Treffen in Washington:Warum Weidmann Draghi verteidigt

Bundesbank - Jens Weidmann

Bundesbankpräsident Jens Weidmann ist einer der Kritiker des EZB-Kollegen Mario Draghi. Jetzt nimmt er ihn allerdings in Schutz.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Der Chef der Bundesbank weist Schäubles Kritik an der EZB-Niedrigzinspolitik und ihrem Präsidenten zurück. Ausgerechnet.

Von C. Gammelin, C. Hulverscheidt, Washington

Jens Weidmann sah seinen Sitznachbarn nicht direkt an, aber es war ihm offenkundig ein Bedürfnis, einige Dinge einmal grundsätzlich klarzustellen. Angesichts der extrem niedrigen Inflationsrate in Europa sei es richtig, so der Präsident der Deutschen Bundesbank, die Leitzinsen praktisch bei null zu halten. Er verstehe zwar, dass dies unerwünschte Folgen für die deutschen Sparer und für Menschen habe, die fürs Alter vorsorgen wollten. "Die Europäische Zentralbank kann und darf ihre Politik aber nicht an einzelnen Staaten oder Gruppen ausrichten, sondern muss die gesamte Euro-Zone im Blick behalten", sagte Weidmann bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Washington.

Dass der Bundesbankchef den Auftritt mit Schäuble für ein kurzes Grundsatzreferat über Auftrag und Aufgaben der Geldpolitik nutzte, war kein Zufall: Es war der Bundesfinanzminister, der die Niedrigzinspolitik der EZB jüngst kritisiert und gar für den Aufstieg der rechtspopulistischen AfD in Deutschland mitverantwortlich gemacht hatte. In Washington, wo Schäuble und Weidmann an der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank teilnehmen, wollte der Minister davon nun plötzlich nichts mehr wissen. Er flüchtete sich einmal mehr in den Hinweis, seine Aussagen seien in den Medien falsch wiedergegeben worden. Er habe lediglich auf die politischen Folgen der EZB-Strategie verwiesen, so der Minister. "Man darf diesen Hinweis aber nicht mit Kritik an der EZB oder mit einem Angriff auf deren Unabhängigkeit verwechseln."

Tatsächlich hatten die allermeisten Beobachter - offenbar einschließlich des Bundesbankpräsidenten - Schäubles Aussagen von vor ein paar Tagen aber genauso verstanden: als kräftige Watschn für die Notenbank und ihren Chef Mario Draghi, der aus Sicht vieler Unionspolitiker den perfekten Sündenbock für den Aufstieg der AfD abgibt. Warum sonst hätte Weidmann auf die Idee kommen sollen, ein paar Grundsatzbemerkungen zu machen?

Nach seinem Dafürhalten muss eine Notenbank die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Politik zwar im Auge behalten. Auch sei die EZB nicht sakrosankt, sondern müsse Kritik an ihren Entscheidungen aushalten. Das bedeute im Umkehrschluss aber nicht, dass sie als geldpolitisch richtig erachtete Beschlüsse unterlassen dürfe, nur weil sie einer bestimmten Partei nutzen oder schaden könnten. "Wo soll das denn hinführen, wenn wir das anfangen?", sagte Weidmann. Die Notenbank müsse unabhängig von allgemeinpolitischen Erwägungen entscheiden. Diese Unabhängigkeit, das habe gerade die deutsche Geschichte gezeigt, sei die Voraussetzung für Wohlstand und eine stabile Währung.

Weidmann verwies erneut darauf, dass viele Sparer zwar unter den niedrigen Zinsen für Bankguthaben litten, dass sie als Steuerzahler, Arbeitnehmer und Häuslebauer aber zugleich von ihnen profitierten. Deshalb müsse die Politik den Blick weiten. Dreht man die Aussage des Bundesbankpräsidenten um, könnte man auch sagen: Wäre der Leitzins deutlich höher, profitierte der Sparer zwar davon; dieser wäre wegen der dann vermutlich herrschenden Rezession aber womöglich zugleich arbeitslos. Schon vor Tagen hatte Weidmann die Debatte in Deutschland deshalb als zu "engstirnig" bezeichnet, ein Vorwurf, dem sich viele internationale Experten in teils noch deutlicheren Worten anschlossen.

Für Draghi sind Weidmanns Aussagen Gold wert, denn der Bundesbankpräsident ist für ihn der unverdächtigste Anwalt, den man sich vorstellen kann. Beide waren in der Vergangenheit immer wieder aneinandergeraten, weil Weidmann einzelne Initiativen Draghis, insbesondere den gezielten Aufkauf von Staatsanleihen schwächelnder Euro-Länder durch die Notenbank, für falsch und rechtlich fragwürdig hält. Die Art und Weise aber, wie deutsche Regierungspolitiker den Italiener mittlerweile an den Pranger stellen, veranlasste den Bundesbankchef offenkundig dazu, dem EZB-Ratskollegen zur Seite zu springen.

Die Politik hat nicht gehandelt, die Zentralbank schon. Nun ist sie der Sündenbock

Draghi muss die Kritik Schäubles und vieler anderer Unionspolitiker auch deshalb als Zumutung empfinden, weil es die Währungsunion heute womöglich nicht mehr gäbe, hätte sich der EZB-Chef nicht seinerzeit so unmissverständlich zur Rettung des Euro bekannt. Unter nicht-deutschen Experten gilt seine Aussage vom Sommer 2012, die EZB werde "alles Erdenkliche tun" ("whatever it takes"), um die Währungsunion zusammenzuhalten, als Wendepunkt in der Euro-Krise.

Im Grunde tritt mit dem Konflikt zwischen der Bundesregierung und der EZB nun genau jener Fall ein, vor dem Weidmann jahrelang gewarnt hatte: Die Notenbank hat ihr Mandat mit groß angelegten Staatsanleihekäufen sehr weit gedehnt, um Fehler der Finanzpolitik auszugleichen. Nun wird sie deswegen von vielen als politischer Mitspieler betrachtet, den man attackieren, maßregeln und zum Sündenbock machen darf.

Schäuble und Weidmann waren sich immerhin einig, dass die Politik mittlerweile zu viele Aufgaben bei der EZB abgeladen habe, die sie eigentlich nur selbst lösen könne. "Die Geldpolitik kann Defizite in der Konstruktion der Währungsunion nicht ausgleichen", sagte Weidmann. Schäuble verwies darauf, dass sich bei der laufenden IWF-Tagung viele Regierungen zu Strukturreformen auf den Arbeits- und Gütermärkten, im Sozial- und Steuerrecht bekannt hätten. Dies sei eine sehr erfreuliche Entwicklung.

Am Freitagabend hatte der Bundesfinanzminister in Washington übrigens eine Verabredung: mit Mario Draghi.

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