschritten.

Und die Lage könnte sich zuspitzen. Messungen von Sickerwasser an der Oberfläche zeigen, dass fast überall in Deutschland zu viel gedüngt und gespritzt wird. Besonders kritisch ist die Lage dort, wo viele Tiere gehalten werden, also in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Hinzu kommt in vielen Regionen, dass die Sünden aus den Achtziger- und Neunzigerjahren noch gar nicht im Grundwasser angekommen sind. Was heute gefördert wird, kann viele Jahre oder gar Jahrzehnte alt sein - es hängt ganz davon ab, wie der Untergrund beschaffen ist.

Die hohen Nitratwerte sind vielerorts das größte Problem

Noch lässt sich vieles ausgleichen, indem Versorger Wasser aus stark und weniger stark belasteten Brunnen mischen oder neue Brunnen bauen. Klappt das nicht mehr, müssen sie den lebenswichtigen Rohstoff von weiter her holen, also Leitungen bauen oder spezielle Aufbereitungsanlagen errichten - dann wird es richtig teuer, auch für die Verbraucher. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft warnt in kritischen Gebieten vor Preissteigerungen bis zu 62 Prozent.

Das Wasserwerk in Haltern ist nur eines von 40 bei Gelsenwasser im Ruhrgebiet. Das vorherrschende Problem an den meisten anderen Standorten sind zu hohe Nitratwerte. Der Stoff ist nicht per se schädlich, im Gegenteil. Das in Gülle, Stallmist und Kunstdünger enthaltene Mineralsalz liefert wichtigen Stickstoff, der Pflanzen besser wachsen lässt. Doch was zu viel ist und im Boden nicht abgebaut werden kann, geht ins Grundwasser - und das ist ein Risiko. In größeren Mengen ist der Stoff, vor allem aber sein Abbauprodukt Nitrit, schädlich. Es kann zu Atemnot führen und gilt als krebserregend. Die Europäische Union hat Deutschland verklagt, weil es zu wenig unternommen hat, um das Problem zu entschärfen. Beim Deutschen Bauernverband reagieren sie inzwischen höchst gereizt auf die anhaltende Kritik.

Die neue Düngeverordnung soll es richten

Ende Juni in Berlin Mitte: Bauernpräsident Joachim Rukwied kommt zehn Minuten zu spät zum Termin. Gut gelaunt lässt sich der große Mann mit den stahlblauen Augen in einen Stuhl fallen. Rukwied wirkt entspannt, der Mann, der gern harte Kante zeigt, wenn es um die Sache der Landwirte geht. Der Bauerntag steht bevor, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will vorbeischauen - im Herbst wird gewählt. Merkel wird den Bauern einige Tage später ihre Unterstützung zusagen, auch dafür, dass sie weiter das umstrittene Pflanzengift Glyphosat einsetzen dürfen.

Beim Thema Nitrat verfinstert sich Rukwieds Miene schlagartig. Das Umweltbundesamt hat kurz zuvor neue Daten vorgelegt und vor wachsender Belastung durch Gülle gewarnt. Seine Antwort ist ein Tweet: "@Bundesamt und immer wieder Bauernbashing - schämen Sie sich!" Wäre es stattdessen nicht an der Zeit, sich selbst kritische Fragen zu stellen? Rukwied winkt ab. "Das sind ja keine Fakten", behauptet er und legt nach: "Ich bleibe dabei. Wie die Behörden hier auftreten, passt eher ins System Polemik, Populismus und Panikmache." Ein paar Sätze später räumt er dann doch ein, dass es auf 28 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen etwas zu verbessern gebe. Er glaubt, die neue Düngeverordnung, auf die sich Bund und Länder nach zähem Ringen Anfang des Jahres geeinigt haben, wird es schon richten. Man müsse nun erst einmal abwarten.

Hoffen darauf, dass mit den neuen Regeln alles besser wird - für viele Versorger ist das keine Option. In der Branche glaubt niemand daran, dass die neuen Regeln geeignet sind, die Probleme zu lösen - zu viele Ausnahmen, zu wenig Kontrolle.

Johann Maurer lassen solche Diskussionen kalt. Der Ökobauer ist längst angekommen, wo Gelsenwasser erst hin will. Er bewirtschaftet als Pächter der Stadtwerke München einen Biohof, oben auf dem Taubenberg, am Rand des Mangfallgebirges südlich von München - ein beliebtes Ausflugsziel bei Wanderern und Radfahrern.

Der Weg zum Gipfel führt direkt am Haus vorbei, zwei Radfahrer quälen sich in der heißen Mittagssonne die letzen Meter nach oben. Der Bauer sitzt im Schatten auf einer Holzbank. Pferde grasen auf der Wiesen, Schweine suhlen sich in matschigen Wasserlöchern. Unter dem Heuwagen dösen aneinandergekuschelt Ferkel, daneben ein Paar Hühner und Gänse. Darüber spannt sich ein weißblauer Himmel. Mehr Bilderbuch-Idylle geht kaum.

Maurer ist ein Mann mit rosigen Backen und vollem Gesicht, seine Hände liegen auf dem Tisch vor ihm. So sieht einer aus, den nichts aus der Ruhe bringen kann. "Dann und wann kommt ein Bauer und sagt, du bist a gschlamperter Hund. Das macht mir gar nichts", sagt Mauerer und grinst. "Ich halte eben für normal, was andere für falsch halten."

Riesige Landmaschinen sucht man auf dem Taubenberg vergeblich. Maurers Äcker sind blühende Wiesen, mit dem Heu füttert er seine Tiere. Um eine seltene Pflanze zu retten, nimmt er schon mal den Spaten in die Hand und setzt sie an einen geeigneteren Standort. Seit Kurzem haben sie auch wieder 13 Milchkühe auf dem Berg. Darauf hat sein Sohn Ludwig bestanden. Der 20-jährige will den Hof einmal übernehmen. Auch Maurer wirft den Dung seiner Tiere auf die Wiesen, aber unter dem Strich viel weniger, einfach weil er weniger Vieh hat als es in normalen Betrieben üblich ist. Der Einsatz von Pestiziden ist für einen Biobetrieb ohnehin tabu.

Genau genommen ist Mauer Wasserbauer, nicht einfach nur Landwirt. Er ist einer von 165 Ökobauern, die mit finanzieller Unterstützung der Stadtwerke München dafür sorgen, dass die Millionenstadt und einige Gemeinden im Umland sauberes Trinkwasser bekommen. Wichtige Quellen liegen im Mangfalltal und der Schotterebene, die sich von hier bis nach München erstreckt. Bis zu 310 Euro an Prämien je Hektar und Jahr erhalten Teilnehmer des Programms, das Teil einer langfristigen Strategie der Stadtwerke ist. Die Ökoförderung gibt es seit 1992, seit mehr als hundert Jahren kauft der Versorger Land in der Region auf, mit der Maßgabe, eine gewässerschonende Landwirtschaft zu fördern. Mit Erfolg: die Nitratbelastung ist im Vergleich zum restlichen Bundesgebiet deutlich geringer. Die Qualität des Münchner Trinkwassers gehört zu den besten in ganz Deutschland, die Verbraucherpreise dafür gelten als moderat.

Die Prämien sind dreimal so hoch wie die üblichen Direktsubventionen

Wasserbauer Maurer ist auf die finanzielle Unterstützung der Stadtwerke angewiesen. Von dem, was sein Hof abwirft, könnte er mit seiner Familie allein nicht leben. Eine weitere Einkommensquelle ist die Gaststube, in der seine Frau vor allem am Wochenende Ausflügler verköstigt. Reich wird man damit nicht. Trotzdem sagt der 57-Jährige: "Ich habe den schönsten Beruf der Welt." Er bedauert viele seiner Kollegen, die konventionell arbeiten. Der ökonomische Druck sei oft so groß, dass die es sich gar nicht leisten könnten, umweltschonender und tierfreundlicher zu wirtschaften.

Nur wenigen Versorgern ist bisher gelungen, was die Münchner erreicht haben. Fragt man in der Branche herum, zeigt sich: nur wenige dieser Modelle funktionieren wirklich gut. Das Beispiel aus Bayern zeigt aber auch, dass es dafür viel Weitsicht und einen langen Atem braucht.

Bei Gelsenwasser wollen sie es nun ähnlich machen. Weil die Kooperation mit den Bauern im Gebiet der Halterner Talsperre bisher wenig gebracht hat, will Gelsenwasser kräftig nachlegen. Unter anderem mit satten Prämien für Landwirte, die bereit sind, auf Ökolandbau umzusteigen.

Das lässt sich der Versorger einiges kosten. Immerhin 2,5 Millionen Euro jährlich sind dafür ab 2018 an eingeplant. Das sei immer noch billiger als der Bau teurer Reinigungsanlagen, sagt Wassermanager Peterwitz. Das Angebot an die Bauern kann sich sehen lassen. Wer mitmacht, darf mit einer Beihilfe von 780 Euro rechnen, pro Hektar und Jahr. Das entspricht dem Dreifachen dessen was ein Landwirt sonst an Direktsubventionen bekommt. "Eine Umstellung muss sich für die Bauern lohnen, anders können wir sie nicht dazu bewegen mitzumachen", meint Ulrich Peterwitz.

Eine Erfolgsgarantie ist aber auch das nicht. Gelsenwasser hat ähnliches vor Jahren schon einmal versucht - und ist am Achselzucken der Landwirte gescheitert.

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