Grillen als Lebensmittel:Einmal gemischte Insekten, bitte

Insekten sind in der EU mittlerweile Lebensmittel

Gewöhnungsbedürftig: Ameisen, Heuschrecken, Ameiseneier, Maden, Wasserschaben, und Raupen (von oben links).

(Foto: Bloomberg)
  • Durch eine neue EU-Verordnung ist es deutlich einfacher geworden, Insekten als Lebensmittel zu verkaufen.
  • Dahinter steckt ein großes Geschäft: Die Nachfrage der Hersteller nach dem Rohstoff "Insekt" ist mittlerweile so groß, dass die Züchter kaum noch hinterher kommen.
  • Immer mehr Start-ups bieten neue Produkte an und der Höhepunkt des Hypes scheint noch lange nicht erreicht zu sein.

Von Christoph Gurk

An einem Imbissstand am Rande einer Landstraße irgendwo in Laos wussten Timo Bäcker und Christopher Zeppenfeld, dass sie am Ziel sind. Draußen regnete es in Strömen, Bäcker und Zeppenfeld waren durchnässt und hungrig, doch statt heißem Tee, Reis oder Brot stand vor ihnen ein Teller mit grünschimmernden Käfern, Kakerlaken und Heuschrecken. Schon vorher hatten die beiden Deutschen Insekten gegessen, genau genommen war die Krabbel-Kost sogar der Grund, wieso sie in Asien waren. Sie wollten herausfinden, ob sie sich an das Essen von Insekten gewöhnen könnten, ob sie Maden und Grillen irgendwann genauso alltäglich finden wie Schwarzbrot oder Hühnchen.

Sollte ihr Experiment erfolgreich sein, so der Plan, würden sie versuchen, ein Start-up mit Nahrung aus Insekten auf den europäischen Markt zu bringen. Fast zwei Monate waren sie unterwegs, von Thailand nach Vietnam und Laos, sie hatten Maden gegessen, Grillen und zwölf Zentimeter große Wasserschaben, und nun, nach 4500 Kilometern, saßen sie in dem Imbiss in Laos vor einer Portion "Gemischte Insekten". "Wir haben ohne Zögern den Teller leer gegessen. Da war uns klar: Wir haben es geschafft", sagt Bäcker.

Drei Jahre ist das nun her. Bäcker und Zeppenfeld haben ihren Plan umgesetzt und mit einer ehemaligen Schulfreundin, die Sportwissenschaftlerin und Ernährungsexpertin ist, "Swarm Protein" gegründet, ein Start-up für Proteinriegel aus Datteln, Haferflocken, Mandeln, Rosinen - und: gemahlenen Grillen. Im Herbst 2017 starteten sie ein Crowdfunding, in wenigen Wochen waren Riegel für 55 000 Euro verkauft, inzwischen ist auch die zweite Produktions-Charge vergriffen, bald soll die dritte kommen, Stückzahl 100 000.

Waren Schaben und Maden in der Lebensmittelabteilung früher ein Grund, das Gesundheitsamt zu rufen, steigt nun auch in Europa das Interesse, Insekten nicht nur zu zertreten, sondern auch zu essen. Experten predigen schon lange, dass Insekten das bessere Fleisch sind. Sie enthalten viele Proteine und Vitamine, sie brauchen wenig Futter und wenig Platz und sie verursachen kaum Abfälle. Kurz: Insekten sind eigentlich das perfekte Essen.

Dennoch waren sie in Europa lange nicht als Nahrungsmittel zugelassen, dann gab es immer mehr Ausnahmen. In Deutschland durften sie nur im Ganzen angeboten werden, es gab Grusel-Lutscher mit ganzen Maden im Inneren oder Spirituosen mit Würmern in der Flasche. In einigen Ländern, etwa in Belgien und Holland, waren die Regeln laxer, in anderen strenger. Ergebnis war ein Flickenteppich aus Regelungen und Verordnungen. Das änderte sich mit dem 1. Januar 2018: Insekten fallen seither unter die Novel Food-Verordnung der EU. Für Insektenprodukte reicht nun die Zulassung durch die Lebensmittelbehörden eines Mitgliedsstaates, um EU-weit vertrieben werden zu können.

Es gibt jetzt Riegel für Sportler, Protein-Pulver, Kekse oder Pasta. Die Nachfrage der Hersteller nach dem Rohstoff "Insekt" ist mittlerweile so groß, dass die Züchter kaum noch hinterher kommen. In Holland baut der größte europäische Produzent gerade seine Anlagen aus, ein weiteres Start-up arbeitet in Thailand an der größten Grillenfarm der Welt, sie wird voll automatisiert sein und jeden Monat 3,5 Tonnen Grillenmehl produzieren.

Fraglich ist, wie nachhaltig der Insekten-Boom ist

Nicht nur das Angebot wird größer, auch die Nachfrage. "Wir haben jeden Tag ohne Ende Anfragen", sagt Baris Özel. Mit seinem Schulfreund Max Krämer hat er 2014 "Bugfoundation" gegründet. Aus zermahlenen Buffalowürmern und Biosoja produzieren sie Burger, wegen der strengen deutschen Rechtsprechung verkauften sie zunächst nur in Belgien und Holland, seit diesem Jahr dürfen sie nun auch in Deutschland anbieten. Alle deutschen Supermarktketten und Discounter hätten Interesse an ihrem Produkt, sagt Özel, letztendlich hätten sie sich aber für Rewe entschieden. Ende April kam der Insekten-Burger in zwei Filialen in Aachen ins Sortiment, in zwei Wochen seien 400 Packungen verkauft worden, sagt Özel.

Mittlerweile liefert Bugfoundation an über 100 Filialen in Süddeutschland, bald soll der Norden hinzukommen und Großstädte wie Berlin und Hamburg. Drei Angestellte hat die Firma heute neben Özel und Krämer, viel zu wenig für die Zahl der Anfragen, sagen die Gründer. "Es ist wirklich irre, was gerade los ist", sagt Özel.

Bleibt die Frage, wie nachhaltig der Insekten-Boom tatsächlich ist. Ist es nur die Lust an Neuem oder werden die Kunden auch beim zweiten Mal zum Insekten-Burger statt zur Rinder-Bulette greifen? "Natürlich ist im Moment viel Neugier im Spiel", sagt Özel. "Aber bei Analysen sehen wir, dass es schon jetzt nicht nur Neukunden, sondern auch Wiederkäufer gibt". Die Burger von Bugfoundation sollen nicht nur ein Mutproben-Produkt sein: "Wir werden das Essen von Insekten in Europa alltäglich machen", sagt Özel.

Unseriöse Anbieter könnten das Image schnell verderben

Bis dahin aber dürfte es ein weiter Weg sein. Insekten sind noch ein Nischenprodukt. Auch wenn ständig Start-ups für Insekten-Nahrung entstehen, ist deren Zahl bezogen auf den Gesamtmarkt gering. Viele Menschen ekeln sich vor den Krabblern und daran wird sich so schnell nichts ändern. Einige Experten warnen auch vor Allergien und Umweltschützer bemängeln, dass bei der Zucht in Europa viel Energie verbraucht werde, da einige Insekten Wärme zum Wachsen brauchen. Auf der anderen Seite geht es bei der Ernährung heute nicht mehr nur um Nahrungsaufnahme. In Supermärkten gibt es ganze Regale mit Proteinpulver, gewonnen aus Molke, und im Netz tummeln sich hunderte Blogger, die ihren hunderttausenden Followern das neueste Superfood präsentieren, von Algen bis zu Urwald-Beeren. Wieso also nicht auch Insekten essen?

Özel zumindest glaubt, dass die Aufnahme in die Novel Food-Verordnung hilft. Das mache es nicht nur für Produzenten einfacher, ihre Produkte überall in der EU zu verkaufen. Es schaffe auch Vertrauen und Aufmerksamkeit. Bugfoundation ist der erste - und derzeit einzige - Anbieter von Insekten-Burgern in Deutschland, doch Özel erwartet, dass es bald Konkurrenten geben wird. Das wäre aber nicht schlimm: "Wichtig ist die Aufmerksamkeit für das Thema und dass die Menschen überhaupt anfangen, Insekten zu essen."

Auch Christopher Zeppenfeld von Swarm Protein freut sich, dass die Novel Food-Verordnung den Vertrieb in Europa deutlich vereinfacht habe. Fatal wäre es nur, sagt er, wenn mit der Aufmerksamkeit auch unseriöse Unternehmen in den Markt kämen: "Ein schlechtes Produkt oder ein Skandal - und die ganze Branche wäre sofort wieder am Boden." 2018 wird das Jahr der Insekten, glaubt er, doch das sei erst der Anfang: "Ich glaube, viele Gründer schauen sich erst mal den Markt an und wie er sich nach der geänderten Novel Food-Verordnung entwickelt", sagt Zeppenfeld. Anders gesagt: Das große Krabbeln steht erst noch bevor.

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