Transatlantische Freihandelszone:Mit Pragmatismus zum Plan B

Container-Schiff am Hamburger Hafen

Ein Container-Schiff wird am Hamburger Hafen beladen: Eine Freihandelszone zwischen den USA und der EU könnte beiden Seiten Wachstum bringen.

(Foto: REUTERS)

In Sachen wirtschaftliche Dynamik steht Europa am Rand und beschäftigt sich mit sich selbst. Neuen Schwung soll jetzt das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU bringen. US-Vizepräsident Joe Biden fordert: "ans Ziel mit einer Tankfüllung". Weil sich die WTO derzeit als nutzlos erweist, ist es richtig, dass EU und USA vorangehen.

Ein Kommentar von Nikolaus Piper

Das "Pazifische Zeitalter" ist längst mehr als ein Schlagwort. Viele ökonomische Streitfragen von Belang werden mittlerweile zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China entschieden (oder auch nicht). Europa steht am Rande, beschäftigt sich mit sich selbst und droht, für Amerika irrelevant zu werden. Zwar sind Handel und gegenseitige Investitionen zwischen Europäer und Amerikanern immer noch ungleich wichtiger als die Wirtschaftsbeziehungen jedes einzelnen zum Rest der Welt. Aber die Dynamik findet woanders statt.

Vor diesem Hintergrund ist es beachtenswert, dass ein altes Projekt von Wirtschaftsexperten und Industrieverbänden jetzt plötzlich eine Chance hat: die transatlantische Freihandelszone. Eine europäisch-amerikanische Expertengruppe dazu wird vermutlich in dieser Woche einen positiven Bericht vorlegen. US-Vizepräsident Joe Biden hat das Projekt erstmals öffentlich unterstützt. Alles hänge nur noch vom "politischen Willen" ab, sagte Biden am Wochenende in München.

Dabei ist genau zu definieren, was eine Freihandelszone zwischen den USA und der EU überhaupt bedeuten würde. Der Warenaustausch über den Atlantik hinweg ist nach historischen Maßstäben bereits heute weitgehend frei. Die Zölle sind gering:Volkswagen oder Daimler können genauso leicht in den USA investieren, wie General Electric in Deutschland. Wozu also eine Freihandelszone?

Die Antwort liegt in einem Wort: "Standards". Die staatlichen Vorschriften darüber, wie bestimmte Produkte zu beschaffen sein haben, sind zentral für jede Volkswirtschaft: Welche Sicherheitsvorkehrungen muss ein Flugzeug haben? Wie muss Spielzeug beschaffen sein? Unter welchen Voraussetzungen darf Fleisch in den Handel gebracht werden? Nationale Unterschiede bei diesen Standards sind für Exporteure teuer und erschweren den Marktzugang.

Besser wäre es, die Handelsschranken überall zu senken

Offene Märkte schaffen Wachstum

Gelänge es, diese zwischen den USA und der EU zu vereinheitlichen, und würden dann auch noch die restlichen Zölle abgeschafft, brächte dies auf beiden Kontinenten einen Wachstumsschub von 1,5 Prozent, rechnen die Befürworter des Projekts vor. Nun sind derartige Schätzungen immer mit Vorsicht zu genießen. Niemand kann genau vorhersagen, was nach einer Marktöffnung passiert.

Trotzdem ist klar: Freihandel und offene Märkte schaffen Wachstum. Und genau hier liegt auch der Einwand gegen das Projekt. Freihandelszonen sind immer nur zweitbeste Lösungen. Sie fördern den Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen zwei Ländern oder Wirtschaftsblöcken, lassen aber den Rest der Welt außen vor. Besser wäre es, die Handelsschranken überall zu senken. Genau so ein Projekt gibt es auch, es ist die sogenannte Doha-Runde in der Welthandelsorganisation (WTO).

Die Liberalisierungsrunde hatten die WTO-Mitglieder nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 initiiert mit dem klaren Ziel, durch mehr Handel mehr Prosperität zu schaffen und so dem Terror die Grundlagen zu entziehen. Heute weiß man, dass das Projekt gescheitert ist. Zwar wurden die Doha-Verhandlungen noch nicht offiziell beendet, es gab aber eben auch seit Jahren keinen sichtbaren Fortschritt, die Gegensätze zwischen Europäern, Amerikanern und Schwellenländern waren zu groß. Niemand scheint derzeit bereit, politisches Kapital in die WTO zu investieren.

Manche Themen könnten hoch kontrovers werden

Wenn man die beste Lösung nicht bekommen kann, soll man die zweitbeste anstreben. Deshalb ist es richtig und angemessen, wenn die USA und die EU jetzt vorangehen. Den Europäern würde dies helfen, aus dem Desaster von Schuldenkrise und Rezession herauszufinden.

Europäer und Amerikaner können sich auf vernünftige Standards einigen, die in der ganzen Welt übernommen werden, schließlich sind sie gemeinsam immer noch für die Hälfte des Weltsozialprodukts verantwortlich. Manche Themen könnten dabei hoch kontrovers werden. Sobald es etwa um Lebensmittel geht, kommen Werte und Emotionen ins Spiel: Was ist zum Beispiel mit genveränderten Lebensmitteln, was mit "Hormonfleisch" oder französischem Rohmilchkäse?

Gut wäre es, das Projekt mit Pragmatismus anzugehen. Genau dies scheint die Botschaft von Vizepräsident Joe Biden an Europa zu sein: Er spricht nicht von einer "Freihandelszone", sondern von einem "umfassenden Handels- und Investitionsabkommen". Das klingt wesentlich weniger ehrgeizig. Die Verhandlungen sollten "mit einer Tankfüllung" ans Ziel kommen, was so viel heißen dürfte wie: Lasst uns uns erst einmal nur auf das konzentrieren, wo wir uns schnell einigen können und alles andere zunächst zur Seite legen. Das ist der richtige Weg.

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