Tourismusboom:Ab in den Urlaub, jetzt erst recht

Strand von Magaluf, Mallorca, Spanien

Touristenhorden auf Mallorca

(Foto: David Ramos/Getty Images)

Krise in Griechenland? IS-Terror? Deutsche Urlauber sind unbeeindruckt - und verreisen immer häufiger.

Von Michael Kuntz, Berlin

Das Schicklerhaus in Berlin ist definitiv kein Reiseziel. Obwohl in ihm Albert Einstein und Hermann Duncker Anfang der 1930er-Jahre populärwissenschaftliche Vorträge gehalten haben. Damals war in dem Bau, nahe der Jannowitzbrücke, die Marxistische Arbeiterschule untergebracht. Heute analysiert hier der Deutsche Reiseverband DRV als das Zentralorgan von Reiseveranstaltern und 9800 Reisebüros das Urlaubsverhalten der Bundesbürger: Die Reiselust der Deutschen ist in diesem Sommer ungebrochen.

"Die aktuelle Buchungssituation ist nach wie vor sehr erfreulich", sagt DRV-Präsident Norbert Fiebig der Süddeutschen Zeitung. "Verglichen mit dem vorigen Sommer liegen wir sowohl bei den Teilnehmerzahlen als auch beim Umsatz spürbar im Plus, beim Umsatz sogar deutlich mit einem Zuwachs im mittleren einstelligen Bereich." Immer, wenn sich die Einkommen erhöhen und die Kauflaune steigt, bekommt das die Reiseindustrie zu spüren.

Die Deutschen investieren in Genuss sofort: Buchen, Abflug, Sonne.

Dabei ist es gerade in diesem Sommer keineswegs selbstverständlich, dass der Tourismus prosperiert - eine Schlüsselbranche mit allein im Inland 2,9 Millionen Beschäftigten und einem höheren Beitrag zur Wertschöpfung der Volkswirtschaft als die Fahrzeugindustrie. Von ihrem Konsum lassen die Deutschen seit Langem mehr als vier Prozent ins Ausland fließen, sie sind damit nach den Chinesen die größten Devisenbringer im internationalen Reiseverkehr. "Besonders gut entwickelt sich die Türkei, auch die Balearen sind sehr gefragt und die Kanaren ebenfalls, obwohl hier der Winter die eigentliche Hochsaison ist. Auch das klassische Reiseziel Italien legt merklich zu", sagt Fiebig.

Eine Welt voller Krisen - Warum die Reiselust trotzdem riesig ist

Norbert Fiebig, 56, ist seit knapp einem Jahr der Präsident des Deutschen Reiseverbandes DRV. Vorher war er Chef der DER Touristik.

(Foto: PA/dpa)

Sogar Griechenland ist trotz der Schuldenkrise unverändert beliebt. "Bei den Buchungen für Griechenland sind wir auf dem Vorjahresniveau, und das war ein Sensationsjahr", stellt Fiebig fest. Das Land habe viele Fans. "Sie fahren regelmäßig hin und buchen meist weit im Voraus. Der Anteil der Last-minute-Buchungen ist am Gesamtvolumen von 2,5 Millionen deutschen Gästen in Griechenland eher gering. Das ist für die Griechen jetzt ein Vorteil."

Überall auf der Welt ist die Gefahr von Anschlägen größer geworden

Es habe praktisch keine Stornierungen gegeben. "Nach allem was wir hören, halten die Griechen ihr Versprechen, alle vereinbarten Leistungen für die Urlauber zu erbringen. Da gibt es keine Versorgungsengpässe." Die Unsicherheit rund um das Referendum klinge ab, je mehr Fortschritte es bei Verhandlungen gibt. "Niemand rechnet mehr mit einem großen Chaos in Griechenland." Keiner könne wissen, wie Neuwahlen wirken. Aber: "Für die laufende Sommersaison scheint wieder Vertrauen gegriffen zu haben." Fiebig: "Die Griechen müssen sicherstellen, dass sie den Tourismus als ihren stärksten Wirtschaftszweig nicht nachhaltig beschädigen."

In ihrer Reiselust lassen sich die Deutschen nicht bremsen - trotz der Schuldenkrise in Griechenland und auch nicht durch den Reisehinweis des Auswärtigen Amtes zur Terrorgefahr, die vom "Islamistischen Staat" ausgeht. Im vorigen Jahr galt dieser Hinweis noch für nur 35 Staaten, inzwischen gilt er weltweit.

Die zwei Terroranschläge in Tunis und Sousse in diesem Jahr bedeuten einen schweren Rückschlag für die Wirtschaft des nordafrikanischen Landes, mit dessen Revolution 2011 der Arabische Frühling begonnen hatte. "Die Terrorakte haben natürlich eine Wirkung gezeigt, Tunesien liegt bei den Buchungen jetzt klar unter dem Niveau des vorigen Jahres." Der DRV-Präsident beobachtet jedoch, dass manche Menschen sich jetzt erst recht für Tunesien entscheiden: "Es gibt aber auch noch eine stattliche Zahl von Urlaubern, die sagen, wir lassen es nicht zu, dass in Tunesien die Wirtschaft so gravierend geschädigt wird."

Tunesien sei ja eines der Länder, die auf einem demokratischen Weg sind, und da tue es vielen Menschen weh, wenn solche positiven Entwicklungen so brutal gestört werden. "Da kann man nur hoffen, dass sich die Terroristen nicht mit ihrer Vorstellung durchsetzen, ein Land wie Tunesien wirtschaftlich zu ruinieren."

Bis zu den Anschlägen war Tunesien unterwegs wie Ägypten, wo sich ein Badeurlaub am Roten Meer fast wieder der Beliebtheit erfreut wie früher. Insgesamt scheint die Welt gefährlicher geworden zu sein, diesen Schluss lässt jedenfalls der weltweite Reisehinweis des Auswärtigen Amtes zu, der touristisch attraktive Plätze und praktisch alle Verkehrsmittel ausdrücklich erwähnt. "Überall auf der Welt gibt es unglückseligerweise dieses Risiko, der Gewalt von Terroristen zu unterliegen", sagt der Reisepräsident. Das lasse sich nicht eingrenzen auf Urlaubsgebiete. "Das ist leider eine Tatsache, und ich glaube, an die werden wir uns gewöhnen müssen."

Gäste wollen ihren Urlaub nicht hinter Stacheldraht verbringen

Fiebig glaubt: "Die Menschen werden sich nicht zwingen lassen, ihren Lebensstil jetzt den Terroristen unterzuordnen. Sie werden weiter in Urlaub fahren, und das Risiko ist ein äußerst geringes, jedenfalls bei einer mathematischen Betrachtung, die der Sache gewiss nicht angemessen ist."

Was lernt die Reiseindustrie aus den Anschlägen? "Die Sicherheitsmaßnahmen werden verstärkt, aber einen hundertprozentigen Schutz wird es nicht geben können. Dennoch: Wenn der Schutz für die Urlauber erhöht wird, steigt natürlich auch das Abschreckungspotenzial für die Täter." Was nützt eine Hotelsecurity wie in Sousse, die eine halbstündige Schießerei am Strand nicht verhindern konnte? "Da kenne ich noch nicht die abschließenden Untersuchungsergebnisse."

Zugleich wollen die Gäste ihren Urlaub auch nicht in mit Stacheldraht umzäunten Sicherheitsverschlägen verbringen. "Das ist die Herausforderung für die gastgebenden Länder, dass sie Sicherheitsmaßnahmen etablieren, die wirksam, aber nicht so sehr stark sichtbar sind, dass sich die Leute vorkommen, als wären sie Insassen eines Gefängnisses." Da könnte keine Freude am Urlaub entstehen.

Bei einer Reisewarnung ist für die Veranstalter nicht mehr viel zu entscheiden

Fiebig versteht jeden, der sich nicht abschrecken lässt: "Je stärker die Kunden jetzt betonen, wir werden uns den Terroristen nicht unterordnen und wir werden das Land unterstützen, indem wir weiter hinfahren, desto deutlicher werden Terroristen erkennen, dass sie dem Land weder wirtschaftlich, kulturell noch strukturell schaden können. Je größer die Solidarität mit dem Land ist, desto weniger wirken die Taten natürlich."

Gibt es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes, dann ist für die Veranstalter nicht mehr viel zu entscheiden: "Der DRV koordiniert das Krisenmanagement, und die Veranstalter holen ihre Gäste zurück. Hier wird aus meiner Sicht sehr verantwortungsvoll gehandelt." Das müsste so nicht nur in Deutschland, sondern auch für Europa organisiert werden, findet Fiebig.

In Tunesien haben die Engländer ihre Gäste zurückgerufen, die Deutschen nicht, in Ägypten war es genau umgekehrt. Der Reisepräsident: "Es ist dem Kunden vor Ort kaum vermittelbar, dass es eine andere Einschätzung der Sicherheitslage für den Gast aus Großbritannien gibt als für den aus Deutschland oder Skandinavien."

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