Trekking-Tourismus:Auf schmalem Grat

Trekkingtouren zu den höchsten Gipfeln sind beliebt wie nie. Das ist nicht ohne Risiko - für die empfindliche Natur, die Touristen selbst und die Veranstalter. Denn der Wettbewerb ist hart.

Reinhold Rühl

Noch 360 Höhenmeter. Ingrid Hantke stützt sich erschöpft auf ihre Wanderstöcke. "Ich schaffe das wohl nicht", sagt die 47-Jährige und schaut resigniert zum Gipfel. Klettertechnisch gesehen ist der Weg kein Problem für die sportliche Physiotherapeutin. Aber der Gokyo Ri ist kein Alpengipfel. Schon jetzt zeigt der Höhenmesser 5000 Meter. In der dünnen Luft wird jeder schnelle Schritt sofort bestraft - mit Herzrasen und akuter Atemnot.

Trekking-Tourismus: Eine Wandergruppe bestaunt den Mount Everest: Für Nepal ist der Trekkingtourismus die bedeutendste Einnahmequelle.

Eine Wandergruppe bestaunt den Mount Everest: Für Nepal ist der Trekkingtourismus die bedeutendste Einnahmequelle.

(Foto: Foto: dpa)

Ingrid Hantke ist auf Trekking-Tour im Himalaya. Seit zwei Wochen wandert sie in einer zehnköpfigen Gruppe durch eine Landschaft, die auf Hochglanzfotos so manchen Bildband schmückt - über grüne Terrassenfelder, Schwindel erregende Hängebrücken, tosende Flüsse. Auf den Gebirgspässen flattern bunte Gebetsfahnen. Eisbedeckte Gipfel stehen Spalier, und immer wieder grüßen buddhistische Mönche in orangefarbenen Gewändern. Kein Wunder, dass der Everest-Trek in Nepal immer mehr Reisende anlockt.

Mehr als 26.000 wanderten vergangenes Jahr auf den Spuren von Edmund Hillary und Tenzing Norgay, die 1953 als erste Menschen den Gipfel des Mount Everest erreichten. Für das bitterarme Nepal ist der Trekkingtourismus heute die bedeutendste Einnahmequelle. Während die Gletscherberge hoch gerüsteten Expeditionsteams vorbehalten bleiben, begnügen sich Normaltouristen mit Gipfeln wie dem Gokyo Ri. Der ist 5360 Meter hoch. Ein Berg zum Vorzeigen, immerhin.

Deshalb will auch Ingrid Hantke nicht auf "ihren" Fünftausender verzichten. Tapfer stapft sie weiter über das braune Geröll. Eine Stunde später fallen sich die Trekker auf dem Gipfel um den Hals. Knapp 25 Kilometer Luftlinie trennt die Gruppe vom Gipfel des Mount Everest. Vier Achttausender recken ihre Eisgipfel in den tiefblauen Himmel: Cho Oyu, Makalu, Lhotse und natürlich der Everest selbst oder Sagarmatha, die "Stirn des Himmels", wie der Allerhöchste in Nepal genannt wird. Die Kameras klicken, die Augen glänzen.

Ungebremster Zuspruch

Der Abenteuerurlaub liegt im Trend. Trotz oder vielleicht sogar wegen der Wirtschaftskrise sehnen sich viele Menschen nach unberührten Landschaften und wollen Natur möglichst unverfälscht erleben. Während der internationale Tourismus im ersten Quartal dieses Jahres nach UN-Angaben um acht Prozent zurückging und klassische Urlaubsländer wie Spanien in diesem Jahr zweistellige Einbußen spüren, freuen sich Spezialveranstalter für Trekking- und Bergreisen über ungebremsten Zuspruch. "Wir sind selbst erstaunt", sagt Manfred Häupl, Geschäftsführer des Münchner Reiseveranstalters Hauser Exkursionen, über die Buchungszahlen. Mit knapp 10.000 Teilnehmern liege man "auf Vorjahresniveau".

Ähnlich die Kommentare des Summit Club, dem Marktführer in der Abenteuernische. Rund 11.000 Bergfans buchen jedes Jahr beim kommerziellen Ableger des Deutschen Alpenvereins (DAV) und bescheren dem weltweit größten Bergsportverband einen Umsatz von rund 15 Millionen Euro. Für dieses Jahr sind die meisten Angebote des Summit Club längst ausgebucht. "Nepal und Peru läuft prima", sagt Sprecher Christoph Thoma. Besonders gefragt sind diesmal auch Ausbildungskurse für Bergaspiranten.

Dabei verzichten Trekker auf Komfort. Ingrid Hantke muss sich in Nepal morgens mit eiskaltem Wasser waschen, und die Nächte auf 4800 Meter Höhe sind ohne Daunenschlafsack kaum erträglich. Auch die Gesundheit wird auf eine harte Probe gestellt. Nur wenige Trekker kehren aus Nepal ohne lästige Durchfallerkrankungen zurück und ab 3000 Höhenmetern drohen zudem Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und Müdigkeit - Symptome der gefürchteten Höhenkrankheit.

"Je weiter von der Zivilisation entfernt, desto höher die Anforderungen."

Dennoch können sich Ingrid Hantke und ihr Partner Bernd Engelhardt keinen Alles-inklusive-Urlaub im Hotel vorstellen. "Höchst langweilig" findet der 46-jährige Schreinermeister solche Reisen, bei der die einzige Herausforderung die frühzeitige Sicherung eines Liegeplatzes am Pool ist. Stattdessen klettert das Paar lieber in Chile auf den Ojos de Salado, den mit 6893 Metern höchsten Vulkan der Erde, oder wandert drei Wochen lang mit Rucksack und Zelt durch einen Nationalpark im fernen Tasmanien. Aber auch "vor der Haustür" sind die Schwaben oft unterwegs.

Klettern für die gehobenen Schichten

Vor allem Angehörige gehobener Bildungs- und Einkommensschichten entdecken das Wandern neu, hat Rainer Brämer vom Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Marburg in Umfragen festgestellt. Demnach wandern rund 60 Prozent der Deutschen mehr oder weniger regelmäßig und geben dabei "weit über zehn Milliarden Euro pro Jahr aus". Auch Ingrid Hantke und Bernd Engelhardt greifen für ihre Touren schon mal tief in die Tasche. Immerhin kosten organisierte Trekkingreisen ins Land der Sherpas zwischen 2400 und 3000 Euro pro Person.

Günther Härter organisiert solche Touren, die er "Premium-Reisen zu den Bergen der Welt" nennt. 134 Berg- und Trekkingreisen finden sich im edel gestylten Hochglanzkatalog seiner im Januar gegründeten Firma Top Mountain Tours. Viele davon hat der 55-Jährige selbst absolviert. So stand er noch vor wenigen Wochen auf dem höchsten Berg Europas, der nicht etwa in den Alpen, sondern im russischen Kaukasus zu finden ist: 5642 Meter hoch ist der Elbrus und zählt damit zu den "Seven Summits", den jeweils höchsten Bergen der sieben Kontinente.

Deren Besteigung ist derzeit sehr beliebt - nicht nur bei Extrembergsteigern. Denn die technischen Schwierigkeiten des stark vergletscherten Vulkanberges sind für versierte Bergsteiger "moderat und mit einer Mont-Blanc-Besteigung vergleichbar", sagt Härter. Die meisten seiner Touren verlangen zwar kein großes Kletterkönnen, aber entsprechende "Outdoor-Erfahrung". Vor allem in wilden Naturlandschaften gelte der Grundsatz: "Je weiter von der Zivilisation entfernt, desto höher die Anforderungen." Kleingedruckt ist im Katalog von Top Mountain Tours nachzulesen, was das heißen kann: "Unfälle, auch tödliche, können passieren. Sie müssen bereit sein, diese Risiken zu akzeptieren".

"Spaziergang auf großer Höhe"

Das gilt auch fürs Gipfelglück. Etwa am knapp 7000 Meter hohen Aconcagua in den Anden. Diese Tour sei der "ideale Einstieg ins Höhenbergsteigen", wirbt der Expeditionsveranstalter Amical Alpin. 4980 Euro kostet die dreiwöchige Reise im Dezember. Dann können elf bis maximal 14 Teilnehmer den höchsten Berg des südamerikanischen Kontinents besteigen - freilich ohne Garantie, ihn auch zu erreichen. Schon mancher Gipfelaspirant, der laut Prospekt "ein erfahrener und umsichtiger Alpenbergsteiger mit einer guten Kondition" sein soll, ist nach zermürbenden Nächten in einem vom Sturm umtosten Zelt erfolglos ins Basislager zurückgekehrt.

Wesentlich populärer ist die Besteigung des Kilimandscharo, der mit 5895 Metern als leichtester Berg der "Big Seven" gilt. Aus diesem Grund haben nahezu alle Trekkingveranstalter den höchsten Berg Afrikas in ihrem Programm - zu Preisen zwischen 2500 und 3600 Euro. Beim Wettbewerb um zahlende Kundschaft spielen manche die Risiken schon mal herunter. Denn "ein Spaziergang auf großer Höhe", wie es in einem amerikanischen Reiseführer steht, ist die prestigeträchtige Besteigung keinesfalls. Nur etwa die Hälfte der jährlich etwa 20.000 Bergfans erreichen den höchsten Punkt.

Die meisten scheitern aufgrund unzureichender Höhenanpassung, und immer wieder sterben auch Menschen auf dem Weg nach oben. Aber offizielle Angaben dazu gibt es nicht oder sie werden verschwiegen. Zu wichtig ist dem Staat Tansania das Geschäft. Auch die Veranstalter, die am Kilimandscharo mitmischen wollen, müssen hart kalkulieren. Die Nationalparkgebühr kostete vergangenes Jahr pro Person 650 US-Dollar, weitere 170 bis 220 Dollar kommen für den Führer und die Träger hinzu. Und natürlich will die Kundschaft möglichst viel Abenteuer in kurzer Zeit. Dann werde oft "bei der Akklimatisation geknausert", sagt Günther Härter.

"Das Risiko der Achttausender ist einfach zu groß."

Der leidenschaftliche Bergsteiger kennt die Risiken. Härter kletterte bereits in jungen Jahren durch die Eiger-Nordwand, auf den Mount McKinley in Alaska, auf die schaurig-schöne Spitze der Ama Dablam in Nepal, führte Expeditionen zum Manaslu und den Cho Oyu. Die schwierigste Tour will der Abenteurer aber nun im Alleingang absolvieren: den Aufbau der eigenen Firma. Bis Sommer 2007 war Härter Geschäftsführer des DAV Summit Club und wäre das, wie er durchblicken lässt, auch gerne geblieben. Es gilt in der Branche als offenes Geheimnis, dass die Chemie zwischen Härter und Teilen der DAV-Spitze nicht mehr stimmte. So machte sich der Bergführer selbständig.

Gute Wünsche von Reinhold Messner

Im Wettbewerb mit seinem ehemaligen Arbeitgeber hat Härter einen prominenten Mitstreiter gefunden: Reinhold Messner schrieb das Vorwort im Katalog von Top Mountain Tours und wünscht dem Unternehmen "viel Erfolg", da diese Art von Bergtourismus "einen wichtigen Beitrag zum Überleben der örtlichen Bevölkerung" leiste. Die Menschen seien nicht mehr gezwungen, zum Gelderwerb in die Großstädte abzuwandern. Die Seilschaft mit dem zum Tourismuskritiker avancierten Spitzenbergsteiger überrascht nicht, denn Messner hat sich schon vor langem mit dem DAV-Präsidium überworfen.

Noch sind die Erwartungen von Top Mountain Tours bescheiden. Eine Million Euro will Härter bis Jahresende umsetzen und sich in der Abenteuerbranche eine Nische erschließen. Nicht nur mit Klassikern wie dem Everest-Trek, sondern auch mit einer Tour für jene Bergsteiger, die schon "alles" bereits gesehen haben: 13.900 Euro kostet eine Expedition mit einem Segelschiff durch die Drake-Passage zur antarktischen Halbinsel, wo die zahlungskräftigen Teilnehmer den 1465 Meter hohen Mount Shackleton besteigen können.

Ganz hohe Berge will Härter mit seiner neuen Firma allerdings nicht mehr anbieten. "Das Risiko der Achttausender ist einfach zu groß." Härter meint vor allem das Unfallrisiko. Wirtschaftlich könnte sich ein hoher Achttausender für den Veranstalter schon rechnen. "Wenn die richtigen Leute anfragen", sagt Härter, "würden wir eine solche Expedition organisieren."

Florierende Geschäfte mit der dünnen Luft

Der Summit Club des DAV hat mit dem Broad Peak, dem Dhaulagiri, dem Cho Oyu und dem Shisha Pangma vier der "leichten" Achttausender in seinem Expeditionsprogramm. Extrem-Bergsteiger Ralf Dujmovits bietet mit seinem Unternehmen Amical sogar fünf Achttausender an. Wer sich an einen solchen Berg wagt, braucht nicht nur viel Zeit - Minimum 45 Tage -, sondern muss fast 10.000 Euro investieren. Die Zahl der Interessenten für Expeditionen in die Todeszone ist überschaubar. Christoph Thoma vom Summit Club schätzt, dass in Deutschland pro Jahr "höchstens 200 Bergsteiger" an solchen Extremtouren Gefallen finden.

An den Mount Everest wagt sich in Deutschland derzeit kein Expeditionsveranstalter. Noch nicht. Denn das Geschäft floriert in der dünnen Luft - mit den bekannten Folgen des "Massentourismus": In der Todeszone über 7000 Metern vermüllen inzwischen leere Sauerstoffflaschen die Biwakplätze. Die Firma Himalayan Experience des Neuseeländers Russell Brice brüstet sich gar mit fragwürdigen Erfolgszahlen. So standen im Mai dieses Jahres gleich 30 Himex-Kunden auf dem 8848 Meter hohen Gipfel. 28 Sherpas hatten die Bergsteiger hinaufgelotst. Der Preis: 40.000 US-Dollar pro Teilnehmer.

Dafür gibt's im firmeneigenen Basislager auf 5350 Metern Höhe sogar Zelte mit Teppichboden, DVD-Fernseher und - eine heiße Dusche. Himalaya-Wanderer wie Ingrid Hantke winken da ab. Warmduscher sind unter Trekking-Puristen ohnehin verpönt - schon aus ökologischen Gründen.

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