Tragischer Tod Adolf Merckles:Am Ende war die Ohnmacht

Adolf Merckle hat alle Höhen erklommen, die ein Unternehmer erreichen kann. Doch dann brach sein verschachteltes Imperium zusammen - und seine Welt.

D. Deckstein

Tief verschneit ist die schmale Straße "Weilerhalde", an deren rechter Seite sich die schmucklosen Ein- und Zweifamilienhäuser an den Hang der Schwäbischen Alb schmiegen. "Entstanden in schwieriger Zeit, als Armut und Bedrängnis im Vaterland herrschte", steht eingraviert auf einer Marmorplatte an einem der Häuser, das auch schon bessere Zeiten gesehen haben muss.

Tragischer Tod Adolf Merckles: Mitarbeiter der Zollern-Gruppe trauern neben den Gleisen in der Nähe des Bahnübergangs in Blaubeuren-Weiler, an dem sich der Milliardär und Anteilseigner der Zollern-Gruppe, Adolf Merckle das Leben nahm, indem er sich vor einen Zug warf.

Mitarbeiter der Zollern-Gruppe trauern neben den Gleisen in der Nähe des Bahnübergangs in Blaubeuren-Weiler, an dem sich der Milliardär und Anteilseigner der Zollern-Gruppe, Adolf Merckle das Leben nahm, indem er sich vor einen Zug warf.

(Foto: Foto: ddp)

Nur einen Steinwurf davon entfernt, unterhalb des Kirchleins auf dem Berg und unweit des Gasthauses Forellenfischer, in dem er gerne gegessen hat, steht das Haus von Adolf Merckle.

Stünde auf dem Klingelschild nicht A. Merckle, käme wohl kaum einer auf die Idee, dass hier der fünftreichste Deutsche zu Hause war. So unspektakulär sich das Haus von der Straße ausnimmt, als fast so verschachtelt entpuppt es sich bei einem Rundgang am Hang entlang, in den hinein eine zweite Etage gebaut wurde. So unüberschaubar und verschachtelt, wie das komplizierte Firmengeflecht des Unternehmerpatriarchen. Aber Adolf Merckle lebt nicht mehr in diesem Haus an der Weilerhalde.

Kaum einen Kilometer Luftlinie entfernt vom Blaubeurer Ortsteil Weiler machen die Schienen der Bahnstrecke Ulm-Sigmaringen eine leichte Kurve, dort, wo eine Fußgängerunterführung unter den Gleisen hindurchführt.

Fassungslosigkeit über den letzten Schritt

Ein Gelände, in dem der passionierte Spaziergänger Adolf Merckle an Wochenenden ausgedehnte Wanderungen unternahm, ein Gelände, wo er wahrscheinlich jeden Baum und Strauch kannte.

Vier Fotografen nehmen die Schienen ins Visier, am Waldweg parkt ein grüner Streifenwagen. Die blonde Polizistin öffnet das Seitenfenster. Ja, das ist die Stelle, an der am Montagabend die Leiche des Milliardärs Adolf Merckle gefunden wurde. Und sie und ihr Kollege passten nur auf, dass keiner die Gleise betrete. Das sei nämlich verboten.

Schon rollt der rote Regionalexpress nach Stuttgart vorbei, der Ulm um 9.10 Uhr verlassen hat. Das fehlte noch, dass der einen Tragödie eine nächste folgt, weil Neugierige unachtsam waren.

Noch herrscht weithin Fassungslosigkeit über den letzten Schritt des Unternehmers Adolf Merckle. Wie verzweifelt muss er gewesen sein, dass er in einem einsamen Tod auf den Bahngleisen den einzigen Ausweg gesehen hat?

Kurz und knapp, aber deutlich

"Wir kannten ihn ja nur vom Sehen", hatte der Nachbar vorhin gesagt, der vor dem Haus gegenüber dem Merckleschen Anwesen Schnee fegte. "Aber er wirkte immer so, als ob ihm die Turbulenzen und Krisen der Wirtschaft überhaupt nichts anhaben könnten."

Das konnten sie offenbar doch. In der Presseerklärung, die die Familie Merckle noch am Dienstagabend veröffentlichte, heißt es kurz und knapp, aber deutlich: "Adolf Merckle hat für seine Familie und seine Firmen gelebt und gearbeitet. Die durch die Finanzkrise verursachte wirtschaftliche Notlage seiner Firmen und die damit verbundenen Unsicherheiten der letzten Wochen sowie die Ohnmacht, nicht mehr handeln zu können, haben den leidenschaftlichen Familienunternehmer gebrochen, und er hat sein Leben beendet." Ohnmacht.

Das dürfte der Schlüsselbegriff sein, wenn man zu ergründen versucht, warum einer den Selbstmord gewählt hat, da die Rettung seines angeschlagenen Firmenimperiums zum Greifen nah war.

Noch am Montag hatten Adolf Merckle und seine Frau Ruth die Stundungsvereinbarung mit den Banken über mehr als 400 Millionen Euro unterschrieben.

Damit wurde zunächst einmal Luft geschaffen, um die weitere Zukunft des schuldenüberladenen Firmengeflechts zu planen. Aber was heißt in diesem Fall schon Rettung? Zeit seines Unternehmerlebens war es Adolf Merckle gewohnt, den Takt vorzugeben und die Geschäftsbedingungen auf autokratische Weise selbst zu diktieren.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum sich in der Öffentlichkeit das Mitleid mit Merckle in Grenzen hielt.

Am Ende war die Ohnmacht

Banken und Beratern traute er nicht über den Weg, er vertraute vor allem einem, nämlich sich selbst. Aber jetzt, da die Finanzkrise die Fundamente seines unternehmerischen Lebenswerks zu unterspülen drohte, da die Banken knallharte Bedingungen für Überbrückungskredite stellten, da hatte er das Heft nicht mehr allein in der Hand.

In Zeiten, da die Banken selbst florierenden Unternehmen nur noch äußerst widerwillig Kredite bewilligen, braucht es nicht viel Phantasie, sich die Härte der Verhandlungen mit einem in Not geratenen Unternehmer vorzustellen.

Merckle musste seine Anteile an den Perlen seines Firmenkonglomerats - dem Ulmer Generikahersteller Ratiopharm, dem Medikamentengroßhändler Phoenix und dem Baustoffhersteller Heidelberg-Cement - als Sicherheiten hinterlegen. Und die Banken wiederum forderten in ihrer derzeitigen Nervosität den schnellstmöglichen Verkauf der Unternehmen.

Zusätzliche Sicherheiten

Ratiopharm, die Urzelle des Merckleschen Firmenimperiums, muss, so wurde am Mittwoch gemeldet, auf Druck der Gläubigerbanken als erstes verkauft werden. Wie muss sich einer fühlen, dessen in Jahrzehnten aufgebautes unternehmerisches Lebenswerk von den Banken kaltlächelnd konfisziert wird? Erst zornig, und dann - ohnmächtig.

Das Mitleid mit dem Unternehmer, der sich finanziell verhoben und auch noch mit Aktien verspekuliert hatte, hielt sich allerdings im letzten Vierteljahr, seit Merckles Schieflage ruchbar wurde, in engen Grenzen.

Vor knapp zwei Jahren, als die Kredite noch reichlich und billig waren, hat Merckle den 14 Milliarden Euro teuren Kauf des englischen Konkurrenten Hanson durch Heidelberg-Cement kreditfinanziert und bei den Banken Aktien als Sicherheit hinterlegt.

Die verloren aber seit Ausbruch der Finanzkrise kräftig an Wert, so dass die Banken auf zusätzliche Sicherheiten pochten. Noch schwerer am Ruf des erfolgreichen Unternehmers Adolf Merckle nagte aber sein Eingeständnis Mitte Oktober, sich mit Kurswetten auf fallende Preise für VW-Aktien verspekuliert zu haben.

Hohn und Spott

Um einen "niedrigen dreistelligen Millionenbetrag" habe es sich gehandelt, ließ Merckles VEM Vermögensverwaltung mitteilen, in der der Patriarch seine Unternehmensanteile bündelte. Bankinsider behaupten indessen, dass es 1,2 Milliarden Euro gewesen seien, die Merckle verloren hat. Darauf ergoss sich Hohn und Spott über den "Zocker Merckle", der sich mit raffgierigen Spekulationsgeschäften in nichts von angloamerikanischen Finanzhasardeuren unterscheide.

Auch das muss den Unternehmer, der sich christlichen Grundsätzen zutiefst verpflichtet fühlte, schwer getroffen haben. In seinem letzten Zeitungsinterview Mitte Dezember antwortete Merckle auf die Frage, ob er etwas zu bereuen habe: "Es macht mich traurig, dass in solchen Zeiten wie der jetzigen Finanzkrise die öffentliche Meinung über Handlungen und Personen schlagartig umschwingen kann."

Nach öffentlicher Meinung auch nicht gerade positiv war zudem der Umstand, dass er bei der baden-württembergischen Landesregierung um eine Kreditbürgschaft von 150 Millionen Euro nachsuchte. Auch da erntete Merckle Hohn und Kritik nach dem Motto: Erst verzockt er sich, und dann bettelt er das Land an.

Mit harter Hand

Adolf Merckle sammelte zwar Unternehmen wie andere Leute Briefmarken, regierte sein Firmenreich mit harter Hand und einer Schar Getreuer, und sein Vermögen wurde vor einem halben Jahr noch auf sieben Milliarden Euro geschätzt.

Persönlich allerdings pflegte er alles andere als einen aufwendigen Lebensstil. Er fuhr einen fast 20 Jahre alten Mercedes, radelte täglich ins Büro, flog nur Economy-Klasse und fuhr mit der Bahn zweite Klasse. "Da bin ich genauso schnell am Ziel wie mit der ersten Klasse", pflegte er zu sagen.

Lesen Sie auf der dritten Seite, worin die Leidenschaft von Adolf Merckle bestand.

Am Ende war die Ohnmacht

Aber Geld zu machen war seine Leidenschaft, um nicht zu sagen die Besessenheit des gebürtigen Dresdners, der sich schwäbischer gab als mancher Schwabe.

Sein Firmenkonglomerat - über dessen Intransparenz auch die mehr als 30 Gläubigerbanken zum Schluss wiederholt klagten - basierte vor allem auf dem Geschäftsmodell, Gewinne zu verschieben und Steuern zu sparen.

Er kenne keinen anderen Unternehmer, berichtet einer seiner Weggefährten, der die Rechtswissenschaft im Geschäft so gezielt einsetze wie der Jurist von der Schwäbischen Alb. Und ausgerechnet Merckle, der die Verschleierungstaktik und das Versteckspiel liebte, musste am Ende in den Gesprächen mit den Banken fremden Augen offenbaren, was er so nie offenbaren wollte.

Auch exotische Engagements

Den Grundstein seines späteren Imperiums mit insgesamt 100.000 Beschäftigten und 33 Milliarden Euro Jahresumsatz hatte Merckles Großvater 1881 im böhmischen Aussig mit "Adolf Merckle, Chemikalien en gros" gelegt.

Nach der Enteignung 1945 begann Vater Ludwig den Neuaufbau in Blaubeuren, bis Adolf Merckle die Firma 1967 übernahm und kurz darauf aus den USA die Idee importierte, Generika, also Nachahmerpräparate, in Deutschland zu produzieren.

Heute gehören auch exotische Engagements wie das Forstwirtschaftsunternehmen Blauwald, das Schloss Hohen Luckow bei Rostock und sogar ein Skilift im Kleinwalsertal zum Merckle-Firmenreich. Dort hat der Chef sogar schon selbst die Liftkarten geknipst. Für Merckle, so sagt es ein Weggefährte, sei es "das Höchste gewesen, wenn er wieder drei Pfennig verdient hat".

Aber die im Großen und Ganzen lange Jahre heile Merckle-Welt hat in den Turbulenzen der letzten Monate Risse bekommen.

Sohn sagte sich vom Vater los

Gesundheitlich angeschlagen war der Unternehmer seit vergangenem Frühjahr, sein Sohn Philipp Daniel, 42, den er vorübergehend als Ratiopharm-Chef installiert und danach rüde abserviert hatte, sagte sich im Dezember vom Vater los. "Das Firmengeflecht hat sich von den ursprünglichen Werten, die ich in der Familientradition sehe, entfernt", hatte der Sohn danach erklärt und auf "saubere Trennung der wirtschaftlichen Angelegenheiten" gedrungen.

So türmte sich wohl eine schwere seelische Bürde nach der anderen auf den Patriarchen Adolf Merckle, dem mit seinen 74 Jahren wohl auch nicht mehr so viele Kräfte zur Verfügung standen, um die Turbulenzen einigermaßen unbeschädigt zu überstehen.

Die Geschäfte wird nun vorübergehend sein Sohn Ludwig, 43, weiterführen, der dem Vater am nächsten kommt und schon seit Jahren die VEM führt.

Zur Mehrung des Besitzes hatte er einmal gesagt, die Philosophie der Familie sei es, Gelegenheiten zu nutzen - ganz wie der Vater. Einer von dessen geflügelten und oft zitierten Sätzen lautete: "Mir ist fremd, etwas aufzugeben."

Aber das genau stand jetzt an. Gelegenheiten fanden sich zum Schluss nicht mehr, dafür die Aufgabe von weiten Teilen des Firmenimperiums. Die Aufgabe von Macht, von Gestaltungsfreiheit. Die schiere Ohnmacht eben.

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