Tourismus:Der Turmbau zu Brighton

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Der Stahlturm steht bereits am Strand von Brighton, der Plattform-Ring fehlt noch. Ab Sommer sollen 700 000 Besucher jährlich kommen, hoffen die Betreiber. (Foto: PR)

An der britischen Südküste entsteht ein spektakulärer Aussichtspunkt.

Von Björn Finke, Brighton

Scharf hebt sich das Skelett gegen das Grau des Himmels und das Graublau des Meeres ab. Es ist windig, gischtige Wellen rollen gegen den Kiesstrand. Noch gibt das Metall-Skelett eine Ahnung der eleganten Form des Gebäudes, das hier einst am Ende eines Piers über den Wogen thronte. Aber nach Jahrzehnten des Verfalls, nach Feuer und Stürmen ist vom berühmten West Pier in Brighton eben nur ein dunkles Gerippe übrig, das aus dem Wasser ragt.

Im Jahr 1866 flanierten erstmals Besucher des südenglischen Seebads auf dieser Promenade über dem Meer. Doch derartige Vergnügungen gehören schon lange der Vergangenheit an; 1975 wurde die Seebrücke geschlossen. Da, wo sie am Strand anfing, schirmt nun ein Zaun eine Großbaustelle ab. Was dort errichtet wird, soll wiederum die Zukunft des Tourismus in Brighton sein.

Das Vorhaben ist hochtrabend, 162 Meter hoch, um genau zu sein. Im kommenden Sommer soll hier "Brighton i360" eröffnen, ein schlanker Aussichtsturm aus Stahl, an dem außen eine geräumige, ringförmige Glaskabine gemächlich auf und ab fährt. Bis zu 200 Gäste können in der Kabine mit 18 Metern Durchmesser mitreisen, können darin herumspazieren, sich an der Bar einen Sekt gönnen.

Zwanzig bis dreißig Minuten dauert eine Tour. Der Glasring dreht sich um den Turm und steigt dabei auf 137 Meter. Das Panorama soll sich schön langsam entfalten. Von oben werden die Besucher bei gutem Wetter 42 Kilometer weit blicken können, über Brighton hinweg entlang der Ärmelkanal-Küste mit den Kreidefelsen oder über sanfte grüne Hügel ins Landesinnere. In Großbritannien wird es die höchste Aussichtsplattform außerhalb Londons sein.

Kommt der Turm bei den Touristen gut an, will die Betreibergesellschaft im Ausland Ähnliches errichten. "Zunächst müssen wir den i360 in Brighton zum Erfolg machen", sagt Eleanor Harris, die Chefin der Firma. "Danach werden wir in jedem Fall nach neuen Standorten Ausschau halten." Sie sollten aber weit genug weg sein, um nicht in Konkurrenz zum Original zu stehen.

Die Gemeinde gewährt den Bauherren ein hohes Darlehen. Das ist umstritten

Auf einen Erfolg muss auch die Stadtverwaltung von Brighton and Hove hoffen, wie die Gemeinde offiziell heißt. Denn sie hat den Turmbau an ihrem Strand erst ermöglicht: mit einem langlaufenden Kredit an die Bauherren von umgerechnet 50 Millionen Euro. Diese Summe lieh sich die Stadt wiederum von einem besonderen Unterstützungsfonds der Regierung. Der Stadtrat bewilligte die Hilfe im vergangenen Jahr - und die Entscheidung war höchst umstritten. Kritiker warfen die Frage auf, wieso der Steuerzahler Geld für etwas riskieren solle, für das sich offenbar nicht genug private Investoren fänden. Andere beklagten, dass die riesige Nadel das hübsche Stadtbild mit den vielen alten stuckverzierten Villen und Hotels verschandle.

Insgesamt kostet dieser Turmbau zu Brighton 64 Millionen Euro. Der Kredit der Kommune macht also mehr als drei Viertel der Bausumme aus. Zusätzlich steuert die Wirtschaftsförderungs-Gesellschaft der Region ein kleineres Darlehen bei. Die Betreiberfirma selbst steckt nur 8,5 Millionen Euro Kapital in das Projekt.

Unternehmens-Chefin Harris sagt, die Bauarbeiten seien ihrem Zeitplan voraus. Der Turm steht bereits. Und wie er steht: Er ist schon von Weitem auszumachen, beherrscht die Silhouette des beschaulichen Seebads mit seinen gut 270 000 Einwohnern. Jetzt wird das Gebäude am Fuß errichtet, mit Restaurants und Konferenzräumen. Das Highlight, die gläserne Kabine, fehlt ebenfalls noch.

Auf der matschigen Baustelle sind an diesem Morgen nur wenige Arbeiter zu sehen. Das liegt nicht am heftigen Regen, sondern daran, dass viele gerade innerhalb des Stahlturms beschäftigt sind. Sie verlegen Kabel. Große hölzerne Kabelspulen stehen herum. Wobei das mit der Größe so eine Sache ist. Neben dem Turm wirkt nichts groß, alles ist winzig: Spulen, Menschen, Muldenkipper.

Nach der Eröffnung werden insgesamt 100 Angestellte im i360 arbeiten. Außerdem soll die Attraktion jedes Jahr mehrere hunderttausend zusätzliche Touristen nach Brighton locken, was viele weitere Jobs schaffen würde. Dabei ist die Stadt ohnehin äußerst beliebt: Im vergangenen Jahr kamen elf Millionen Gäste, darunter sehr viele Tagesausflügler aus London. Die Metropole ist mit dem Zug weniger als eine Stunde entfernt. Etwa 1,5 Millionen Besucher stammten aus dem Ausland, Deutsche sind die größte Gruppe.

Brighton ist damit das populärste Seebad Großbritanniens. Viele dieser Touristenstädte auf der Insel verströmen heute eine leicht melancholische oder gar deprimierende Stimmung. Wollen die Untertanen Ihrer Majestät Urlaub am Meer machen, steigen sie lieber in den Flieger gen Süden als in die kühlen Gewässer rund um ihr Königreich. Daher haben die britischen Seebäder ihre besten Jahrzehnte weit hinter sich. Doch Brighton stemmt sich gegen den Trend - selbst wenn die Stadt 1975 ihren West Pier aufgeben musste. Die Gemeinde profitiert von der Nähe zur reichen Kapitale, wird scherzhaft "London-by-the-sea" genannt. Viele Künstler und Kreative ließen sich in Brighton nieder, und die alljährliche Homosexuellen-Parade ist die größte im ganzen Land.

Die Idee für den Aussichtsturm stammt ebenfalls aus London: von den beiden Architekten des London Eye, des gigantischen Riesenrads am südlichen Themse-Ufer. Das ist enorm beliebt bei Touristen, doch so etwas zu bauen, ist teuer. Die Konstrukteure, das Ehepaar David Marks und Julia Barfield, überlegten sich daher, dass ein Turm, an dem eine große Kabine langsam hochfährt, ein ähnliches Erlebnis wie das überdimensionale Riesenrad bietet - aber viel billiger zu errichten ist. Sie fanden, dass Brighton ein guter Standort wäre, und fragten die Stadtverwaltung an. Die war begeistert.

Das Duo gewann Investoren für den i360, allerdings sprangen die in der Finanzkrise 2008 wieder ab. Neue Geldgeber zu finden, gestaltete sich schwierig. Erst als die Kommune den umstrittenen Kredit gewährte, stand die Finanzierung. Das Architekten-Ehepaar hält die Mehrheit an der Betreibergesellschaft; die übrigen Anteile gehören anderen Managern des i360. Das Team rechnet mit jährlich 700 000 Besuchern, zum Start sogar mit mehr. Tickets kosten umgerechnet 21 Euro. Das ist günstig im Vergleich zum London Eye, wo 32 Euro fällig sind. Die Panorama-Etage in Londons höchstem Haus, The Shard, ist noch teurer.

Im Geschäftsplan des i360 gebe es genügend Puffer, sagt Firmenchefin Harris. Selbst wenn statt der angepeilten 700 000 nur 350 000 Besucher im Jahr kämen, könnte das Unternehmen seinen Kredit bei der Stadt abbezahlen. Laufe alles glatt, werde die Gesellschaft das Darlehen sogar vorzeitig tilgen, verspricht die Managerin.

Buchungen für Gruppen werden bereits akzeptiert, obwohl es bis Sommer noch etwas hin ist. "Es sind schon viele Buchungen eingegangen", sagt Harris. Dann nimmt die Geschichte vom Turmbau zu Brighton ja vielleicht ein gutes Ende. Anders als die vom West Pier.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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