Trends:Ebbelwoi von der Themse

Die Briten trinken gern Cider, sprudelnden Apfelwein. Nun hat auch London seine eigene Mosterei.

Von Björn Finke

Die Straßen entlang dieses Eisenbahn-Viadukts sind auch als "Bermondsey Beer Mile" bekannt. Bermondsey ist ein früher armer, nun angesagter Stadtteil im Südosten Londons, nicht weit von der Tower Bridge entfernt. In den Bögen unter der Eisenbahntrasse haben sich neben Autowerkstätten kleine Brauereien angesiedelt, mit eigenem Ausschank. Getränkeliebhaber pilgern hierhin, um Craft Beer zu trinken. So werden die Kreationen dieser unabhängigen und oft nur wenige Jahre alten Brauereien genannt, in Abgrenzung zu den Industriebieren der Konzerne.

Ein Betrieb auf dieser Biermeile offeriert jedoch ein anderes alkoholisches Getränk aus eigener Fertigung: Hawkes Cidery & Taproom vergärt Cider, typisch englischen Apfelschaumwein, und schenkt ihn in einer winzigen Bar in einem der Eisenbahnbögen aus. Es ist die einzige Cidery, also Apfelwein-Mosterei, in der Kapitale und die einzige überhaupt in einer britischen Großstadt. Gründer Simon Wright eröffnete sie im vorigen Sommer.

"Wir wollten bewusst auf die Biermeile", sagt der 35-Jährige, der mit Kapuzenpulli und etwas zotteligen Haaren recht hipstermäßig aussieht. Flaneure, die das Viertel für das Craft Beer besuchten, merkten nun, dass auch Craft Cider made in London existiert. "Die Leute stolpern über unseren Laden", sagt er.

Elstar Apfel Malus domestica AUFNAHMEDATUM GESCHÄTZT; apfel
(Foto: Manfred Ruckszio/imago)

In Deutschland ist Apfelwein vor allem in Hessen populär. Britischer oder irischer Cider ist meist süßer als Ebbelwoi, vergleichbar eher dem französischen Cidre. Und er prickelt, denn er wird in der Regel mit Kohlensäure versetzt. Briten sind die eifrigsten Apfelwein-Trinker, 40 Prozent der weltweiten Verkäufe entfallen auf sie. Den Markt auf der Insel beherrschen große Anbieter wie der niederländische Getränkekonzern Heineken mit seinen Marken Strongbow und Bulmers. Daneben gibt es viele kleine Mostereien auf dem Land, dort, wo die Apfelplantagen blühen. Der Südwesten Englands, etwa die Grafschaft Somerset, ist berühmt für seinen Cider. Die Mini-Mostereien in der Provinz beschränken sich oft darauf, ihre Region mit Alkohol zu versorgen.

Der Metropolen-Betrieb Hawkes dagegen hat ehrgeizige Pläne: "Wir wollen weltweit die führende Marke für Craft Cider werden", sagt Wright. Das Unternehmen mit seinen 16 Beschäftigten exportiert bereits kleine Mengen Apfelschaumwein, zum Beispiel nach Norwegen. Bald soll der Londoner Cider auch in Berlin ausgeschenkt werden.

Die Äpfel stammen aus der Grafschaft Kent, südöstlich der Hauptstadt. Wright führt in einen der drei Eisenbahnbögen, die das Unternehmen gepachtet hat. An der Wand sind mächtige Kisten voller Äpfel gestapelt. Der Gründer fischt einen heraus, ein sehr kleines Exemplar, und beißt herzhaft hinein. "Wir kaufen Äpfel, die von Supermärkten abgelehnt wurden, weil sie zu klein oder zu groß sind oder Macken haben", sagt er. Hawkes verwendet keine besonderen Cider-Apfelsorten, sondern Varianten wie Gala oder Braeburn, die sonst in Obsttheken landen. Außerdem können Londoner Äpfel aus ihrem Schrebergarten vorbeibringen. "Sie erhalten eine Flasche Cider für drei Kilo", sagt Wright. Solche Äpfel aus der Stadt machen aber nur einen winzigen Teil der Menge aus, die in der Presse landet.

14,5

Liter Cider, also Apfelwein, trinkt im Durchschnitt jeder Brite pro Jahr. In Deutschland beträgt dieser Wert nach Angaben des europäischen Branchenverbands AICV nur 0,8 Liter.

Die Presse befindet sich in einem anderen Eisenbahnbogen, hinter der kleinen Bar. Sie zermalmt innerhalb einer Stunde 1,2 Tonnen Äpfel. Eine Tonne Obst ergebe 700 Liter Cider, sagt der Chef. Getränkekonzerne nutzen in ihren Fabriken dagegen Apfelsaft-Konzentrat, um Cider herzustellen. Bei Hawkes wird der Saft in sechs fast deckenhohen Stahltanks am Ende des Gewölbes gelagert; vier fassen je 5000 Liter, zwei 12 500 Liter.

Nach der Zugabe von Hefe startet die Gärung. Ist der Prozess abgeschlossen, wird der Wein in andere Tanks gepumpt, wo er mit Kohlensäure versetzt, verdünnt, gemischt und abgefüllt wird. Das alles dauert drei bis vier Wochen. Hawkes kann 800 000 Liter im Jahr produzieren.

Wright arbeitete früher im Marketing des Brauereikonzerns Anheuser-Busch Inbev, wollte allerdings immer schon sein eigener Chef sein. Vor drei Jahren begann er, zu Hause Cider zu vergären. 2016 fand er dann Investoren, die seinen Plan unterstützten, eine Mosterei in London aufzubauen. "Ich habe mir die Craft-Beer-Szene angeschaut und will das Gleiche mit Craft Cider schaffen", sagt er. Es gibt inzwischen jede Menge kleine Brauereien, die mit Craft Beer Erfolg haben. Sie setzen auf Handwerkskunst statt Industriefertigung, bekleben ihre Flaschen mit ausgefallenen Etiketten und sprechen damit junge, trendbewusste Städter an, die auch einen höheren Preis akzeptieren. "Doch es gab bislang keine jungen und coolen Cider-Marken", sagt Wright.

Seine Idee hat Brewdog überzeugt, einen vergleichsweise großen Craft-Beer-Brauer aus Schottland. Vor anderthalb Wochen gab das Unternehmen bekannt, Hawkes gekauft zu haben; der Preis wurde nicht genannt. Gründer Wright bleibt Chef. "Brewdogs Kapital hilft uns zu wachsen, aber auf unsere Art", sagt er. Die Schotten betreiben Kneipen in vielen Ländern, unter anderem eine in Berlin-Mitte. Diese Bars sollen demnächst neben Craft Beer den Londoner Cider ausschenken - für Hipster, die es fruchtiger mögen.

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